Der Wikinger im Handy

17.03.1999
Über 200 Hersteller ziehen an einem Strang und entwickeln ein Verfahren zur drahtlosen Integration mobiler Geräte. Aus dem Projekt mit Codenamen "Bluetooth" soll bis zur CeBIT 99 die erste Version einer Spezifikation hervorgehen.

Wer oder was ist "Bluetooth"? Falsch, keine Kultfigur von Walter Moers, und auch kein mörderischer Ritter. Der Held, um den es hier geht, regierte vor 1000 Jahren Dänemark und hieß Harald Blaatand, zu deutsch Blauzahn. Eines der wenigen Zeugnisse für die Existenz des Königs legt ein jütländischer Runenstein ab, auf dem steht: "... Harald, der ganz Dänemark und Norwegen gewann und die Dänen christianisierte." Was dieser Herrscher vergangener Tage mit drahtlosem Datenaustausch zu tun hat, versucht eine Powerpoint-Präsentation der "Bluetooth Special Interest Group" zu deuten: "Harald glaubt, daß mobile PCs und Handys kabellos miteinander kommunizieren sollten."

Einfach zu bedienen

Im Frühjahr 1998 beschlossen die Hersteller Ericsson, IBM, Intel, Nokia und Toshiba, gemeinsam eine Technik für die kurzreichweitige Funkverbindung von PCs, digitalen Kameras, Mobiltelefonen und anderen tragbaren Geräten zu entwickeln. Als Forum für den Austausch von Ideen gründeten sie die "Bluetooth Special Interest Group", eine Arbeitsgruppe, die zunächst Rahmenbedingungen formulierte und nach und nach einen Standard festlegen sollte. Die Initiatoren hatten ein Verfahren im Visier, das Anwendern von Notebooks das Leben erleichtert. Dementsprechend sollte die drahtlose Technik

- Stimme und Daten übertragen,

- überall funktionieren,

- automatisch Verbindungen aufbauen,

- Störeinflüssen von Mikrowellenherden widerstehen,

- mit kleinen Chips arbeiten, die auch in Handys passen,

- wenig Strom verbrauchen,

- auf offenen Standards beruhen und

- sehr billig sein.

Am 20. Mai 1998 gab die Special Interest Group Einzelheiten zur Technik bekannt und begrüßte neue Mitglieder: 3Com, Axis, Cetecom, Compaq, Dell, Lucent, Motorola, Puma, Qualcomm, Symbionics TDK, VLSI und Xircom. Fünf Monate später wurde von bis dahin mehr als 200 Mitgliedern auf einer Entwicklerkonferenz in Atlanta die Version 0.7 der Bluetooth-Spezifikation aus der Taufe gehoben. Heute zählt die Teilnehmerliste rund 520 Einträge.

Nun steht die Herausgabe der endgültigen Fassung "1.0" des Reglements kurz bevor. Nach dem Kalender der Bluetooth-Gruppe soll das Dokument im ersten Quartal 1999 erscheinen, nach Möglichkeit bis zur CeBIT. Bis dahin bleiben Detailinformationen in den Händen der Mitglieder. Kurz nach der Veröffentlichung, so lauten die Pläne, werden Entwicklungswerkzeuge für Bluetooth-Anwendungen erhältlich sein. Die ersten Produkte schließlich, welche die Technik umsetzen, könnten dann in der zweiten Jahreshälfte auf den Markt gehen.

Auch wenn es bislang nocht keine Bluetooth-Chips zu kaufen gibt, können wir schon davon träumen; die Web-Site der Arbeitsgruppe (http:// www.bluetooth.org) versorgt uns mit genügend Stoff:

- Handys schalten am Arbeitsplatz automatisch auf den kostenlosen Betrieb im firmeninternen Telefonnetz um und funktionieren zu Hause als Schnurlosapparate im Festnetz.

- Die Teilnehmer einer Konferenz brauchen ihre Notebooks nur einzuschalten, um sie miteinander zu verbinden. Auch der Referent braucht kein Kabel, wenn er den Projektor an einen PC anschließt.

- E-Mail, die der Anwender im Flugzeug auf seinem Notebook verfaßt, wird abgeschickt, sobald er nach der Landung sein Handy auf Stand-by schaltet.

- Der PDA des Außendienstmitarbeiters tauscht selbständig mit dem PC im Büro Informationen aus und aktualisiert seine Daten.

Das Verfahren, nach dem Bluetooth-Geräte arbeiten, gründet zum Teil auf dem Standard 802.11 des Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE). Ein 9 mal 9 Zentimeter großer Chip sendet im Mikrowellenbereich von 2,4 GHz bis 2,48 GHz. Dieser Abschnitt des gebührenfreien ISM-Bands (ISM = Industrial, Scientific and Medical) liegt sehr nahe an der Arbeitsfrequenz eines Mikrowellenherds, dessen Magnetron in der Regel mit 2,450 GHz schwingt. Daß der Funkverkehr trotzdem störungsfrei verläuft und auch neben anderen Wireless-Netzen funktioniert, soll eine Technik garantieren, die sich in dem sogenannten Baseband-Protokoll manifestiert. Hierin ist festgelegt, daß die Trägerfrequenz nicht konstant bleibt, sondern in einer zeitlichen Abfolge verschiedene Werte aus einer festen Menge von Frequenzen annimmt. Der Sender springt bis zu 1600 mal in der Sekunde zwischen 79 Stufen einer Frequenztreppe, die mit 1MByte großen Abständen den Bereich von 2402 MHz bis 2480 MHz abdecken. Ein Gerät, das die Nachricht empfangen will, muß mit dem Sender synchronisiert sein und genau die gleiche Sprungfolge für die Trägerfrequenz verwenden. Nur Nachrichten, die diesen "Fingerabdruck" tragen, landen bei den Teilnehmern eines Bluetooth-Netzes, Signale anderer Quellen werden herausgefiltert. Die Daten schließlich werden der Sprungfolge durch eine binäre Frequenzmodulation angehängt.

Vor Störungen sicher

Bluetooth kann in einem asynchronen Modus Pakete übertragen, wobei in der Regel auf einen Slot, das heißt pro Element der Sprungfolge, ein Paket zu liegen kommt. Der Austausch erfolgt entweder symmetrisch mit einer Datenrate von 432 KBit/s oder asymmetrisch mit 721KBit/s in einer Richtung und 57,6 KBit/s in der anderen. Reservierte Zeitfenster ermöglichen dabei einen Full-Duplex-Betrieb, bei dem Kommunikationspartner zur selben Zeit senden und empfangen dürfen. Alternativ zur Datenleitung kann eine Verbindung auch gleichzeitig drei Sprachkanäle mit jeweils 64 KBit/s Bandbreite unterbringen. Zum Umwandeln von Sprache in ein digitales Signal dient "Continuous Variable Slope Delta Modulation", ein Verfahren, das gegenüber Bitfehlern als vergleichsweise unempfindlich eingeschätzt wird.

Ein Bluetooth-Netz ist aus einzelnen Blasen, sogenannten Piconets, aufgebaut, die jeweils maximal acht Geräte aufnehmen. Damit auch mehrere Teilnehmer drahtlos kommunizieren können, treten bis zu zehn Piconets eines Empfangsbereichs miteinander in Kontakt. Der Gründer eines Teilnetzes, nämlich das Gerät, welches die erste Verbindung herstellt, nimmt unter den übrigen Mitgliedern eine primäre Stellung ein und gibt die innerhalb des Piconet gebräuchliche Sprungfolge vor. Damit die anderen Geräte Schritt halten, schickt der Master Synchronisationssignale. Außerdem führt er Buch über die drei Bit langen Mac-Adressen der Piconet-Teilnehmer und versetzt diese nach Bedarf in eingeschränkte Betriebszustände.

Gebührenfreies Label für Produkte

Den Aufbau einer Verbindung übernimmt das Software-Modul "Link-Manager". Dieses entdeckt andere Link-Manager in einem Empfangsbereich, mit denen es über ein eigenes Protokoll, das Link-Manager-Protokoll, Daten austauscht. Das Modul authentifiziert Geräte, behandelt Adreßanfragen, verfügt über eine einfache Namensauflösung und sendet und empfängt Anwendungsdaten. Darüber hinaus handelt es mit dem Kommunikationspartner den Verbindungstyp aus, der bestimmt, ob Sprache oder Daten über den Äther gehen.

Auch an die Sicherheit haben die Entwickler gedacht. Bluetooth-Geräte weisen sich gegenseitig mit einem Challenge/Response-Mechanismus aus und kodieren Datenströme mit Schlüsseln von bis zu 64 Bit Länge. Abgesehen davon haben es Mithörer wegen der großen Zahl möglicher Sprungfolgen schwer, sich in ein Piconet einzuklinken.

Eine Mitgliedschaft in der Special Interest Group ist für Unternehmen der EDV-Branche aus zweierlei Hinsicht interessant. Zum einen erhalten Entwickler die Gelegenheit, die Spezifikation nach ihren Vorstellungen mitzugestalten. So ist von den Gründern der Gruppe Ericsson für weite Teile des Baseband-Protokolls verantwortlich, während die Module für die PC-Integration von Toshiba und IBM stammen, Intel Wissen über integrierte Schaltungen einbringt und Nokia Software für Mobiltelefone liefert. Zum anderen bekommen Teilnehmer Zutritt zu den Vorabversionen des Standards und können frühzeitig mit der Entwicklung von Bluetooth-konformen Geräten und Programmen beginnen. Wer sich in die Gruppe aufnehmen lassen will, besucht die Bluetooth-Web-Site und schickt unter dem Link "Members" eine E-Mail mit verschiedenen Angaben an eines der fünf Gründungsmitglieder. Kurz darauf erhält der Bewerber in elektronischer Form zwei Vertragsformulare, die er unterschrieben per Post zurückschickt. Das eine, genannt "Adopters Agreement", sichert dem Teilnehmer die gebührenfreie Benutzung der Spezifikation für eigene Produkte, die ein Bluetooth-Label tragen dürfen. Wie das lauten wird, heißt es dort - denn Bluetooth ist lediglich ein vorläufiger Codename des Projekts -, entscheidet Ericsson. Die Vertragsanlage "Early Adopter Amendment" verpflichtet jene, die vor der Veröffentlichung des Standards beitreten, die Dokumente vertraulich zu behandeln.

Die passende Software

Damit Produkte das Bluetooth-Label erhalten, müssen sie nicht nur das Baseband-Protokoll unterstützen. Je nach ihrem Einsatzgebiet müssen sie auch mit Protokollen der Anwendungsebene arbeiten und verschiedene Datenobjekte integrieren. Mobiltelefone zum Beispiel sollten mit PCs oder PDAs elektronische Visitenkarten des V-Card-Standards austauschen, wohingegen ein Kopfhörer weniger Aufgaben zu erledigen hat. Bluetooth-Geräte bauen dabei nicht nur selbständig Verbindung zu ihren Kollegen auf, sie erkennen auch, mit welchen Fähigkeiten diese ausgestattet sind.

Welche Produkte im Herbst den Markt erstürmen werden, bleibt eine Überraschung. Die Hersteller möchten zumeist mit der Offenbarung noch warten, bis die Spezifikation öffentlich ist. Intel habe keine eigenen Produkte im Sinn und wolle in erster Linie an der Entwicklung des Standards beteiligt sein, sagte Reiner Kreplin, Marketing Manager für Mobile Produkte. Lee König, European Press Coordinator im Bereich Marketing Communication bei Toshiba, kündigte im Namen seiner Firma Chips für Notebooks und Bausteine für digitale Kameras an. IBM, Nokia und Ericsson geben noch keine Auskünfte zu ihren Produkten.