Chance für den Arbeitsmarkt

16.10.1998
In einer beispiellosen Initiative treiben Studenten der Technischen Universität und der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden den Anschluß aller 11,000 Uni-Wohnheimplätze an das Campusnetz und das Internet voran. Unterstützt wird das Projekt vom Rechenzentrum, dem Studentenwerk und dem Lehrstuhl Rechnernetze. Auch der DFN-Verein und das Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst schießen Geld zu

Von: Olaf Neumann,Prof.Dr.Alexander Schill, Tino Seifer

Im Jahre 1994 suchte Christian Ahrend als Student der TU Dresden nach einer Möglichkeit, allen Kommilitonen des Dresdner Wohnheims "Fritz-Löffler-Straße" den Anschluß an das Internet zu ermöglichen. Das Studentenwerk erkannte im Zuge dieser ersten Initiative, daß Anschlüsse an das Campusnetz die Attraktivität eines Wohnheims um ein Vielfaches steigern können. Diese Annahme hat sich durch die große Zahl der Interessierten bestätigt. Derzeit nutzen über 800 Studenten die Möglichkeit eines Internet-Anschlusses im Wohnheim.

Nachdem in der Weihnachtszeit 1994 die Zustimmung und die nötigen finanziellen Mittel vom Studentenwerk bereitgestellt waren, konnte im Januar 1995 das erste Dresdner Wohnheim eine dauerhafte Verbindung zum Universitätsrechenzentrum (RZ) aufbauen. Zu diesem Zweck wurden ein Router, drei Repeater und ein Modem vom Studentenwerk beschafft. Das von der Idee sofort begeisterte Uni-RZ stellte ein X.25-Modem bereit. Der Leiter der Abteilung Netze und Kommunikationsdienste Wolfgang Wünsch sicherte den Studenten seine Unterstützung zu. Auf dieser Basis wurden IP-Adressen bereitgestellt und die DNS-Einträge vorgenommen.

Konzept für Anschluß aller Studenten

Im Rahmen der Vernetzung mußte jeder Student nur das Kabel und die benötigten Stecker bezahlen. Die Lösung war dabei allerdings recht rudimentär. Dennoch wurde sie bis Oktober des vergangenen Jahres erfolgreich betrieben. Nun erfolgt eine systematischere Realisierung im Rahmen von Sanierungsarbeiten.

Ein ganz anderes Herangehen zeigte das Projekt Wundtstraße. Im Juli 1995 fanden sich dort 21 Studenten in dem Bestreben zusammen, ebenfalls einen Anschluß an das Universitätsnetz zu erlangen. Das RZ stellte im August 1995 ein Modem zur Verfügung, das den Studenten den Zugang zum Universitätsnetz ermöglichte. Sofort fanden sich im Wohnheim Wundtstraße neun weitere Studenten, die gerne an das Netz angeschlossen werden wollten. Auch diese erhielten Zugang. Das RZ knüpfte daran aber die Bedingung, ein Konzept zu erarbeiten, das allen Studenten des Wohnheimes mittelfristig den Zugang zum Universitätsnetz ermöglichte.

Dabei kam den Studenten der Lehrstuhl Rechnernetze an der TU Dresden zu Hilfe. Über den DFN-Verein und das BMBF (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie) beschaffte man Fördermittel für die Verkabelung und unterstützte die Studenten bei der Beantragung der Verkabelungspläne beim Studentenwerk. Außerdem standen die Mitarbeiter des Lehrstuhls den Studenten ständig mit fachkompetentem Rat zur Seite. So wurde nicht nur eine neue Funkverbindung zur Universität, sondern auch eine 10Base2-Tertiärverkabelung innerhalb des Wohnheimes realisiert.

Günstige Verkabelung als oberstes Ziel

Im Januar 1996 lag ein genereller Verkabelungsplan zur Wundtstraße 5 vor. Dieser gab jedem Studenten die potentielle Möglichkeit, einen Anschluß an das Netzwerk zu erhalten. Später wurde dieser Plan auch für die anderen fünf Gebäude des Wohnheimkomplexes Wundtstraße genehmigt. Heute besitzen mehr als die Hälfte aller Zimmer Anschlußdosen.

Oberstes Ziel der Studenteninitiative war die kostengünstige Verkabelung. Daher suchte man ständig nach neuen Möglichkeiten, mit preiswerten Komponenten ein skalierbares und stabil laufendes Netz aufzubauen. Während in der Wundtstraße 5 noch jede Etage einen Repeater bekam, bauten die Studenten in den folgenden Häusern das Netz nach Bedarf auf. Sie verbanden mehrere Etagen vorerst mit einem unter Linux laufenden Rechner, später kauften sie Repeater (Trust 6 Port) hinzu. Dort, wo der Bedarf weiter stieg, wurden diese über einen Switch (Accton EH 2002) verbunden. Als Server dient ein Pentium 133 mit 100Base-TX-Anschluß. Neben einem Home-Verzeichnis stehen den Nutzern Dienste wie EMail (SMTP, POP3), WWW, News, FTP und DNS zur Verfügung. Auf allen Routern wurde das Betriebssystem "Free BSD" installiert, weil sich damit im Netzwerkbereich ein signifikanter Performance-Gewinn erzielen ließ. Auf den Servern hingegen setzte man wegen besserer Festplatten-Performance auf Linux.

Das Verlegen der Kabelkanäle und der Kabel wird von den Studenten ausgeführt, die den Anschluß wollen. Bei einem Semesterbeitrag von zehn Mark und einer einmaligen Anschlußgebühr von 50 Mark wird der Zustrom an Neuanschlüssen immer größer. Dabei zeigte sich im praktischen Betrieb, daß die Anbindung zum Universitätsrechenzentrum mit 1,5 MBit/s (AT&T WaveLAN) für 400 Nutzer ausreichend ist.

Da ein von Studenten aufgebautes und gewartetes Netzwerk nicht nur einen höheren Lerneffekt hat, sondern auch die Studenten in den einzelnen Wohnheimen näher zusammenbringt, wollte man das Modell Wundtstraße ausdehnen. Neue Wohnheime standen schon im Februar 1996 auf der Antragsliste des Studentenwerks. Gleichzeitig gründeten die Studenten eine Arbeitsgemeinschaft innerhalb des Studentenrates der TU Dresden, die "AG Dresdner Studentennetz" (AG DSN, http://www.wh2.tu-dresden. de/dsn/).

Glasfaser bis zum Backbone

Nachdem die Zuwächse bei den Nutzerzahlen enorm hoch waren, wurde ein Konzept erarbeitet, mit dem es in Zukunft möglich sein wird, allen Studenten der Wohnheime Wundtstraße einen sicheren und schnellen Zugang zum Netz der TU Dresden zu gewähren. Hierzu soll in den nächsten Monaten Glasfaser bis zum Universitäts-Backbone verlegt werden. Den größten Teil der Arbeiten führen wieder Studenten durch. Auch die Kosten müssen durch die Studenteninitiative getragen werden. Im Zuge dieser Arbeiten soll dann auch die Anbindung der Häuser Zellscher Weg erfolgen. Jene wurden durch das Studentenwerk saniert und dabei mit TP-Kabeln der Kategorie 5 ausgestattet. Danach übergab man die Häuser an die AG DSN zur Ausstattung mit aktiven Komponenten.

Parallel zu den Lösungen der Studenten ließ das Studentenwerk 1996 ein Hochleistungsnetzwerk im Zuge der Sanierung des Wohnheimes Güntzstr. 22 errichten. Um den hohen Anforderungen gerecht zu werden, bekamen alle Zimmer eine Twisted-Pair-Dose (Kategorie 5). Diese Leitungen wurden zu maximal fünf Anschlüssen pro Hub (3Com Superstack II) zusammengefaßt und auf einen Switch (3Com, 16 Port, 10 MBit) pro Haus geführt. Als Backbone setzte man einen FDDI-Doppelring ein, der zu einem Cisco-Router mit FDDI-DAS und ATM-Interface führt. Die Anbindung nach außen erfolgte über einen ATM-Anschluß mit 155 MBit/s, der bis zur Universität über eine von der Telekom gemietete Monomodefaser geführt wurde. Die dabei entstehenden Kosten wurden zum Teil auf die Miete aufgeschlagen und zum anderen Teil von den Nutzern über einen monatlichen Beitrag von 20 Mark erbracht. Die Akzeptanz dieser Lösung ist aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen allerdings bisher geringer als die für die Studenten sehr preiswerten, ersten Realisierungsvarianten in den anderen Wohnheimen.

Auf ähnlich hohem Standard wird derzeit das Wohnheim Fritz-Löffler-Straße an das Netzwerk der TU Dresden angebunden. Dabei setzt man auf neueste Kat-6-Kabel, die in Kat-5-Dosen enden.

Beispielloses Projekt in Deutschland

Die AG DSN wird in den nächsten Monaten alle bisher mit einzelnen Studenten abgeschlossenen Verträge übernehmen, beratend neuen Projekten zur Seite stehen, dem Studentenwerk als Partner dienen und bei anstehenden Sanierungen frühzeitig Einfluß auf die Planungsphase nehmen. Dabei bietet die in mehrere Sektionen unterteilte AG keine Netzdienste an, sondern schafft nur Rahmenbedingungen. Die Ausführung, Planung, Verwaltung und Überwachung der einzelnen Wohnheimnetze wird in der Hand der Sektionsverantwortlichen belassen, wobei jeder von ihnen in der Arbeitsgemeinschaft stimmberechtigt ist. Bisher liegen keine Berichte von ähnlichen Projekten vor. Insbesondere die Einordnung der Initiative in den Hochschulrahmen ist ein völlig neuer Weg. So wurde kein eingetragener Verein gegründet, sondern eine von der Studentenschaft getragene Rechtsform gewählt. Damit gelang es, die Zugehörigkeit zur Universität zu untermauern.

Seit nunmehr drei Jahren findet einmal wöchentlich eine "Netzversammlung" statt, auf der technische und organisatorische Probleme erörtert werden. Sie dient auch als Anlaufpunkt für Studenten aus bisher noch nicht vernetzten Wohnheimen. Des weiteren werden aktuelle Probleme gelöst, Neuigkeiten ausgetauscht und das zukünftige Vorgehen festgelegt.

Von Anfang an war diese Gemeinschaft nicht nur auf die TU Dresden beschränkt. Auch Studenten der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden arbeiten aktiv am Aufbau und der Wartung der einzelnen Netzabschnitte mit. Damit wird nicht nur die Kommunikation zwischen den Hochschulen der Stadt Dresden gefördert, sondern auch ein Erfahrungsaustausch der Studenten forciert.

Praxiserfahrung und Teamgeist

Im Gegensatz zu dem vom Studentenwerk aufgebauten Netzabschnitt bekommen die Administratoren in den von der AG DSN betriebenen Wohnheimen keine finanzielle Vergütung. Es muß also einen anderen Grund für die große Beteiligung an der Planung, Ausführung und Erhaltung der Netzwerke geben. Dabei kann man zum einen den Zugewinn an Praxiserfahrung anführen, zum anderen aber auch den Teamgeist, Respekt vor der Arbeit der anderen und den Willen, bessere Lösungen für alle zu schaffen. Daß sich diese Arbeit lohnt, zeigt die große Nutzerakzeptanz.

Nicht nur Studenten der Informatik, sondern auch aller anderen Fachrichtungen nutzen inzwischen die angebotenen Netzwerkdienste. Da das finanzielle Risiko nicht hoch ist, versuchen viele Studenten probeweise den Anschlußkomfort. Dabei kommt es immer wieder vor, daß sich Studenten ohne anfängliche Kenntnisse tiefere Einblicke in die Welt des Netzes und damit bessere Ausgangsbedingungen auf dem Arbeitsmarkt schaffen.

Bevor ein Wohnheimbereich in die AG DSN aufgenommen wird, muß dieser ein detailliertes Finanzierungskonzept und mindestens drei verantwortliche Administratoren bereitstellen. Während die letzteren allein Sache der Studenten in den jeweiligen Wohnheimen sind, versucht die Arbeitsgemeinschaft, bei der Suche nach Finanzkonzepten Hilfestellung zu geben. Dabei gibt es sehr unterschiedliche Ansätze. So konnte sich ein Wohnheim in der Gerokstraße der Unterstützung des Lehrstuhls Rechnernetze erfreuen und erhielt eine erste Anschubfinanzierung im Rahmen einer Forschungskooperation in Zusammenarbeit mit dem Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst. Auch die Vernetzung im Wohnheim Wundtstraße wurde in diesem Rahmen weiter ausgebaut.

Bessere Lehr- und Lernleistungen

Bei einer Verwaltungsratssitzung des Studentenwerkes im Juli 1997 wurde auch dem Aufbau eines Netzes in den Wohnheimen Gerokstraße und Borsbergstraße zugestimmt. Auf der Suche nach der Anschubfinanzierung sprang der Studentenrat mit einem zinslosen Kredit ein. Inzwischen sind auch in diesen beiden Wohnheimen über 100 Studenten mit dem Campusnetz verbunden. Für weitere Wohnheime, sowie Um- und Ausbauten wären durchaus auch Partner in Industrie und Handel denkbar.

Insgesamt trägt das realisierte Netzwerk zu verbesserten Lehr- und Lernleistungen bei. So haben auch Studenten in weiter entfernten Wohnheimen die Chance, beim Lernprozeß entdeckte Lücken schnell und effektiv zu schließen. Es werden dazu nicht nur das WWW, sondern ebenso die von vielen Professoren im Netz bereitgestellten zusätzlichen Materialien genutzt. Dies entlastet die ohnehin ständig überfüllten Rechnerkabinette. Auch das Argument der höheren, durch größere Netzbelastung entstehenden Kosten, ist ad absurdum zu führen. Es zeigte sich nämlich sehr schnell, daß zu einer vertieften akademischen Ausbildung auch das Studium der neuen Kommunikationsmöglichkeiten gehört. Sollte diese nur von seiten der Universität angeboten werden, machen sich enorme Kosten bei der Anschaffung von entsprechender Hardware bemerkbar, die man in diesem Sinne auf die Studenten umlegen kann.

Von den rund 11,000 vorhandenen Wohnheimplätzen werden zur Zeit 800 vom Studentenwerk und 2800 von der AG-DSN mit einer Anschlußmöglichkeit zum Campusnetz versehen. Für weitere Wohnheime werden in den nächsten Monaten zusammen mit der Studenteninitiative Pläne für die Verkabelung und Finanzierung ausgearbeitet. Dabei möchte man natürlich auch in den bereits verkabelten Häusern die Zugänge zum Internet verbessern. So wird schon heute über Glasfaseranbindungen in der Gerokstraße nachgedacht.

(cep)

Olaf Neumann

ist Mitarbeiter am Lehrstuhl Rechnernetze.

Dr. Alexander Schill

ist Professor am Institut Betriebssysteme, Datenbanken und Rechnernetze in der Fakultät Informatik der TU Dresden.

Tino Seifert

studiert Informatik an der TU Dresden und ist stellvertetender Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Dresdner Studentennetz.