Der Kabelsalat verschwindet

21.01.2000
Bluetooth tritt an, um etablierten Techniken für drahtlose Connectivity im Nahbereich wie DECT, IrDA oder Wireless LANs nach IEEE 802.11 mächtig einzuheizen. Mehr als 1300 Firmen unterstützen die Technik. Die Version 1.0b der Spezifikation ist verabschiedet und erste Produkte sind verfügbar. Berthold Wesseler

Blitzstart für Bluetooth? Alles sieht danach aus. Vor einem Jahr noch so gut wie unbekannt, haben es die fünf Gründungsmitglieder der "Bluetooth Special Interest Group" (SIG), Ericsson, IBM, Intel, Nokia und Toshiba, geschafft, auch die letzten namhaften Zauderer zu überzeugen und für die SIG-Kerngruppe zu gewinnen. Rechtzeitig zur Bluetooth Developers Conference, die vom 7. bis 9. Dezember in Los Angeles stattfand, konnte der Beitritt von 3Com, Lucent, Microsoft und Motorola verkündet werden.

Das Ziel der Vereinigung: Einen Standard für die Vernetzung von Notebooks, Handys, "Personal Digital Assistants" (PDAs), Kameras und anderen (Mobil-)Geräten auf Basis von Funknetzen zu schaffen. Die Datenrate von 1 MBit/s und die auf zehn Meter, oder mit Verstärker 100 Meter, beschränkte Reichweite machen klar, dass Bluetooth nicht wirklich zum LAN-Standard taugt. Hier kommen die Wireless LANs zum Zuge, die mit IEEE 802.11 seit kurzem standardisiert sind und mit 11 MBit/s die notwendige Bandbreite liefern.

Während Infrarot-Übertragung auf eine Sichtverbindung zwischen den Geräten angewiesen ist, verspricht die neue Technik weniger Störanfälligkeit und größere Reichweiten. Sie eröffnet ein weites Spektrum möglicher Einsatzfelder, von der Anbindung von Peripheriegeräten wie Tastaturen, Druckern oder Projektoren bis zum Ad-hoc-Aufbau von Mini-LANs zum sporadischen Datenaustausch oder zur Synchronisation von Datenbeständen. Damit hätte der Kabelsalat ein Ende, der heute nicht nur mobilen Usern große Umstände bereitet.

Das Notebook im Aktenkoffer könnte mit Hilfe von Bluetooth-Chips über das Handy am Gürtel eine E-Mail absetzen, gesteuert vom Benutzer, der ein Headset trägt. Oder das Handy sucht sich eine Telefonnummer aus dem Adressbuch des PDAs im Koffer. Über das Headset telefoniert man nicht nur, sondern hört auch Musik, die vom MP3-Player, der Hi-Fi-Anlage oder auch vom Fernseher eingespielt wird. Klingelt das Telefon, stoppt die Musik und das Gespräch kann angenommen werden. Und auch das Auto lässt sich mit Bluetooth-Basisstation zu einer Kommunikationsdrehscheibe ausbauen. Einsatzszenarien lassen sich auch in der Konsum- und Haushaltselektronik ausmalen, bis hin zur fast legendären Internet-Anbindung von Kühlschrank, Mikrowelle und Kaffeemaschine.

Bluetooth überall?

Möglich machen sollen solche Wunschträume künftig Bluetooth-Module, die in all diese Geräte eingebaut werden: Nicht länger und dicker als ein Streichholz, vereinen sie einen Radiosender und -empfänger, den Kommunikationsprozessor für den Rechneranschluss und einen Link-Manager, der die Übertragungsprotokolle abwickelt. Klein und leicht, preiswert in der Herstellung und vor allem sparsam im Energieverbrauch, eignen sich die Module für den Masseneinsatz in portablen Geräten. Bei einer Ausgangsleistung von ein Milliwatt der meisten Geräte dürften auch Gesundheitsapostel wenig an Bluetooth herumzumäkeln haben; selbst die für den Aufbau der aufwendigeren "Ad-hoc-LANs" erforderliche 20fache Leistung beträgt nur einen Bruchteil der Abstrahlung von D-Netz-Mobiltelefonen.

Der Radiosender arbeitet im 2,4-GHz-Bereich. Frequenz-Hopping soll nicht nur Schutz gegen Interferenzen bieten, die beispielsweise von Mikrowellenherden, schnurlosen DECT-Telefonen oder anderen Geräten verursacht werden könnten, die heute in vielen Haushalten und Büros zu finden sind. Auch der Bluetooth-Nachbar darf weder mithören können noch die Verbindung stören. Dafür springt der Sender bis zu 1600-mal pro Sekunde zwischen 79 Stufen des Frequenzbandes, das von 2402 MHz bis 2480 MHz reicht. Dementsprechend müssen Sender und Empfänger synchronisiert sein und genau die gleiche Sprungfolge für die Trägerfrequenz verwenden, was sich auch als eine potentielle Störungsquelle entpuppen könnte. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Technik in der Praxis verhält, wenn wirklich mehrere Bluetooth-Geräte unabhängig voneinander zum Einsatz kommen und Interferenzen auftreten.

Die Theorie jedoch ist einfach. Mit Hilfe der Synchronisation wird ein sogenanntes Piconet für maximal acht Geräte aufgebaut: Nur Nachrichten, die über die gemeinsam vereinbarte "Frequenz-Treppe" laufen, landen bei den Teilnehmern eines Bluetooth-Piconetzes, Signale anderer Quellen werden herausgefiltert. Die Daten schließlich werden der Sprungfolge durch eine binäre Frequenzmodulation angehängt. Damit auch mehrere Teilnehmer drahtlos kommunizieren können, treten bis zu zehn Piconets eines Empfangsbereichs miteinander in Kontakt. Der Gründer eines Teilnetzes, also das Gerät, das die erste Verbindung herstellt, nimmt unter den übrigen Mitgliedern eine primäre Stellung ein und gibt die innerhalb des Piconet gebräuchliche Sprungfolge vor.

Marktforscher sagen Boom voraus

Angesichts der Einsatzfelder, der breiten Unterstützung und der technischen Vorteile wundert es nicht, dass die Marktforscher enthusiastisch reagieren. Dataquest erwartet, dass im Jahr 2002 mehr als 79 Prozent aller digitalen Headsets und mehr als 200 Millionen PCs für diese Technik ausgelegt sind. Etwas vorsichtiger gibt sich die Gartner Group bei ihrer Prognose, auch wenn Bluetooth ihrer Meinung nach den Einsatz von portablen Geräten radikal ändern wird. Gartner rechnet damit, das im Jahr 2004 rund 75 Prozent aller Handys Bluetooth-fähig sein werden. Das Hauptanwendungsfeld sei nicht die Unterhaltungselektronik, sondern E-Commerce. Gartner sieht ganz neue Applikationen im Umfeld von Verkaufs- und Ticketautomaten, Kassen, Geldausgabegeräten und Parkuhren.

Das Fundament dafür wird zur Zeit gelegt. Seit dem 1. Dezember liegt die überarbeitete Version 1.0b der Bluetooth-Spezifikation vor, nachdem im Juli Version 1.0a veröffentlicht wurde. Es handelt sich um mehr als 1500 Seiten Papier in Form von zwei Dokumenten: Das sogenannte "Foundation Core" enthält die Entwicklungsrichtlinien, das "Foundation Profile" Informationen zur Durchführung von Interoperabilitätstests. Die ersten Unternehmen sind bereits als so genannter "Bluetooth Qualification Body" (BQB) oder als "Bluetooth Qualification Test Facility" (BQTF) anerkannt, darunter erfreulicherweise auch deutsche Firmen. Entsprechende Test- und Messgeräte haben die Spezialisten von Rohde & Schwarz und der dänischen Fir-
ma RTX Telecom pünktlich fertig gestellt.

Zwar sind erste Produkte bereits erhältlich, beispielsweise ein RS232-Adapter der dänischen Firma Digianswer, an der Motorola eine Mehrheitsbeteiligung erwerben will, oder eine Lösung von H-Soft zur Druckeranbindung an Toshiba-Notebooks namens Blueprint. In Anbetracht der Kürze der Zeit hat aber verständlicherweise noch kein einziges Produkt den Weg in die sogenannte "Bluetooth Qualified Products List" geschafft.

Analysten bekritteln den Mangel an Produkten und verweisen auf käufliche, ausgereifte Alternativen wie Wireless LANs nach IEEE 802.11, DECT und "Infrared Data Association" (IrDA). Bei Bluetooth überwiegen noch die Technik-Demos und Ankündigungen.

Das könnte sich nun schnell ändern. Zur letzten CeBIT hatten Bluetooth-Initiatoren wie Ericsson, IBM oder Toshiba funktionsfähige Prototypen zum Vorzeigen mitgebracht. Toshiba will auf der CeBIT 2000 ein "bluetooth-ready"-Notebook zeigen. Auch Gründungsmitglied Intel hält sich nicht länger bedeckt und demonstrierte auf der Bluetooth Developers Conference die eigenen Entwicklungen. Mit Hilfe des "D-Bug Connectors" soll jeder Rechner mit USB-Schnittstelle nach dem neuen Standard arbeiten können. Ähnlich wie Ericsson bietet Intel eine eigene Software-Suite an, allerdings mit dem Hintergedanken, den Funkstandard auch dann nutzbar zu machen, wenn entsprechende Unterstützung noch nicht in Betriebssysteme und Anwendungen eingebaut ist. Microsofts Zögern könnte ja auf grundlegende Vorbehalte schließen lassen. Intel will diese potentielle Schwachstelle dadurch ausräumen, dass Applikationen durch einen virtuellen COM-Port über eine Bluetooth-Verbindung kooperieren können. Beide Produkte verspricht Intel, ab Mitte nächsten Jahres an OEM-Hersteller auszuliefern.

Auch wenn sich jeder den einfachen Zugang zu elektronischen Informationen wünscht, soll der doch nicht jedermann gestattet sein. Die Privatsphäre und das persönliche Eigentum benötigen ausreichenden Schutz. Ein vergessener PDA oder ein verlorenes Handy dürfen nicht zum Schlüssel für Haus, Auto oder Bankkonto werden. (hl)

Zur Person

Berthold Wesseler

ist freier Journalist. Er beschäftigt sich seit Jahren mit Themen der Informationstechnik.