Computex 2002: Hammer-Time in Taipei

17.06.2002 von NICO ERNST 
Asiens größte IT-Messe hat sich zum Pflichttermin für die gesamte Branche gemausert. In diesem Jahr setzte sie Trends für drahtlose Netzwerke - der Star der Show war aber AMDs Hammer-Design.

Man trifft sich morgens im Hotel-Aufzug: "Sie sind wegen der Messe hier?" Kopfnicken, mehr ist vorerst nicht drin, wenn die innere Uhr auf zwei Uhr nachts steht. "Und, schon was bestellt?" -"Nein, ich bin von der Presse." Der Fragesteller wundert sich: "Was gibt's denn hier schon zu berichten?"

In der Tat zeigen sich die Branchenvertreter, die jedes Jahr in der ersten Juni-Woche die tropische Insel im chinesischen Meer besuchen, von all den Neuheiten der "Computex" äußerlich unbeeindruckt. Das liegt nur bei wenigen an coolem Understatement - in Taiwan weiß jeder alles über kommende Produkte, und entsprechend locker sind die Sicherheitsvorkehrungen. Das mußte vor allem AMD erfahren, deren erst Ende 2002 erscheinenden "Clawhammer" tecCHANNEL schon während der Messe als Prototyp antesten konnte.

Vielleicht hatte der Intel-Konkurrent auf der "Computex 2002" ja zu viel "Excitement", wie das in Marketing-Plänen heißt, für seine neuen Prozessor-Designs geweckt. Welchen Mainboard-Hersteller man auch aufsuchte: Entweder wurden die Hammer-Boards schon im Betrieb gezeigt oder zumindest als "mechanical sample", sprich: Design-Studie. Auch bei den Werbemaßnahmen hat sich AMD selbst übertroffen, und folgte damit einer 2001 begründeten Tradition.

Ballon-Affäre 2002

Im letzten Jahr hatten sich Intel und VIA einen für Beobachter unterhaltsamen Marketing-Kleinkrieg geliefert, wir berichteten. Die Affäre ist noch lange nicht ausgestanden: Eine Klage von VIA gegen Intel wegen Sachbeschädigung beschäftigt die Gerichte. Im Mittelpunkt stehen die Ballons, die VIA auf der letzten "Computex" angebracht hatte - und natürlich ließ man es sich nicht nehmen, eines dieser Gas-Elemente zur "Computex 2002" mitzubringen. "I survived Computex 2001" vermeldete ein Schild an diesem letzten Skandal-Ballon.

AMD, die 2001 wenig Aufgeblasenes vorzuweisen hatten, passte sich dem Trend an, und platzierte inmitten des "Computex"-Geländes auf dem "New York Center" einen luftgefüllten Hammer - unübersehbar für jeden Messebesucher. Die Legende will, dass Intel wie 2001 an einer Front dieses Einkaufszentrums ein Pentium-4-Banner anbringen wollte, davon aber ob des darüber schwebenden Hammers abgesehen hat. AMD soll sich bewußt das Dach als Werbefläche gemietet haben, das Intel in seiner Buchung übersehen hatte.

Doch auch kleine Hämmerchen, ebenfalls mit 80 Prozent innerer Luftfeuchtigkeit versehen, verteilte AMD auf der Messe. Die kamen so gut an, daß sie schon am zweiten Tag kopiert wurden: Einige gar nicht vom Hammer getroffene Hersteller, die beispielsweise USB-2.0-Karten bewerben wollten, verteilten Luft-Hammer mit völlig anderem Aufdruck.

Intels Show-Ausstattung fiel durch sinnvolle Dezenz auf. So hatte man unter anderem den langen und heißen Weg von Halle 1 zu Halle 2 mit einem weiß-blauen Baldachin überdacht - der "Intel Alley", wie das Konstrukt bald genannt wurde.

Hinter ganz verschlossenen Türen

Den gröbsten PR-Schnitzer leistete sich diesmal Taiwans Regierung selbst. Taipei-Besucher aus allen Teilen der Welt fanden am Dienstagmorgen (Ortszeit) eine Nachricht unter der Tür ihrer Hotelzimmer. Von 13.20 bis 14.00 habe man sich im Zimmer aufzuhalten, lautete die asiatisch-freundliche Botschaft. Das taiwanische Militär würde eine Luftschutzübung durchführen.

Was das für den Messebetrieb bedeuten sollte, war hier noch nicht abzusehen. Punkt 13.20 Uhr waren die Türen der Messehallen plötzlich verschlossen. Freundlich, aber sehr bestimmt, wies das Wachpersonal auf die neue Regel hin: Raus geht's nicht, nur noch rein. Auch wer nur von Halle 1 zum Konferenzzentrum auf die andere Straßenseite wechseln wollte, hatte keine Chance.

Die westlichen Messebesucher waren mehr als irritiert. Überall war von geplatzten Terminen die Rede, und das ohnehin schon unzuverlässige GSM-Netz Taiwans brach für eine halbe Stunde endgültig zusammen. Um 14.00 Uhr öffneten sich die Pforten wieder, die Schlangen vor den Shuttle-Bussen stauten sich bis weit in die Hallen. Insgesamt dürfte die Militärübung über eine Stunde wertvolle Messezeit gekostet haben.

Später am Abend war dann von glücklichen taiwanischen Messebesuchern, die sich währenddessen im Freien aufhielten, zu erfahren, was die ganze Sache sollte. Das Militär wollte sein Radar ausprobieren, und dafür die Straßen räumen. Ein Hubschrauber flog dazu als Übungsziel quer über Taipei. Ob das allerdings erfolgreich war, darf bezweifelt werden. Taipei war alles andere als leer gefegt, rund um das Messegelände scheuchte niemand Passanten und Rollerfahrer in Gebäude.

Während die durch Festland-China durchaus bestehende Bedrohung noch als Motivation verständlich ist, gilt das keinesfalls für das Timing des Manövers. Wo die taiwanische Regierung wohl den unsicheren politischen Status der Insel ins Bewusstsein rücken wollte, wertete die Tageszeitung "Taipei Times" am Mittwoch auf der ersten Seite das Ereignis ganz anders: "Luftschutzübung ein schweres PR-Desaster" lautete die Schlagzeile.

VIA lässt aufhorchen

Nur etwas subtiler fiel VIAs Vorstellung neuer Audio-Produkte aus. Der taiwanische Platzhirsch will allen Ernstes Creative Labs Konkurrenz machen, so CEO Wenchi Chen gegenüber tecCHANNEL. Dafür hat man neben dem High-End-Chip "Envy 24HT" drei weitere Bausteine mit der 2000 aufgekauften Firma ICEnsemble konzipiert. Soundkarten vom koreanischen Hersteller Hoontech und der deutschen Firma Terratec sollen die Chips bald beherbergen. Für die Treiber und Audio-Anwendungen konnte man die im Studio-Umfeld bekannte US-Firma M-Audio gewinnen - VIA ist sich seines schlechten Rufs bei der Kompatibilität von Soundkarten mit den eigenen Chipsätzen offensichtlich bewusst.

Derartige Probleme sollen durch die neue Southbridge 8235 in Zukunft nicht mehr auftreten. Die von tecCHANNEL entdeckten PCI-Probleme will man dank einer neuen Arbitrierung des Busses erledigen. VIA plant, die neue Southbridge bei allen kommenden Chipsätzen einzusetzen. Zuerst kommt sie mit dem KT400 für AMD-CPUs und dem P4X333 für den Pentium 4 und Celeron.

Daneben stellte VIA noch den C3-Prozessor mit 1 GHz (mit dem bekannten Ezra-Core) und das neue Grafikdesign AlphaChrome vor. Das von S3 stammende Konzept wird neben integrierten Notebook- und Desktop-Lösungen als Mittelklassenchip "Savage XP" auf den Markt kommen - hat bisher aber wenig Grafikkartenhersteller als Freunde gefunden. Daher soll nun die US-Firma Tyan, eigentlich eher bekannt für High-End-Mainboards, die Karten bauen und unter dem Namen "Tachyon" vertreiben.

Hammer-Boards bis zum Abwinken

Doch neben PR-Gerangel rund um Politik und Produkte ging es auf der "Computex 2002" natürlich vor allem um neue Hardware - und da um den Hammer. AMD hatte auch auf technischer Ebene gut vorgesorgt, Vizepräsident Henri Richard ließ sich sogar zu dem Bonmot "Wenn es um die IT-Branche geht, ist Taipei für mich das Zentrum der Welt" hinreißen. So ernst nimmt man die Insel der Board-Bastler inzwischen.

Derlei Streicheleinheiten hatte AMD wohl auch vor der Messe reichlich verteilt: Alle Mainboard-Macher hatten Boards für AMDs neue CPUs zusammengehämmert. Die hier abgebildeten sind also nur stellvertretend wiedergegeben.

Für den Desktop-Hammer, Codename Clawhammer, haben die taiwanischen Hersteller die Wahl zwischen Chipsätzen von AMD (8000-Serie), Ali (M1687), NVIDIA (nForce2), SiS (755) und VIA (K8-Serie). Zu sehen waren vor allem Lösungen mit den AMD- und VIA-Bausteinen. SiS scheint noch am weitesten von der Serienproduktion entfernt zu sein, überall gab es nur Platzhalter, oder "Mech Samples".

Beim Betrachten der Boards fällt auf, welche Anforderungen der Hypertransport-Bus an das Routing stellt. Die Leiterbahnen müssen bestimmte Längen und Dicken aufweisen - das verspricht spannende Stabilitäts- und Kompatibilitätstests. Letzteres scheint nicht das größte Problem zu sein, denn auch neueste Hardware wie ATIs Radeon 9000 lief in einem Hammer-System.

Gespanntes Warten auf NVIDIA

Die Kanadier von ATI schäumten, als die eigentlich noch höchst geheime Grafikkarte mit dem R300-Chip während der Messe auf zahlreichen Webseiten auftauchte. Einige Aussteller entfernten sie auch prompt aus ihren Demo-Systemen. Eigentlich schade für ATI - mit einer offiziellen Vorstellung der Radeon 9000 hätte man NVIDIA leicht ausstechen können.

Deren NV30, der höchstwahrscheinlich als "GeForce5" erscheinen wird, hatte unbestätigten Informationen zufolge erst kurz vor der "Computex" sein "tape out", wird also als Prototyp bereits hergestellt. Da ATI den R300 so gut versteckte, konnte es sich NVIDIA leisten, seinen neuen Wunderchip gleich ganz zu Hause zu lassen.

Bei den bereits erhältlichen Grafikkarten haben die Hersteller inzwischen immer größere Probleme, sich zu differenzieren - zu eng ist das Korsett von NVIDIAs Referenz-Designs. Dabei kommen aber für den Kunden immer noch nützliche Features heraus, etwa Leadteks Bild-in-Bild-Lösung, die auf der Messe zu sehen war.

Die funktioniert zwar nur mit einer internen Video-Quelle im PC (etwa einer DVD) und einem externen Zuspieler wie einem Sat-Receiver - aber so kann man in diesen Tagen eine DVD betrachten und in einem kleinen Fenster ein Spiel der Fussball-WM verfolgen. Umgeschaltet wird dann auf Knopfdruck.

Mainboards: Krampfhafte Innovationen

Der Zwang zur Differenzierung bei immer ähnlicher werdenden Komponenten treibt auch die Mainboard-Hersteller an. Die verspiegelte Krone setzte diesem Treiben AOpen auf, die eine Vorverstärker-Röhre auf ein P4-Board mit 845-Chipsatz gelötet hatten. Nun ist die "Wärme" eines Röhrenverstärkers unter Audio-Freaks unumstritten, aber ob das in Verbindung mit einem Realtek-Codec auf dem Board noch Sinn macht? Immerhin ist noch ein Line-Eingang extra für die Röhrenschaltung vorhanden, so dass man auch externe Quellen ver-röhren kann.

Da wird es nicht lange dauern, bis PC-begeisterte Gitarristen statt "Overclocking" die alte Tradition des "Overdrive" in den PC bringen. Das meint hier nicht Intels Upgrade-Prozessoren der 90er Jahre, sondern die Übersteuerung eines Röhrenverstärkers zum Zwecke verzerrter Sounds. Wie man so einen PC dann noch kühlen soll, ist allerdings eine andere Frage.

Statt besserem Sound nahm sich nach ABITs Vorstellung der "Max"-Mainboards auf der CeBIT MSI dem Problem moderner Schnittstellen an. Allerdings ging Microstar hier konservativer zu Werke und ließ die PS2-Ports sowie eine serielle und parallele Schnittstelle noch leben. Dennoch ist bei der neuen ATX-Blende, die den Boards beiliegt, Platz für vier USB-Ports und ein Mal Firewire.

Fragwürdiger sind da schon die Serial-ATA-Chips, die auf vielen neuen Mainboards zu finden sind. Selbst Prototypen von SATA-Platten mit nativer Übertragung waren nicht zu sehen. Durch die Umsetzung von seriellem zu parallelem ATA geht kräftig Leistung verloren, was erste Benchmarks belegen. Da hätte man sich ruhig noch bis 2003 gedulden können.

Drahtlos billig dank Taiwan

Neben Hammer-Designs und immer neuen Gimmicks stellte die Integration von drahtlosen Netzanbindungen auf Mainboards den stärksten Trend der "Computex 2002" dar. Unter anderem Epox, Gigabyte und MSI hatten entsprechende Produkte aufgefahren. Von MSI und Epox stammt auch die clevere Idee, gleich einen Access-Point per USB an den Rechner zu binden - der in kleineren Netzen meist auch der Server ist. Damit benötigt man für ein WLAN nach 801.11b keinerlei Ethernet-Verkabelung mehr. Das externe Modul soll im Spätsommer auch einzeln zu haben sein.

Besonders erfreulich ist der Preisrahmen, den die Taiwaner für ihre WLAN-Produkte angeben: PC-Cards sollen um 70 Euro kosten, die USB-APs um 100. Damit wäre drahtloses Netzen endlich auch für den SOHO- und Heimbereich bezahlbar.

Das gilt auch für Bluetooth - hier ist von 40 Euro für USB-Dongles die Rede. Wie kompatibel die dann aber sind, muss sich erst noch zeigen. Beim Schlendern mit Nokias 6310 durch die Halle 2 konnten die wenigsten Taiwan-Geräte per Bluetooth gefunden werden. Das mag an Nokias oft gescholtener Bluetooth-Implementierung liegen, die in Taiwan zahlreich vertretenen Ericsson-Handys hatten jedenfalls weniger Probleme. Man testet eben mit dem, was man hat - und das 6310 ist auch in Import-Shops auf der Insel nicht zu haben. Zu groß, zu teuer, ist die Erklärung der Händler. Nebenbei: Nokia-Telefone sind in Taiwan durchaus heiß begehrt, aber nur die winzige 8er-Serie.

Neben etablierten Funk-Standards machten die Computex-Aussteller auch erste Gehversuche mit schnelleren Netzen, auch eine Lösung für 801.11g mit 22 MBit/s war zu sehen.

Fazit

Die Uhren in Taiwan gehen anders - auf keiner anderen Messe gibt es so viele unangekündigte Produkte zu sehen. Dessen müssen sich westliche IT-Größen wohl zunehmend bewußt werden. Die nicht nur gespielte Offenheit der Taiwaner hat jedoch auch völlig positive Effekte. Einmal vor Ort, redet man ungezwungen über Probleme der eigenen Produkte, wie VIAs Beispiel zeigt.

Bisher sind die Hardware-Hersteller der Insel noch recht trickreich darin, aus Referenz-Designs und fast gleich schnellen Chipsets mehr oder weniger innovative Produkte zu machen. Doch wie hart der Konkurrenz-Kampf ist, zeigt die geradezu überschwängliche Aufnahme des Clawhammer: Eine neue Plattform verspricht eben wirklich neue Produkte und damit neue Umsätze. (nie)