Der bleifreie PC: Ganz oder gar nicht

30.12.2005 von Hans-Jürgen  Humbert
Zum 1. Juli 2006 tritt die RoHS-Richtlinie in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt dürfen umwelt- und gesundheitsschädliche Stoffe nur in minimalen Konzentrationen in elektronischen Geräten verbaut werden.

Die Einhaltung dieses Gesetzes obliegt dem Hersteller, beziehungsweise dem Importeur. Bei Verstößen gegen das Gesetz haftet der Hersteller. Die RoHS-Richtlinie (Restriction of Hazardous Substances, Einschränkung gefährlicher Substanzen) soll die Verwendung von gesundheits- und umweltschädigenden Stoffen in Elektro- und Elektronikgeräten einschränken. Zu den auf der Liste stehenden Substanzen befinden sich die Elemente Quecksilber, Cadmium, sechswertiges Chrom und Blei sowie polybromierte Biphenyle und Diphenylether.

Zunächst ist der Hersteller verpflichtet, seine Produkte von diesen Zusatzstoffen frei zu halten. Aber nicht nur der Hersteller, auch Importeure müssen dafür sorgen, dass eingeführte Komponenten den gesetzlichen Richtlinien entsprechen. Und das betrifft vor allem Schrauber und Assemblierer.

Jede Komponente zählt

Ein PC besteht aus einer Reihe von Komponenten verschiedener Hersteller. Selbst wenn nur eine einzige Komponente nicht RoHS-konform ist, darf der fertige PC ab dem 1.7.2006 nicht mehr verkauft werden. Die Übergangsfrist läuft jetzt, ein weiterer Aufschub ist zurzeit nicht vorgesehen. Nicht RoHS-konforme Baugruppen müssten noch vor diesem Stichtag verkauft werden. Sie können später nur noch außerhalb der EU in Umlauf gebracht werden. Auf der sicheren Seite sind Assemblierer, die sich vom Hersteller der einzelnen Baugruppen schriftlich eine RoHS-Konformität bestätigen lassen. Eine chemische Analyse der entsprechenden Baugruppen wäre einfach zu teuer und würde auch den Kostenrahmen sprengen.

Verschiedene Hersteller, wie beispielsweise der taiwanesische Mainboard-Spezialist Gigabyte, bringen gerade die ersten RoHS-konformen Baugruppen heraus.

Ab dem ersten Quartal 2006 will auch der Komponenten-Hersteller Sharkoon mit bleifreien Baugruppen wie etwa Netzteilen auf den Markt kommen.

Wie immer bei neuen Technologien, werden diese Produkte aber teurer angeboten. Grund ist nicht nur das teurere Lötzinn, sondern auch die Umstellung der gesamten Produktionsstraßen. Experten vermuten, dass Elektrogeräte mit der Umsetzung der Richtlinie um drei bis fünf Prozent teurer werden.

Problemstoff Nummer 1: bleifreies Lot

Die RoHS-Richtlinie gilt nicht für die Wiederverwendung von Geräten, die vor dem 1. Juli 2006 in Verkehr gebracht wurden. Auch nicht RoHS-konforme Ersatzteile für ältere Geräte dürfen nach diesem Stichtag weiter eingesetzt werden. In speziellen Anwendungsgebieten, wie beispielsweise bei Messgeräten, medizinischen Geräten und militärischen Bauteilen, darf auch nach dem 1. Juli 2006 weiterhin mit "giftigen" Substanzen weiter gearbeitet werden. Die Ausnahmen und Anwendungen sind in der EU-Richtlinie 2002/95/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 2003 beschrieben.

Das heute in der Löttechnik verwendete Lötzinn besteht zu 63 Prozent aus Zinn und zu 37 Prozent aus Blei. Diese Legierung besitzt einen genau definierten Schmelzpunkt von 183 Grad und garantiert damit saubere Lötstellen bei einer relativ niedrigen Temperatur. Eines gleich vorweg: Solch schöne glänzende Lötstellen wie mit dem bisher verwendeten bleihaltigen Lot werden sich in Zukunft nicht mehr produzieren lassen. Die Lötstellen sind leicht matt und sehen wie "kalte" Lötstellen mit dem heutigen Lot aus.

Thermische Belastung der Halbleiter

Nach der RoHS-Richtlinie muss das Blei aus dieser Legierung verschwinden. Als Ersatzstoffe kommen Kupfer, Silber, Wismut, Antimon und Zink in Betracht. Das Problem dabei: Die Schmelzpunkte dieser Legierungen liegen mit 200 bis 240 Grad deutlich höher. Das bedeutet eine stärkere thermische Belastung der eingesetzten Halbleiter und auch speziell der Elektrolytkondensatoren. Die Letztgenannten können schon bei zu langem Lötvorgang austrocknen, dabei an Kapazität verlieren und somit auch die Funktion der gesamten Schaltung in Frage stellen.

Heutige Schaltungen werden in Lötbädern gelötet. Dabei gibt es verschiedene Verfahren, auf die hier aber nicht näher eingegangen werden soll. Falls bei der Endkontrolle der fertigen Platinen ein Fehler auftrat, konnte man früher die Baugruppe einfach noch einmal durch die Lötanlage schicken. Bei den nun erforderlichen höheren Temperaturen ist das in Zukunft nicht mehr möglich. Fehlerhaft gelötete Baugruppen müssen von Hand nachbearbeitet werden.

Weiteres Problem: In der Übergangszeit müssen sowohl bleifreie als auch bleihaltige Chips produziert werden. Intern wurde deren Bleianteil zwar schon seit langer Zeit auf ein Minimum reduziert. Aber die Anschlüsse (Pins) müssen für den Lötvorgang vorverzinnt werden. Beide Lötverfahren sind aber nicht kompatibel. Das betrifft besonders Bausteine mit Ball-Grid-Anschlüssen. Hier sind die Anschlusspins als kleine Erhebungen unter dem Chip angeordnet. Diese Lötstellen sind nach der Integration auf der Platine vom Baustein verdeckt und können nicht mehr via Augenschein kontrolliert werden. Die Hersteller müssen diese Chips röntgen, um die Qualität der Lötung zu beurteilen.

Einmal bleifrei – immer bleifrei

Chiphersteller und auch Hersteller von Modulen, wie beispielsweise Grafikkarten, Speicherriegeln oder ähnlicher Baugruppen sind nun gezwungen, zwei elektrisch identische Bausteine für die beiden Löttechniken auf Lager zu halten. Das bedeutet zwei Bestellnummern und doppelte Lagerhaltung. Dabei ist weiterhin darauf zu achten, die Bauteile nicht zu mischen. Denn alte Bauteile sollten nicht mit den neuen Loten verbaut werden.

Platinen, die mit bleifreien Loten verarbeitet wurden, dürfen auch nur mit bleifreien Loten repariert werden. Und das Ganze gilt auch umgekehrt. Der wichtigste Grund: Beim Zusammentreffen der Silberlegierungen mit dem "alten" Lötzinn können neue Legierungen entstehen, deren Schmelzpunkt um die 150 Grad liegt. Thermisch belastete Lötstellen, beispielsweise in der Nähe von Hochlastwiderständen, Leistungshalbleitern oder Prozessoren können solche Lötstellen schon unterhalb von 150 Grad "erweichen" und dann für den vorzeitigen Ausfall des Gerätes sorgen.

Da ab dem 1.7.2006 bleihaltiges Lötzinn wohl nicht mehr so einfach gekauft werden kann, sollten besonders Reparaturbetriebe sich schnellstmöglich noch ein paar Rollen von dem alten Lötzinn zur Seite legen. Denn für Reparaturen darf es ja weiter verwendet werden.

Neue Probleme

Außerdem sollte ein weiterer Punkt beachtet werden: Die Löttemperatur liegt bei den neuen Legierungen um rund 30 Grad höher. Dadurch können durch Verdampfen des als Flussmittel eingesetzten Kolophoniums gefährliche Gase entstehen. Zudem ist das nun in der Legierung verwendete Silber chemisch weitaus aggressiver als das bisher verwendete Blei. Bei den höheren Temperaturen kann sogar das Kupfer der Platinen angegriffen werden.

Für die Verarbeitung des neuen Elektroniklotes brauchen keine neuen Geräte angeschafft werden. Regelbare Lötstationen werden einfach ein wenig höher geregelt und schon klappt es. Einzig die vor einigen Jahren beliebten Weller-Lötstationen mit Magnastat-Technologie lassen sich nicht verwenden. Diese sind fest auf die Schmelztemperatur des bleihaltigen Lötzinns eingestellt und lassen sich nicht höher regeln. Zum Schutz des Personals sollten jetzt aber Absaugvorrichtungen für die Dämpfe eingesetzt werden.

Ausfall durch Lagerung

Das neue Lötzinn besitzt einen sehr hohen Zinnanteil. Und Zinn kann so genannten Whisker ausbilden. Als Whisker werden mikroskopische kleine Einkristalle bezeichnet. Diese wachsen aus dem Zinn und können mehrere Millimeter groß werden. Schon eine Lagerung bei unterschiedlichen Temperaturen begünstigt das Whisker-Wachstum.

Da die Anschlüsse der neuen Bauteile mit der Zinn-Legierung vorverzinnt sind, können Whisker Kurzschlüsse zwischen den Pins, die ja nur wenige Bruchteile eines Millimeters voneinander entfernt sind, verursachen. Aber auch auf den Baugruppen, die mit den neuen Loten versehen sind, können sich Whisker ausbilden und Kurzschlüsse verursachen. (mje)

Dieser Beitrag stammt von unserer Schwesterzeitschrift ComputerPartner, der Fachzeitschrift für den ITK-Handel.