Der gläserne Verkäufer

05.05.2000
Handelsportale bündeln die Angebote ganzer Branchen und vereinfachen mit ihrer Markttransparenz den Online-Einkauf. Der Vorteil für den Einkäufer: Er erreicht mit einem Kaufgesuch mehr potenzielle Anbieter als auf konventionellem Weg.

Von: Franz X. Fuchs

Thomas Altenburger mag die Internet-Adresse www.webtradecenter.de: "Wenn ich hier einkaufe, kann ich im Jahr ein paar Tausend Mark einsparen", sagt der Systemadministrator. Monitore, Computer, Festplattenlaufwerke oder Drucker für die Raiffeisenbank im oberbayerischen Beuerberg bestellt er ausschließlich dort. Unter der Web-Adresse bündelt die Starnberger Firma DCI Database for Commerce and Industry AG Produkte und Preise von rund 26 000 Fachhändlern der IT-Branche. 95 Prozent aller deutschen Anbieter aus diesem Bereich sind laut DCI in der Datenbank vertreten. Der Clou dabei: Der Käufer sucht nicht mehr selbst nach einem Produkt, sondern schreibt es kostenlos online aus.

"Manchmal habe ich schon nach einer halben Stunde die ersten Angebote", sagt Altenburger. Fünf Minuten dauere eine Ausschreibung. "Mit dem Webtradecenter sparen wir alleine durch den geringen Zeitaufwand Geld", beschreibt Altenburger den Nutzen des Systems. Nach Meinung des Deutschen Multimediaverbandes geht der Trend im elektronischen Handel hin zu Portalen, also Einkaufsplattformen, die ein ganzes Warensortiment unter einer Web-Adresse zusammenfassen. "Alle Handelsformen", so Dirk Schneider von der auf die Einzelhandelsbranche spezialisierten Düsseldorfer Beratungsgruppe OC & C Strategy Consultants, "sind von dieser neuen Art des Handels betroffen." Unternehmensberater Roland Berger schätzt, dass in Europa im nächsten Jahr Waren im Wert von rund 120 Milliarden Mark über das Internet verkauft werden, davon alleine 28 Milliarden Mark in Deutschland - zehnmal mehr als 1999. "In drei bis fünf Jahren", sagt Klaus Eierhoff, Multimedia-Vorstand bei Bertelsmann, "werden etwa fünf bis zehn Prozent des gesamten Einzelhandelsvolumens von derzeit rund 800 Milliarden Mark online abgewickelt."

Die Anbieter von Online-Handels- und Einkaufs-Portalen sehen sich als Mittler zwischen Angebot und Nachfrage. "Portale kommen, weil sie den Verkehr bündeln", sagt Klaus Baumann, Geschäftsführer von Gemini Consulting. Surfen sei out, der Internet-Nutzer wolle ein umfassendes Angebot, das auf sein Profil abgestimmt ist. Chipbroker Erich Lejeune hat dies erkannt. Das Münchener Enfant Terrible der Halbleiterbranche hat mit der Virtuellen Chip-Exchange (VCE) einen Online-Handelsplatz gegründet, wo derzeit 1 600 Chiphersteller, Distributoren, Broker und Lieferanten ihre Lagerbestände vermarkten. VCE verzeichnet durchschnittlich 25 Anfragen pro Tag.

Auch kleine Firmen und Privatleute profitieren

Auch SAP-Vorstandssprecher Hasso Plattner hat zur Jahrtausendwende das Internet als intelligenten Vertriebsweg entdeckt. In fünf Jahren soll der Hersteller von kaufmännischer Standardsoftware bis zu 20 Prozent der Gesamteinnahmen über Handelsportale abwickeln. Deshalb will Plattner gleich für mehrere Branchen sol-che Systeme aufbauen - eine Art elektronische Variante des "Wer liefert was?". Firmen wie Bosch oder BMW beschleunigen mit solchen Zugangspforten ihre Entwicklungszeit und Informationsbeschaffung um bis zu 40 Prozent.

Aber nicht nur Großunternehmen und -hersteller profitieren von Portalen. Auch Kleinbetriebe und Privatpersonen können Schnäppchen ergattern und haben nach Ansicht von Dr. Tobias Brönneke von der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände "eine echte Marktmacht". Dachdeckermeister Eckard Weimert aus dem sächsischen Döbeln zum Beispiel hat sich über das Webtradecenter Angebote und Preisvergleiche frei Haus schicken lassen. Diskettenschlösser kosten 13 statt 16 Mark im Computerladen. Bei 100 Stück immerhin eine Ersparnis von 300 Mark. Auch Ministerien und öffentliche Verwaltungsstellen setzen die Datenbank des Starnberger Entwicklers ein. "Damit kann ich auf einen Blick das günstigste Angebot sehen", sagt Birgit Heinrich, beim brandenburgischen Finanzministerium zuständig für den Einkauf. "Als wir neulich einen CD-Brenner suchten, lag das billigste Angebot bei 367 Mark, das teuerste Gerät sollte über 600 Mark kosten", so die Expertin.

"Der Kunde ist König und will sich bedienen lassen", beschreibt DCI-Vorstandsvorsitzender Michael Mohr seine Idee des Online-Handelssystems. Die Produktausschreibung ist simpel, der Zeitaufwand gering. Der Einkäufer am PC gibt sein gewünschtes Produkt ein und bekommt eine Bestätigung. Die abgegebenen Angebote werden in einer nach Preisen sortierten Liste gesammelt. Hat sich der Online-Shopper für ein Produkt entschieden, klickt er den dazugehörigen Anbieter an, füllt ein Bestellformular aus und verschickt es per E-Mail oder Fax. Eine Auftragsbestätigung erhält der Kunde ebenfalls mittels elektronischer Post, bezahlt wird per Rechnung oder Nachnahme. "Wir bringen Angebot und Nachfrage zusammen und machen eine bedarfsorientierte, nicht mehr primär angebotslastige Marktkommunikation möglich", sagt Mohr. Bisher isolierte Shoplösungen würden auf eine Weise miteinander vernetzt, dass der Markt vollkommen transparent werde.

Einer, der mit der DCI-Plattform gleichzeitig kauft und verkauft, ist Ralph Koch. Der Geschäftsführer fertigt mit der Firma Rombus monatlich rund 1 200 PCs. Die Klientel reicht von PC-Shops bis hin zu großen Systemhäusern. Über das Webtradecenter verkauft das Bürener Unternehmen jeden Monat Waren im Wert von 25 000 Mark, rund fünf Prozent vom Gesamtumsatz. Tendenz steigend. Vor allem die einfache Bedienung beim Einkauf hat es Koch angetan. "Früher haben wir nur etwa zwei Preise pro Einkauf eingeholt, heute tippe ich nur mein gewünschtes Produkt ein und erhalte deutlich mehr Angebote." Maximal zwei bis drei Tage dauere es, bis zu einer Ausschreibung eine Reihe von Angeboten vorlägen. Die Abgabetermine würden von den Anbietern in der Regel eingehalten.

Sehr gut findet der Rombus-Chef auch, "dass ich eine E-Mail erhalte, sobald ein Angebot abgegeben wird und am Ende der Ausschreibung eine nach Preis sortierte Statistik mit sämtlichen Angeboten zugestellt bekomme". Gibt Koch selbst Offerten ab, muss er auf seine firmenspezifischen Daten, wie zum Beispiel Artikelnummern, keine Rücksicht nehmen, weil die automatisch in ein einheitliches Format umgewandelt werden. Damit ist nicht nur sichergestellt, dass der Verkäufer sein eigenes Datenformat bei der Angebotsabgabe beibehalten kann, sondern gleichzeitig bekommt der Einkäufer die Warenangebote in einer übersichtlichen und einheitlichen Liste präsentiert.

In das Webtradecenter, das auf einem NT-Server mit SQL-Server 6.5 und "Cold Fusion 4.9" betrieben wird, sind die kompletten Kataloge von großen Konzernen wie Actebis, der Deutschen Telekom oder Peacock eingespeist — insgesamt rund 380 000 Produkte. "Dieses E-Business-Tool ist das ideale Einkaufs- und Vertriebswerkzeug, das alle Funktionen für einen reibungslosen Ablauf bietet", sagt Actebis-Geschäftsführer Michael Urban. Auf Basis der DCI-Datenbank hat der Soester Distributor jetzt eine E-Business-Lösung in sechs Sprachen auf den Markt gebracht, mit welcher der Fachhandel in ganz Europa auf die Actebis-Produktpalette zugreifen kann.

Ausdehnung auf andere Branchen angedacht

Täglich verzeichnet DCI nach eigener Darstellung über 600 Ausschreibungen, wobei jede einzelne davon im Schnitt zehn Angebote erhalte. Für Michael Mohr Grund genug, die Handelsplattform schon bald auf weitere Branchen auszudehnen. Im Gespräch sind unter anderem Büro- und Werbeartikel. Seit Januar dieses Jahres versteigern auch die E-Auktionshäuser E-Bay und Ricardo Restposten über das Webtradecenter.

Andere Portalanbieter, wie zum Beispiel Vivendo oder Tiscon, finanzieren ihren Dienst über Umsatzprovisionen. Käufer bezahlen, ebenso wie bei DCI, nichts. Wer hingegen bei Newtron ein Produkt über eine Ausschreibung sucht, muss 50 Mark zahlen, dem Verkäufer berechnet der Frankfurter Anbieter pro Gebot noch einmal vier Mark. (re)