DECT: Die Alternative zu Bluetooth

20.09.2000 von Prof. Dr. Axel Sikora
Neben dem Hype um Bluetooth etabliert sich DECT zum universellen Kommunikationsstandard für Funknetze. Dabei kann DECT auf seine erfolgreiche Marktposition bei schnurlosen Telefonen aufsetzen.

Im Wirbel der allgegenwärtigen Euphorie um die Markteinführung der ersten Bluetooth-Produkte verliert man die zahlreichen weiteren drahtlosen Ansätze aus den Augen. Auch andere Lösungen befreien den Anwender vom Kabelwirrwarr und bringen endlich die Konvergenz von Sprache und Daten. Die Protokolle, mit denen die verschiedenen Geräte und Anwendungen in lokal begrenzter Umgebung kostengünstig miteinander kommunizieren sollen, weisen die unterschiedlichsten Kenndaten und Anwendungsprofile auf. Die wichtigsten Beispiele sind IrDA, IEEE802.11 (WLAN), HomeRF, Hiperlan und auch das mittlerweile betagte DECT. Letzteres geht mit wesentlich erweiterter Funktionalität, gesteigerter Leistungsfähigkeit, intensivierten Marketingaktivitäten sowie bereits existierenden Produkten ins Rennen.

Zunächst erläutert der Artikel kurz die technischen Grundlagen des DECT-Standards, auch im Vergleich zu Bluetooth, bevor wir die modernen Erweiterungen für Multimedia-Anwendungen und erste Produkte vorstellen.

DECT - Technologische Grundlagen

1992 legte das Europäische Standardisierungsinstitut für Telekommunikation ETSI den DECT-Standard ETS 300 175 für Digital European Cordless Telecommunications fest. Seither haben sich die drahtlosen DECT-Telefone im Haus- und Firmenbereich in mehr als 100 Ländern verbreitet. Die europäische Entwicklung eines digitalen, abhörsicheren, stabilen und komfortablen Protokollstandards für die lokale Anbindung von tragbaren Sprachtelefonen an eine ortsfeste Basisstation war und ist ein voller Erfolg.

DECT ist für die Punkt-zu-Punkt-Verbindung zwischen einer Basisstation (Fixed Part - FP) und einem Mobilteil (Portable Part - PP) ausgelegt und arbeitet in einem reservierten Frequenzbereich, der in Europa zwischen 1880 und 1900 MHz liegt. Auf anderen Kontinenten werden teilweise auch andere Frequenzbereiche von 1,5 GHz bis zu 3,6 GHz verwendet. In einigen wenigen Fällen wird auch auf das öffentlich freigegebene 2,4-GHz-Band für industrielle, wissenschaftliche und medizinische Anwendungen (Industrial, Scientific, Medical - ISM) zugegriffen.

Die Verteilung der Frequenzen für die verschiedenen Kanäle innerhalb dieses Frequenzbandes folgt einem Multi Carrier, Time Division Multiple Access, Time Division Duplex Algorithmus (MC/TDMA/TDD). Dies bedeutet, dass mehrere Trägerfrequenzen zur Verfügung stehen (MC ) und innerhalb einer Trägerfrequenz mehrere Zeitschlitze für die verschiedenen Kanäle nacheinander genutzt werden können (TDMA ). Zudem findet die Downlink-Übertragung zwischen Basisstation und Mobilteil sowie die Uplink-Übertragung in entgegensetzter Richtung auf einer Trägerfrequenz in verschiedenen Zeitschlitzen gemultiplext statt (TDD ).

Aufteilung der Kanäle

Zur Übertragung stehen auf zehn verschiedenen Trägerfrequenzen 24 Zeitschlitze mit einer gesamten Periodendauer von 10 ms zur Verfügung. Jeweils zwölf dieser Zeitschlitze werden für die Downlink-Übertragung von der Basisstation zum Mobilteil und jeweils zwölf für die Uplink-Verbindung vom Mobilteil zur Basisstation genutzt. Im Bild sind gerade drei Übertragungen aktiv:

Insgesamt stehen also 120 Kanäle zur Verfügung, die innerhalb einer Funkzelle vollkommen störungsfrei parallel betrieben werden können. Die Bandbreite eines Kanals beträgt dabei 32 KBit/s, was für die (ADPCM-)kodierte Übertragung von Sprache in ISDN-Qualität ausreicht. Insgesamt steht, unter Berücksichtigung der (im Bild nicht eingetragenen Steuer-Zeitschlitze) eine Bandbreite von 522 KBit/s pro Trägerfrequenz und Übertragungsrichtung zur Verfügung.

Basisstation als Manager

Die Auswahl des jeweiligen Übertragungskanals übernimmt die Basisstation, indem sie in einem Hintergrundprozess in bestimmten Zeitabständen die Aktivitäten aller Kanäle in ihrem Empfangsbereich auswertet. Die freien Kanäle werden dann gemäß der ermittelten Aktivität in der so genannten RSSI-Liste (Received Signal Strength Indication) abgelegt, sodass bei der Aufforderung, eine neue Verbindung aufzubauen, die Basisstation den für sie optimalen, am wenigsten gestörten Kanal auswählen kann.

Das DECT-Mobilteil seinerseits checkt ebenfalls kontinuierlich die Aktivitäten in den zugehörigen Frequenzbereichen und überprüft, ob die Signale von einer Basisstation stammen, bei der sich das Mobilteil anmelden darf. Das Mobilteil meldet sich dann bei der Basisstation mit der höchsten Signalleistung an, bei der es Anmelderechte besitzt.

Da diese Überprüfungen dynamisch auch während der Übertragung durchgeführt werden (Dynamic Channel Allocation and Selection), kann DECT flexibel auf Störereignisse oder Ortswechsel reagieren. So kann zum Beispiel auch ein so genanntes Hand-over eines sich bewegenden Mobilteils von einer Basisstation zu einer anderen Basisstation bei voller Aufrechterhaltung der Verbindung stattfinden, wenn die beiden Basisstationen die Anmeldung erlauben und entsprechend verbunden sind (Intercell Handover). Darüber hinaus kann ein Mobilteil auch bei Aufrechterhaltung der Verbindung innerhalb einer Funkzelle den Kanal wechseln, wenn der bislang benutzte Kanal durch ein neu auftretendes Ereignis gestört ist (Intracell Handover). Eine solche Notwendigkeit kann zum Beispiel auftreten, wenn ein Mobilteil in einer Funkzelle sich während der Übertragung in Richtung einer zweiten Funkzelle nähert, in der in dem gleichen Kanal kommuniziert wird.

Spezifikationsvergleich DECT vs. Bluetooth

Der Vergleich der DECT-Spezifikation mit der Bluetooth-Realisierung zeigt grundlegende Unterschiede.

DECT-Anwendungsprofile für Sprache

Auf der Grundlage des DECT-Standards entstanden zahlreiche Erweiterungen insbesondere im Bereich der Sprachtelefonie.

Zahlreiche RAP -Feldversuche auch in Deutschland, sowie erste Installationen in verschiedenen Ländern, unter anderem in Italien und in Polen, haben die technische Realisierbarkeit gezeigt. Die Wirtschaftlichkeit ist jedoch in hohem Maße von der jeweiligen regulatorischen und der Wettbewerbs-Situation abhängig.

DECT für Daten

Während die im vorherigen Abschnitt aufgeführten Profile im Wesentlichen auf die erweiterte Funktionalität von Sprachtelefonienetzen ausgerichtet sind, konnten im vergangenen Jahr in zwei weiteren Standards Profile für Multimedia- und Netzwerkanwendungen von der ETSI verabschiedet werden.

Der DECT Packet Radio Service (DPRS - ETS 301 649) ergänzt den DECT-Standard um die für paketorientierte Datenübertragung wichtigen Dienste. Hierzu gehören die Verhandlung und Garantie von bestimmten Dienstgüten (Service Negotiation - SN) , sowie die dynamische Ressourcenzuteilung (Dynamic Resource Management - DRM), um büschelartiges Verkehrsaufkommen effizient handhaben zu können.

DRM erlaubt die Bündelung von mehreren Kanälen, um die für Multimedia-Anwendungen benötigten höheren Bandbreiten realisieren zu können. Dabei werden in der ersten Stufe die Zeitschlitze einer Trägerfrequenz zusammengefasst. Da Datenverkehr in den meisten Fällen eine asymmetrische Verkehrscharakteristik aufweist, erscheint es sinnvoll, beide Zeitschlitze der Duplexübertragung für eine Übertragungsrichtung zu nutzen. Dadurch stehen, wie bei Bluetooth, pro Trägerfrequenz Bandbreiten von bis zu 1 MBit/s zur Verfügung. Durch die zusätzliche zeitgleiche Nutzung der zehn Trägerfrequenzen können theoretisch alle 120 Übertragungskanäle parallel eingesetzt werden. DRM strebt somit eine Bandbreite innerhalb einer Zelle von bis zu 20 MBit/s an.

Das DECT Multimedia Access Profile (DMAP - ETS 301 650), das auf dem Multimedia Access Profile (MMAP) von Dosch & Amand basiert, bietet Datendienste mit zusätzlichen Mehrwertdiensten. DMAP basiert auf den bereits erwähnten Standards GAP und DPRS , schließt aber auch zusätzliche Dienste wie Direct Link Access (DLA) für Ad-hoc-Netzwerkverbindungen ein.

Kompatible Datennetze dank MMC

Die meisten der in den Neunzigerjahren vorgestellten, DECT-basierenden Produkte sind vor allem im Bereich der Sprachtelefonie zu finden. Die außerordentlich erfolgreiche Markteinführung mit geschätzten Stückzahlen von weltweit 30 Millionen Produkten in diesem Jahr verschafft DECT den immensen Vorteil der bereits zahlreich und vergleichsweise kostengünstig verfügbaren Funkmodule. Die weitere Vorwärtsintegration (siehe Literaturangabe, Hascher) sowie neue Techniken im HF-Modul Vorwärtsintegration (siehe Literaturangabe, Bläsner) versprechen weitere Kostensenkungen.

Um untereinander kompatible DECT-Datenprodukte zu etablieren, haben sich auf dem DECT-Weltkongress 1999 in Barcelona die Firmen Ascom, Canon, Dosch & Amand, Ericsson, Hagenuk und National Semiconductor zum DECT-Multimedia-Consortium (DECT-MMC) zusammengeschlossen. Mittlerweile sind weitere Unternehmen der Initiative beigetreten. Zum Leidwesen aller Beteiligter gehört der DECT-Platzhirsch Siemens dem Verbund jedoch noch nicht an.

Die erst 1997 gegründete Münchener Hightech-Schmiede Dosch & Amand hat die beiden oben genannten Standards in wesentlichen Teilen mitgeprägt und vorangetrieben. Entsprechend konnten bereits sehr früh DECT-basierende Produkte auf den Markt gebracht werden.

Produkte für Datennetze und Multimedia I

Die erste Produktfamilie, die die DMAP-Funktionalität für den Endverbraucher zugänglich macht, stammt von Dosch & Amand. Die MXB500 ISDN-Basisstation (AirPORT) erlaubt den Anschluss von bis zu acht Mobilteilen, darunter auch von PCs, die mit der PCMCIA-basierten Netzwerkkarte MXM500 (FreeKEY) oder der an den ISA-Bus angeschlossenen MXS510 ausgestattet sind. Treiber existieren derzeit für Windows 95, 98 und NT. Die Produkte werden auch von anderen Herstellern unter ihrem eigenen Label vertrieben.

Die Deutsche Telekom hat die Dosch&Amand-Entwicklungen als Teledat cordless im Programm. Ein Satz aus Basisstation und einer Netzwerkkarte kostet gegenwärtig knapp 800 Mark. 1&1 nennt die gleichen Produkte PC-onAir , ermöglicht aber den subventionierten Verkauf in Verbindung mit einer Anschlussfreischaltung, sodass lediglich 350 Mark fällig werden.

Unter dem neudeutschen Markennamen "voo:doo" vertreibt Ascom die Produkte im Rahmen seiner "No-more-wires"-Kampagne .

Die Düsseldorfer Firma Alps Electric Europa GmbH hat zusammen mit Philips verschiedene DECT-basierte Datenmodule entwickelt, die als virtuelle Kabel eingesetzt werden können. Die Übertragung zwischen der Basisstation und den bis zu acht mobilen Modulen kann mit jeweils maximal 28,8 KBit/s durchgeführt werden.

Die Hannoveraner Firma Höft & Wessel bietet DECT-basierte Datenfunkmodule sowohl als kabelloses DECT-Modem (HW8611) als auch für die TCP/IP-basierte Ankopplung von bis zu acht mobilen Modulen (HW86010) an eine Basisstation (HW8660 - DataGate).

Produkte für Datennetze und Multimedia II

Siemens bietet gegenwärtig zwei Produktgruppen im Bereich der DECT-basierenden Datenübertragung an. Im Rahmen der erweiterten Gigaset-Serie kann mit Hilfe der Datenboxen "M101 Data" oder "M105 Data" die V.24-basierte Kabelverbindung zwischen zwei PCs oder zwischen PC und Modem durch eine Funkstrecke ersetzt werden. Der Preis für zwei solcher Module beträgt etwa 500 Mark.

Die Vernetzung von bis zu zehn PCs untereinander sowie die Ankopplung an den ISDN -Anschluss erlaubt das von Siemens gemeinsam mit der Aachener ELSA AG entwickelte I-Gate-Konzept. Das Basis-Gate wird an der ISDN-Buchse angeschlossen, die mit den Mobilteilen an den PCs kommuniziert. Dabei hat Siemens drei Produktlinien für die unterschiedlichen Anwendungen optimiert ("I-Surf" für den Internetzugang, "I-Talk" für die Sprachtelefonie über den PC und "I-View" für die Bildtelefonie über den PC.

Auf der diesjährigen CeBIT wurde mit dem DMAP-basierenden FreePad ein zentraler Baustein für die DECT-Marketingkampagne vorgestellt, der gemeinsam von Dosch & Amand und der norwegischen Screen Media AS entwickelt wurde.

Das FreePad, das über einen berührungsempfindlichen Bildschirm (Touchscreen) verfügt, basiert auf einem Cyrix Media GX Prozessor, der unter Linux läuft. Neben den üblichen PDA-Funktionalitäten erlaubt das FreePad den Internetzugang sowie Sprachtelefonie über ISDN. In der ersten Generation werden zwei ISDN-Kanäle (128 KBit/s) gebündelt, in der nächsten Entwicklungsstufe sind bereits Bandbreiten von bis zu 2 MBit/s vorgesehen.

Im Frühjahr hat Höft & Wessel ein ebenfalls DECT-basiertes Webpad mit dem klingenden Namen "Hyper Viper" vorgestellt. Leider erleiden diese DECT-basierten Produkte gegenwärtig das gleiche Schicksal wie viele ihrer Bluetooth-Kollegen. Die Produkteinführung wurde von Dosch & Amand erst einmal in den Herbst, von Höft & Wessel sogar bis in das nächste Jahr verschoben.

Ausblick

Die europäische Entwicklung DECT versucht nach Kräften, die Vorteile, die sich aus seiner bewährten und stabilen Konzeption ergeben, nun auch im boomenden Multimedia- und Netzwerkmarkt zu positionieren. Insbesondere im Vergleich mit Bluetooth fällt auf, dass die DECT-Produkte auf Grund ihrer größeren Techniklastigkeit grundsätzlich erklärungsbedürftiger sind als die eigenaktiven Bluetooth-Elemente. Trotz einer teilweisen Überlappung der Zielanwendungen avisieren die beiden Protokolle in ihrem Ursprung unterschiedliche Zielmärkte an. Bluetooth ist für limitierte Multimedia-Anwendungen in einer sehr kleinen Zelle (personal cell) geeignet, wobei der besondere Charme in der eigenaktiven Erkennung anderer Kommunikationsteilnehmer besteht. DECT ist hingegen mehr auf den drahtlosen Zugang zu Kommunikationsnetzen mit hoher Zuverlässigkeit, garantierten Dienstgüten und expliziten Sicherheitsmechanismen geeignet. Fraglich erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt, ob diese Trennung dem Anwender so zu vermitteln ist.

Darüber hinaus muss sich DECT seinerseits im Wettbewerb mit anderen drahtlosen Übertragungsprotokollen, die wie IEEE802.11 (WLAN) ihre Herkunft in der Netzwerktechnik haben, oder mit neuen Technologien (HiperLAN oder HomeRF) behaupten.

Bedeutsam in diesem, mit außerordentlich viel versprechenden Prognosen belegten, Markt der drahtlosen lokalen Netze erscheint, dass sich fast alle großen Marktteilnehmer bei mindestens zwei der aufkommenden Standards engagieren. Das Rennen ist also noch nicht für Bluetooth gewonnen. ala)

Literatur

Bläsner, W., "DECT: Revolution durch LIF-Technik", Elektronik 7/2000, S. 74 - 76.

Hascher, W., "Höchstintegration bei DECT-Bausteinen", Elektronik 9/1999, S. 52 - 53.

Weitere grundlegende Informationen und Hinweise finden sich im DECT-Web und beim DECT-Forum .