Das neue Windows Me

16.11.2000 von Mike Hartmann
Der Nachfolger von Windows Me heißt Windows.Net Personal. Das Konsumer-OS basiert auf der NT-Architektur. Wird Microsoft es trotzdem schaffen, das System Konsumer-kompatibel zu machen?

Zwar sollen alle Windows-Varianten in Zukunft unter der gemeinsamen Flagge ".NET" firmieren, doch die jeweiligen Ansprüche der Anwender sind grundverschieden: Professionelle Nutzer und Administratoren wollen über viele Aspekte des Systems Bescheid wissen und vielfältige Eingriffsmöglichkeiten haben. Heim-User dagegen wollen ein Betriebssystem, das einfach zu bedienen ist und keine allzu großen Anforderungen an sie stellt.

Microsoft ist also gezwungen, einen Spagat zwischen diesen unvereinbaren Ansprüchen zu machen. Dass es sich für Microsoft lohnt, ist klar: Anstatt zwei komplett verschiedene Sourcecodes warten zu müssen, gibt es jetzt nur noch einen. Alle Entwickler können gemeinsam an Windows arbeiten, Bugs lassen sich leichter beheben und der Fix ist auf einen Schlag für alle Kunden verfügbar.

Jedoch gilt es nun für Microsoft, die Oberfläche und Verwaltung der Personal Edition von Windows.NET so zu gestalten, dass der Home-User auch damit klar kommt. Und an genau diesem Punkt wird sich der Erfolg von Windows im Konsumer-Markt entscheiden.

Die Basis von Windows.NET Personal

"Gemeinsame Codebasis", schön und gut, aber was bedeutet das genau? Es ist nicht so, dass Microsoft den Sourcecode von Windows Me genommen und mit dem von Windows 2000 vermischt hat um Whistler zu erstellen. Vielmehr hat man Windows 2000 so nach und nach alle Features und Merkmale verpasst hat, die Windows Me auch bietet. Die Basis ist von .NET ist Windows 2000.

Die Folge? Es gibt beispielsweise keine DOS-Shell mehr sondern die Command-Shell. Sollen DOS-Programme - die zugegebenermaßen inzwischen sehr selten sind - laufen, muss auch Whistler Personal die bereits aus Windows NT bekannte virtuelle DOS-Maschine (NTVDM) bemühen. Plötzlich muss sich der Benutzer auch mit der Dienste-Verwaltung befassen, die bei Windows Me bisher kein Thema war.

Auch beim Setup lehnt sich Whistler an die Routinen von Windows 2000 an. Hier wird der Benutzer plötzlich mit Fragen konfrontiert, die er von Windows Me nicht kennt. Etwa ob er Whistler installieren oder die Recovery-Konsole starten will. Letztere wird den unbedarften Anwender vor eine unüberwindbare Hürde stellen: Sie ist beim besten Willen nicht für Anfänger geeignet.

Summa summarum wird es für den Heimanwender nicht leichter sondern schwerer. Hier muss Microsoft der Personal Edition noch einiges spendieren, damit die gemeinsame .NET-Strategie ein Erfolg werden kann.

Whistler Personal vs. Professional

In der aktuellen Beta 1 sind die Unterschiede zwischen Personal- und Professional-Edition nur marginal. Weder Setup noch Oberfläche sind in der Personal-Version besonders an die Bedürfnisse von normalen Benutzern angepasst. Das geht sogar soweit, dass die Installationsroutine nach einem Administrator-Passwort fragt, das im späteren Betrieb überhaupt nicht verwendet wird.

Auch bei den automatisch installierten und gestarteten Diensten unterscheidet sich die Personal- nicht großartig von der Professional-Version. Das verwundert besonders deshalb, weil der normale Benutzer eine Reihe von diesen Diensten überhaupt nicht benötigt, wie etwa die Dienste Alerter und Messenger, die normalerweise nur für Administratoren interessant sind. Sie verbrauchen lediglich unnötig Ressourcen. Übrigens gibt Whistler keine Warnungen aus, wenn der Anwender versucht, einen unverzichtbaren Dienst zu stoppen, etwa in der Absicht, Rechenzeit und Speicher zu sparen.

Ähnlich sieht es bei den Sicherheits-Richtlinien aus. Auch hier belastet Microsoft den Heimanwender mit unnötigen und verwirrenden Einstellungsmöglichkeiten.

Features für Notebooks: Stromsparen

Eine ganze Reihe von Verbesserungen hat Microsoft bei der Unterstützung für Notebooks vorgenommen und noch weitere vorgesehen. Wir haben die neuen Features an einem Toshiba Tecra 8100 mit einem Mobile Pentium III vorgenommen, der die Speedstep-Technik unterstützt.

So lässt sich beispielsweise einstellen, wie Whistler auf das Schließen des Notebook-Deckels reagieren soll. Zur Auswahl stehen etwa das automatische Abschalten des Displays bis hin zum Herunterfahren des Laptops.

Angekündigt, aber noch nicht in der aktuellen Beta-Version verfügbar, ist die Unterstützung für Speedstep, also das Heruntertakten des Prozessors um Strom zu sparen.

Features für Notebooks: Batteriekontrolle

Auch das Verhalten beim Erreichen eines kritischen Batteriestandes lässt sich jetzt besser kontrollieren. Whistler kann für zwei verschiedene Ladestände verschiedene Aktionen automatisch durchführen, so dass ein Datenverlust verhindert wird. So kann der Benutzer jetzt beispielsweise festlegen, dass bei zehn Prozent Restlaufzeit lediglich eine Warnung angezeigt wird und bei Erreichen von drei Prozent der Laptop automatisch herunterfährt.

Befindet sich der Laptop im Sleep-Modus und erreicht ein kritisches Ladeniveau, fährt Whistler das System selbstständig wieder hoch, um automatisch in den Hibernation-Modus zu wechseln. Damit ist ein Datenverlust fast ausgeschlossen, da Whistler im Extremfall auch nicht reagierende Anwendungen ignoriert und den Modus-Wechsel forciert.

Features für Netzwerke

Wie auch Windows Me bietet Whistler den Home Networking Wizard, um die Einrichtung eines Heimnetzwerks zu vereinfachen. Dabei wird lediglich der gewünschte Name des Rechners abgefragt. Alle anderen Einstellungen, wie etwa Arbeitsgruppe, TCP/IP-Adresse und Netzmaske, nimmt Whistler automatisch vor. Dabei kann auch gleich das Internet Connection Sharing eingeschaltet und die Internet-Verbindung eines Rechners allen anderen im Heimnetz zur Verfügung gestellt werden.

Besser ist auch die Unterstützung für DSL-Nutzer. Whistler unterstützt direkt das PPPoE-Protokoll, das beispielsweise von T-Online oder Mannesmann verwendet wird. Eine solche Verbindung lässt sich ebenfalls im lokalen Netz per ICS freigeben.

Internet und Sicherheit

Inzwischen wird auch der Heimanwender immer sicherheitsbewusster. Themen wie Datenausspähung auf dem heimischen PC oder mögliche Hackerangriffe durch trojanische Pferde haben das notwendige Bewusstsein geschaffen. Microsoft will dem Trend natürlich nicht entgegen stehen und bietet in Whistler ein als "Personal Firewall" gekennzeichnetes Feature an. Mit den Personal Firewalls, die wir bisher im tecChannel getestet haben, hat Microsofts Angebot allerdings nur sehr wenig zu tun.

Mit der Personal Firewall von Whistler können lediglich Angriffe von außen verhindert werden, indem bestimmte TCP/IP-Ports komplett geschlossen oder nur für bestimmte TCP/IP-Verbindungen geöffnet werden. Dass ein Tool versucht, Daten ins Internet zu senden, kann die Microsoft-Lösung nicht verhindern. Zudem erweist sich die Konfiguration der Firewall für Anwender ohne tiefgehende TCP/IP-Kenntnisse als unüberwindbare Hürde.

Fazit

Viele neue Features für Heimanwender und mobile Nutzer sind bereits in der aktuellen Beta von Whistler Personal integriert. Der ganz große Schwachpunkt ist jedoch die zu große Ähnlichkeit zu Windows 2000. Damit wird ein Heimanwender nicht wirklich klar kommen. Microsoft muss einen Deckel über die ganzen Systeminterna stülpen und mit intelligenten Routinen dafür sorgen, dass der Benutzer es auch gar nicht nötig hat, in die Innereien einzugreifen. Solange jedoch beispielsweise der DHCP-Client automatisch installiert und gestartet wird, obwohl der Rechner in einem Netzwerk mit festen IP-Adressen steht, ist der Benutzer weiterhin gezwungen, selbst Hand anzulegen.

Zum Glück weist einiges darauf hin, dass Microsoft bisher der Personal-Version noch nicht die Aufmerksamkeit widmet, wie es nötig wäre. Es sieht vielmehr so aus, als hätte man einfach eine Professional genommen und lediglich ein paar Bestandteile daraus entfernt, die in der Personal-Edition nicht benötigt werden. Wir jedenfalls sind gespannt auf die zweite Beta, die einiges mehr bieten soll. mha)