Belastung durch Stress und mangelnde Anerkennung

Das Leiden der IT-Mitarbeiter

27.11.2011 von Nicolas Zeitler
Die Gesundheit von Mitarbeitern in IT-Firmen ist gefährdet. Sie müssen sich jeden Tag neu beweisen und vermissen Wertschätzung. Ein Lösungsansatz: In Team-Sitzungen müssen Mitarbeiter über ihre persönlichen Belastungen sprechen.

Wer in der IT-Branche arbeitet, der sollte gut auf sein Befinden achten. Das legen die Erkenntnisse nahe, die der Soziologe Dr. Tobias Kämpf gemeinsam mit zwei Kollegen vom Münchner Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) im Rahmen des Forschungsprojekts DIWA-IT gewonnen hat.

91 Beschäftigte aus großen deutschen IT-Firmen wurden in grundlegenden Tiefen-Interviews ausführlich zu ihrer Arbeit befragt. Heraus kam, dass sie sich an erster Stelle wünschen, dass die Arbeit ihre Gesundheit nicht beeinträchtigt. Dahinter rangieren kollegiale Atmosphäre, Spaß, freie Wochenenden und sicheres Einkommen.

Die Belastungen, die Mitarbeiter von IT-Unternehmen erleben, können zu Depressionen und Burnout führen. Tobias Kämpf und seine Kollegen erproben derzeit neue Ansätze für die Gesundheitsförderung.
Foto: Kämpf

Frage: Die Befragten erleben beim Arbeiten offenbar genau das Gegenteil dessen, was sie sich wünschen. Was läuft da falsch?

Tobias Kämpf: In der IT-Industrie hat es eine grundlegende Zeitenwende gegeben. Sie setzt ein mit dem Zusammenbruch der New Economy, geht aber über dessen direkte Folgen weit hinaus. Firmen haben den Umgang mit ihren Beschäftigten verändert. Entstanden ist dabei eine ganz neue Belastungskonstellation. Was wir feststellen, ist keineswegs nur eine kurzfristige Belastungsspitze, sondern eine grundsätzliche und dauerhafte Verschärfung der Belastungssituation. Sie haben Recht: Was die Beschäftigten in ihrer Arbeit erleben, läuft ihren Ansprüchen zunehmend entgegen. Sie empfinden es als immer schwieriger, Dinge wie Spaß oder eine kollegiale Atmosphäre zu verwirklichen.

Frage: Welche Wünsche außer den als wichtigste genannten haben Sie noch abgefragt?

Kämpf: Wir wollten auch wissen, wie wichtig es Mitarbeitern ist, Aufstiegsmöglichkeiten zu haben oder als Leistungsträger wahrgenommen zu werden. Solche reinen Karriere-Ansprüche wurden als weniger wichtig angesehen. An letzter Stelle von den 21 abgefragten Interessen-Positionen landete der Wunsch nach mindestens zehn Prozent variablem Gehaltsanteil.

Frage: Die Leute sorgen sich bei der Arbeit also gar nicht so sehr um hohe Karriereziele, sondern eher um ganz Grundsätzliches wie ihre Gesundheitb?

Kämpf: Ganz offensichtlich, ja.

Mitarbeiter sind verantwortlich, aber ohnmächtig

Frage: Sie sprechen von den „Paradoxien neuer Management-Konzepte" als einer Ursache für Unzufriedenheit. Worin bestehen die Paradoxien? Und liegt es wirklich an den Konzepten an sich oder an ihrer Umsetzung?

Kämpf: Mitarbeiter werden heute für Ziele verantwortlich gemacht beziehungsweise haben das Gefühl, verantwortlich zu sein, verfügen aber gleichzeitig nicht über die Ressourcen, um diese Ziele tatsächlich erreichen zu können. Sie fühlen sich dann in einer permanenten „Mission Impossible" gefangen. Teil der neuen Konzepte ist nämlich ein „System permanenter Bewährung", wie es jüngst meine Kollegen Andreas Boes und Anja Bultemeier bezeichnet haben. Teil des Unternehmens zu sein, ist dann keine Selbstverständlichkeit mehr. Stattdessen sollen die Beschäftigten jeden Tag durch einen überdurchschnittlichen Beitrag zum Firmenerfolg beweisen, dass sie es verdient haben, „dazu zu gehören". Dadurch entsteht sehr starker Leistungsdruck.

Sehr stark macht den Menschen auch die Geschwindigkeit in der Arbeit zu schaffen. Gleichzeitig haben sie hohe Ansprüche an Nachhaltigkeit und Qualität. Das motiviert einerseits. Aber unter den Bedingungen von permanentem Zeitdruck entsteht andererseits zunehmend das Gefühl, den eigenen Ansprüchen gar nicht mehr gerecht werden zu können. Das ist für viele sehr frustrierend.

Neun Tipps gegen Stress
Wie Sie der Krise trotzen . . .
Stellenabbau bei SAP, Kurzarbeit in der Automobilbranche. Wie sich Arbeitnehmer in der Finanzkrise verhalten können, dazu gibt Karriereberaterin Svenja Hofert wertvolle Tipps.
1. Halten Sie sich zurück mit apokalyptischen Prognosen . . .
. . . und zitieren Sie gegenüber dem Arbeitgeber jetzt nicht gleich Karl Marx. Das Unternehmen will und braucht Optimisten – ganz genau wie die Börse.
2. Wechseln Sie derzeit nur . . .
. . . wenn Sie wirklich sicher sind, es beim neuen Arbeitgeber besser zu treffen. Eine alte Regel lautet: Die letzten (Eingestellten), werden die ersten sein, denen man kündigt.
3. Wenn Sie doch wechseln wollen oder müssen, . . .
. . . fragen Sie das neue Unternehmen nach seinen Strategien in der Finanzkrise. Springen Sie nur auf dynamische Motorschiffe und nicht auf sinkende Dampfer.
4. Arbeiten Sie nicht still vor sich hin . . .
. . . in der Hoffnung, nicht entdeckt zu werden. Kommen Sie aus der Defensive: Bringen Sie Ideen, Vorschläge, seien Sie konstruktiv in der Krise, kommunizieren Sie Erfolge.
5. Fordern Sie eine offene Kommunikation von Ihren Vorgesetzten.
Sprechen Sie es an, wenn Sie das Gefühl haben, dass sich hinter verschlossenen Türen etwas zusammenbraut.
6. Beobachten Sie die Entwicklungen in Ihrem Unternehmen sehr genau.
Bewerben Sie sich lieber früher als später woanders, wenn Sie merken, dass sich eine langfristig negative Entwicklung anbahnt.
7. Analysieren Sie Ihr Profil und Ihren Marktwert.
Wenn Sie wissen, wo Sie stehen, werden Sie der Krise auch gelassener begegnen können.
8. Steigern Sie Ihren Marktwert durch Weiterbildung.
Gut ausgebildeten Fachkräften kündigt man nicht so schnell.
9. Nicht einschüchtern lassen!
So lange das Unternehmen nicht direkt von der Krise betroffen ist, gibt es keinen Grund für Gehaltskürzungen. So wie Mitarbeiter ihre Gehaltserhöhung niemals mit zu hohen Kraftstoffpreisen argumentieren sollten, sollten Unternehmen die Finanzkrise außen vor lassen. Es geht um Leistung, sonst nichts.

Angestellte fühlen sich nur als Zahlen wahrgenommen

Frage: Sie beschreiben das mit dem Schlagwort „Leistungsverdichtung" - mehr und komplexere Arbeit in kürzerer Zeit, gleichzeitig wird Personal abgebaut, viele Prozesse sind ineffizient. Ist das wirklich ein typisches Problem der IT-Branche oder trifft es nicht auch auf andere zu?

Kämpf: Spezifisch für die IT-Branche ist die Zeitenwende, die ich beschrieben habe. Ihr ging ein langer Aufschwung voraus, gepaart mit einem starken Winner-Mythos. Aber grundsätzlich ist der Mechanismus aufgrund der Management-Konzepte ein Element, das wir auch in anderen Forschungsprojekten über qualifizierte Arbeit finden.

Frage: Sie schreiben, Angestellte hätten in Interviews von einem Verlust von Anerkennung gesprochen. Wie erleben sie den?

Kämpf: Eine zentrale Vokabel in den Interviews war der Verlust von Wertschätzung. Ein Teilnehmer hat gesagt: 'Man ist hier nur noch eine Nummer, die man am besten weg-ekelt'. Fast immer fielen Formulierungen wie 'Wir werden nur noch als Zahlen behandelt, aber nicht mehr als ganzer Mensch'. „Zahlen statt Menschen" ist die zentrale Chiffre dafür, wie die Beschäftigten den Kulturwandel in den Unternehmen erleben. Sie fühlen sich lediglich als Kostenfaktor wahrgenommen, nicht mehr als ganze Person anerkannt. Das kommt auch zum Ausdruck bei den häufig geäußerten Klagen über das Prinzip „Management per Mail".

Stress durch Anweisungen per E-Mail

Frage: Ein Vorwurf an Vorgesetzte. Was genau empfinden die Mitarbeiter daran als schlimm?

Kämpf: Team-Strukturen werden heute oft virtualisiert. Das Schlimme ist nicht die örtliche Verteilung, sondern dass man sich gar nicht mehr kennt. Zusätzlich wird ständig reorganisiert und Teams werden neu zusammengewürfelt. Die Kommunikation mit Vorgesetzten wird immer anonymer, sie findet nicht mehr auf Augenhöhe statt. Mails mit Anweisungen werden von oben nach unten durchgereicht. Das führt zu Stress. Der einzelne ist einer Flut von Mails ausgesetzt, ohne im direkten Gespräch mit Vorgesetzten auf seine Überlastung hinweisen zu können.

Frage: Ist es nicht angenehmer, Mails zu bekommen als wenn der Chef einen ständig mit Anrufen unterbricht?

Kämpf: Da haben Sie nur zum Teil Recht. Die Leute können ja nicht entscheiden, ob und wann sie eine Mail lesen und darauf antworten. Sie stehen unter hohem zeitlichem Response-Druck. Auch das ist Ausdruck davon, dass nicht mehr auf Augenhöhe diskutiert wird.

Führungskräfte in der Zwickmühle

Frage: Sie kritisieren die Chefs aber nicht nur, sondern sehen sie ebenfalls in einer bedauernswerten Lage. Sie nennen sie „Sandwich-Position".

Kämpf: Gerade Führungskräfte sind hoch belastet. Das ist eines der zentralen Ergebnisse unserer Interviews. Sie fühlen sich häufig zwischen den eigenen Mitarbeitern und dem oberen Management gefangen. Es gibt die Ziele von oben und unter ihnen das Team, das bis über die Halskrause voll mit Arbeit ist. Oft stecken Vorgesetzte dann in einem Dilemma: Entweder sie reichen wider besseres Wissen Dinge nach unten weiter, oder sie kommen ihrem Anspruch nach guter Führung nach und finden sich dann in der Lage wieder, wo sie Missstände durch eigenes Engagement – oft auf Kosten ihrer Gesundheit – kompensieren müssen. Wir haben bei vielen Führungskräften ein sehr hohes Verantwortungsgefühl für ihre Mitarbeiter gefunden. Daraus resultiert ihre hohe Belastung.

Frage: Das klingt nach dem Mechanismus, den man gemeinhin mit Burnout in Verbindung bringt. Leiden gerade die besonders Leistungswilligen unter den Rahmenbedingungen?

Kämpf: Ja, und das hat uns erschreckt. Nicht die leiden an Überlastung, die man vielleicht als eher „leistungsschwach" titulieren würde. Es sind stattdessen die wertorientierten Führungskräfte und engagierten Mitarbeiter, denen das Wohl der Firma besonders am Herzen liegt. Sie versuchen firmenkulturelle und organisatorische Missstände zu kompensieren, um ihre Ansprüche an die Arbeit aufrecht zu erhalten. Genau daran drohen sie zu verbrennen.

Manager ahnungslos über Befinden ihrer Mitarbeiter

Frage: Sie fordern neue Monitoring-Ansätze. Ist es denn realistisch, dass sich so etwas in der derzeitigen Wirtschaftslage umsetzen lässt?

Kämpf: Wir sehen dringenden Handlungsbedarf. Die Gesundheit vieler hängt am seidenen Faden. Heute fristet die Gesundheitsförderung häufig nur ein Nischendasein, das allenfalls in betrieblichen „Sonderveranstaltungen" praktiziert wird. Ein grundsätzliches Umsteuern ist deshalb notwendig. Nachhaltige Gesundheitsförderung muss von einem Thema am Rande zu einem grundlegenden Bestandteil von Organisationsentwicklung und Firmenpolitik werden.

Die Chance ist tatsächlich da. Die Manager, mit denen wir gesprochen haben, zeigten sich besorgt und betroffen und waren erstaunlich offen für das Thema. Bisher fehlt ihnen oft das Wissen über die Lage der Mitarbeiter. Deshalb ist ein innovatives Monitoring der Gesundheits- und Belastungssituation wichtig. Heute ist es oft üblich, lediglich die Arbeitsunfähigkeitstage zu zählen. Die Zahlen signalisieren meist keine dramatischen Ergebnisse. Die Messung hat aber eine strukturelle Blindstelle. Gerade dort, wo hoher Leistungsdruck herrscht, wird nämlich trotz Krankheit gearbeitet. Man bräuchte neue Verfahren, um die tatsächliche Belastungssituation der Mitarbeiter transparent zu machen.

Frage: Was sind typische Belastungen und Erkrankungen der Befragten?

Kämpf: In krassen Fällen Burnout, Hörsturz, Tinnitus und Depressionen. In leichteren Fällen leiden viele an Schlafstörungen oder Magenproblemen. Sie können nicht mehr abschalten, denken schon beim Aufwachen an die Arbeit. Wir waren erschrocken über den Anteil derer, die an manifesten Belastungen leiden. Viele haben schon einen Zusammenbruch erlebt oder fühlen sich oft an der Belastungsgrenze.

Im Team über Stress reden

Frage: Wie geht Ihre Studie weiter?

Kämpf: Die Analyse-Phase ist abgeschlossen. Jetzt starten wir in Firmen Pilotprojekte zur innovativen Gesundheitsförderung. Ein Ansatz ist es zum Beispiel, die individuelle Stress- und Belastungssituation zum regulären Thema in Team-Sitzungen zu machen. Es gehört dann zur Tagesordnung, dass jeder sagt, wie es ihm mit Blick auf seinen aktuellen Stress-Level gerade geht. Das kann ein gutes Mittel sein, Belastungen überhaupt transparent zu machen. Die Teams müssen dabei lernen, mit Belastungen gemeinschaftlich und solidarisch umzugehen. Unter hohem Arbeitsdruck kann ein Team dein „größter Feind" sein, es kann zu Gruppenzwang und Mobbing kommen. Auf der anderen Seite erweisen sich jedoch funktionierende Teams mit einem kollegialen Miteinander als die wichtigste Ressource, die dem einzelnen bei hohen Arbeitsbelastungen hilft.

Projekt DIWA-IT

Bei dem Forschungsprojekt „Demografischer Wandel und Prävention in der IT" (DIWA-IT) geht es darum, wie Beschäftigte in der IT-Branche trotz ihrer hohen Belastung gesund bleiben können. An dem vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt sind das „Institut Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg/Essen (IAQ)“, das „Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V. – ISF

Was die Führungskräfte angeht: Es ist wichtig, auch sie als Belastete wahrzunehmen. Der nächste Schritt ist Empowerment: Ein Manager muss handlungsfähig gemacht werden, nach oben zurück funken zu können: Mein Team ist ausgelastet – ohne deswegen negative Konsequenzen erwarten zu müssen.

Das Interview mit Tobias Kämpf führte unsere Schwesterpublikation CIO.