Carrier in der Mangel

16.10.1998
Bis zu 50 Prozent ihrer Telefonkosten können Geschäftskunden einsparen, wenn sie der Telekom den Rücken kehren. Kein Wunder, daß bereits 39 Prozent der deutschen Großunternehmen mit Teilen ihrer Telefondienste zu einem neuen TK-Anbieter gewechselt sind. Der Umstieg sollte jedoch sorgfältig vorbereitet werden.

Von: Dr. Werner Schülting

Acht Monate nach dem Fall des Sprachmonopols wickeln bereits eine Reihe bedeutender Großunternehmen ihren Telefonverkehr vollständig über alternative Carrier ab. Dazu gehören ABB, BMW, Karstadt, RTL und SAT 1. Alle hatten zunächst die Anbieter und ihre Leistungen gründlich evaluiert, dann aber zügig entschieden und implementiert, um so die Einsparmöglichkeiten umgehend zu nutzen.

Andere warten ab, weil sie den Privaten noch nicht die notwendige Kompetenz und Erfahrung zutrauen, weil sie an den bisherigen Carrier gebunden sind oder weil ihnen der Carriermarkt für eine solche kritische Entscheidung noch zu unübersichtlich ist. Wieder andere bleiben nach umfangreicher Prüfung des Marktes bewußt bei dem bisherigen Anbieter, weil er die für das Unternehmen optimale Lösung bereitstellt.

Drei Arten der Carrier-Bindung

Tatsächlich ist zwar bekannt, daß im TK-Bereich Ersparnisse erzielt werden können, wie sie auf anderen Feldern kaum erreichbar sind. Gleichzeitig besteht aber Unklarheit über Qualität und Umfang der Leistungen, die Kosten der Umstellung und ihre Risiken.

Unternehmen stehen vor der Aufgabe, die Gratwanderung zwischen Einsparpotentialen und Qualitätsrisiko zu meistern. Dabei ist ein möglicher Ansatz, die bestehende Bindung an den früheren Monopolisten nicht durch eine neue zu ersetzen. Zwischen statischer Abhängigkeit und dynamischer Carrier-Auswahl lassen sich grob drei Typen der Beziehung zu Carriern identifizieren:

Least-Cost-Routing (LCR): Eine Firma schließt mehrere Rahmenverträge mit Carriern ab. Der Router wählt für jedes Gespräch den günstigsten Carrier und leitet es entsprechend über dessen Netz. Vertragliche Bindung an einen festen Carrier. Vertrag mit mehreren Carriern, nach Diensten gebündelt.

Welches dieser Verfahren das beste ist, hängt von den konkreten Randbedingungen ab. Erfahrungen sagen jedoch, daß die dritte Alternative für Unternehmen mit hohem Telefonumsatz geeigneter ist, während die erste Alternative eher für kleinere und mittlere Unternehmen in Frage kommt. Vor- und Nachteile der drei Herangehensweisen zeigt die folgende Übersicht:

Wer der zukünftige Carrier ist, hängt nicht nur von den Kosten ab, auch wenn dieser Aspekt für viele Unternehmen im Vordergrund steht. Es gibt noch eine Reihe weiterer Kriterien, die mitentscheiden: die Zuverlässigkeit und die Erfahrungsgrundlage des Anbieters, seine strategische Position und finanzielle Stabilität, die Ausrichtung und der Umfang seines Produkt- und Diensteangebots, die Qualität seiner Leistung, die Flexibilität im kommerziellen und vertraglichen Bereich, das Qualitäts- und Serviceniveau.

Kriterien für die Anbieterauswahl

Die Zahl der neuen Carrier wächst kontinuierlich. Bis August dieses Jahres hat die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post 96 Lizenzen der Klasse 4 erteilt. Für eine Vorauswahl sollte der TK-Entscheider nur diejenigen näher betrachten, deren Strategie mit den Zielen des eigenen Unternehmens vereinbar ist. Für verschiedene Bereiche (Festnetz national, Festnetz international, Mobilfunk, Daten) kann die Selektion dabei durchaus unterschiedlich ausfallen.

Um den am besten geeigneten Carrier zu finden, ist ein Ausschreibungsverfahren am effizientesten und erfolgreichsten. Es macht die differenzierte Situation im gegenwärtigen Markt transparent. Bild 1 zeigt anhand von zwei Projekten, wie stark sich allein auf der Kostenseite die Carrier unterscheiden. Bei dem Beispiel handelt es sich um zwei unterschiedlich strukturierte Betriebe: ein Großunternehmen an einem Standort (Fall 1) und eines mit vielen Niederlassungen (Fall 2). Je komplexer die Situation, um so stärker die Differenzierung.

Im Einzelfall bestimmen folgende Einflußgrößen die Preisstruktur:

Verteilung des Telefonverkehrs auf Tarifzonen, Umfang des Telefonverkehrs, geographische Struktur, funktionale Anforderungen, Anforderungen an Sicherheit, Dienstegüte, Funktionsumfang.

Ein Wechsel des Carriers muß aber nicht unbedingt das Ziel der Optimierungsbemühungen sein. Die Angebotsauswertung und die anschließenden Verhandlungen können durchaus ergeben, daß ein Kunde beim bisherigen Anbieter bleibt. In aller Regel lassen sich dabei jedoch erhebliche Einsparungen und ein höherer Qualitäts- und Servicegrad erreichen. Auch eine vermeintliche strategische Bindung an einen bestimmten Carrier, zum Beispiel durch Zugehörigkeit zum gleichen Konzern, sollte nicht von einem offenen Auswahlverfahren abhalten. Gerade in dieser Situation sind erhebliche Einsparungen zu erzielen, die durchaus im Bereich von 30 bis 50 Prozent der bisherigen TK-Ausgaben liegen können. Die Wettbewerber beteiligen sich allerdings nur dann an einer Ausschreibung, wenn sie eine faire Chance sehen, zumindest in Teilbereichen auch berücksichtigt zu werden. Eine Scheinausschreibung bringt höchstens kurzfristigen Erfolg.

Der TK-Verantwortliche eines Unternehmens sollte die Auswahl des Carriers nach erprobten Verfahren durchführen. Bild 2 zeigt den Ablauf eines typischen Ausschreibungsprojekts.

Ausschreibung nach erprobten Verfahren

In der Phase "Zielstellung und Anforderungsanalyse" werden, je nach Komplexität des Unternehmens, Interviews oder Workshops durchgeführt, um die allgemeinen Ziele und Anforderungen zu erheben und auszuwerten. Erfahrene Berater verwenden hierbei standardisierte Checklisten, die bereits sinnvolle Anforderungen enthalten. Damit hier nicht praxisfremde Forderungen aufgestellt werden, müssen eingehende Marktkenntnisse über Carrier-Leistungen, Plattformen und Netztechnik vorliegen.

Die Analyse der Ist-Situation ist Grundvoraussetzung für die Qualität, Aussagekraft und Vergleichbarkeit der späteren Angebote. Allerdings ist die Ist-Aufnahme häufig der schwierigste und zeitaufwendigste Projektschritt. Es überrascht oft, daß selbst Großunternehmen nur ungenaue Zahlen über den Umfang und die Art ihres Telefonverkehrs haben. Die Ursachen liegen in dezentralen Zuständigkeiten im Telefonbereich und dem bisherigen Abrechnungsverfahren der DTAG, das nicht kundenbezogen sondern geografisch orientiert war. Die Danet hat in Zusammenarbeit mit der DTAG für verschiedene Großunternehmen mit jeweils vielen hundert Standorten zurückliegende Rechnungsdaten (Einzelgesprächsübersichten) ausgewertet, um daraus Kommunikationsstrukturen abzuleiten. Hier bestand das Problem schon darin, den Kunden unter verschiedensten Namen in mehreren Datenbanken zu identifizieren - einschließlich Schreibfehlern.

Detaillierte Kenntnisse erforderlich

Kenntnisse über Umfang und Struktur des Telefonverkehrs sind besonders kritisch, wenn ein Unternehmen ein Corporate Network betreibt. In diesem Fall muß nicht nur das Telefonvolumen - verteilt auf Tarifgebiete - bekannt sein, sondern auch die Verkehrsbeziehungen (wer telefoniert wann mit wem). Ist dieses Wissen nicht vorhanden, kann sich der TK-Manager mit einem sinnvollen Lastmodell auf der Basis einer stichprobenhaften Ist-Datenerfassung behelfen.

Die Phase "Erarbeitung von Lösungsalternativen" kommt immer dann zum Tragen, wenn eine Lösung unter Einschluß eines unternehmenseigenen TK-Anlagenverbunds verfolgt wird. Welchen Umfang und welche Topologie ein solches Corporate Network optimalerweise annimmt, hängt nämlich stark von den erzielten Konditionen für den öffentlichen Telefonverkehr ab. Je geringer die Telefonkosten für das öffentliche Netz eines Anbieters sind, desto mehr fallen Leitungs-, Technik- und Betriebskosten für das Corporate Network ins Gewicht. Mit Hilfe geeigneter Tools wird in dieser Phase das Netz hinsichtlich Topologie, Netz-, Betriebs- und Migrationskosten optimiert.

Die Netzplanung unterstützt das Unternehmen dabei, auch im Falle reiner Netzdienste-Ausschreibungen Einsparungspotentiale frühzeitig zu erkennen und die Preisangaben der Anbieter zu überprüfen.

Den Kern des Verfahrens bilden die Vorbereitung und Durchführung der Ausschreibung. Die wesentlichen Schritte dieser Phase sind in Bild 3 dargestellt. Zunächst formuliert der TK-Verantwortliche auf der Basis der Anforderungsliste und - soweit möglich - von Standard-Ausschreibungsrahmen den Text. Dabei sind neben den technischen Gesichtspunkten ganz besonders die Aspekte

Zuverlässigkeit des Anbieters, Service, Abrechnungsverfahren, Vertragsstrafenregelung und Preisanpassung

zu berücksichtigen.

Nach Versand der Unterlagen ist ein Katalog zu erstellen, in dem Bewertungskriterien festgelegt und gewichtet werden. Je nach Komplexität des Projekts sollte das Unternehmen bereits in dieser Phase die potentiellen Anbieter zu Workshops einladen, um offene Fragen im Zusammenhang zu klären.

Bindende Vorgaben für Angebote

Im nächsten Schritt werten die TK-Spezialisten die nicht-monetären Teile der Angebote auf der Basis des Katalogs aus und stellen sie den Kosten gegenüber. Anbieterpräsentationen, eventuell auch erst nach einer Vorauswahl, runden das Ergebnis der Auswertung ab und können eine weitere Stütze bei der Entscheidungsfindung bilden.

Für die Bewertung ist es äußerst wichtig, daß die Angebote systematisch vergleichbar sind. Der Telekommunikations-Verantwortliche sollte in der Ausschreibung bindende Vorgaben für den Aufbau formulieren und deutlich machen, daß Angebote, die erheblich davon abweichen, nicht berücksichtigt werden. Nicht zu unterschätzen ist der zeitliche Aufwand für die anschließenden Vertragsverhandlungen. Eine klare und vollständige Ausschreibung reduziert diesen Aufwand zwar, aber die schließlich noch offenen Details nehmen häufig mehrere Monate in Anspruch.

In der letzten Phase wird das Projekt umgesetzt. In einfachen Fällen, etwa bei Anschluß über Preselection, reduziert sich die Arbeit auf das Erheben der lokalen Telefondaten und das Ausfüllen von Formularen. Bei technisch komplexeren Anschlußarten, bei Einbeziehung internationaler Standorte oder bei hohen technischen Anforderungen kann auch diese Phase einen erheblichen Aufwand verursachen.

Basis für effiziente Vertragsgestaltung

Ausschreibungen führen in vielen Fällen zu positiven Ergebnissen. Als wichtigste Vorteile haben sich herauskristallisiert:

Im Wettbewerb lassen sich erhebliche Einsparungen erzielen. Der äußerst komplexe Carriermarkt wird transparent. Die Angebote der Carrier sind vergleichbar. Die Ausschreibung bildet eine Basis für die schnelle und effiziente Vertragsgestaltung.

Es hängt allerdings von der Situation des Unternehmens ab, insbesondere vom Umfang des Telefonverkehrs, in welchem Maße dieses Verfahren übernommen wird. Auch mittelständische Firmen sollten die Mühe einer Ist-Analyse nicht scheuen, um das eigene Einsparpotential beurteilen zu können. Sie sollten sich ein Bild darüber verschaffen, wie kritisch die Qualität - insbesondere die Verfügbarkeit - des Telefondienstes für ihr Unternehmen ist und auf dieser Basis entsprechende Anforderungen an die Leistungen des Carriers definieren. Mit Hilfe von LCR können sie dann jeweils unter mehreren ausgewählten Anbietern den im Einzelfall günstigsten nutzen.

Preisanpassungsklauseln und kurze Vertragslaufzeiten

Die Auswahl eines Carriers kann im extrem dynamischen Markt nicht statisch sein. Die einmal ausgehandelten Preise sind morgen schon veraltet und nicht mehr marktgerecht. Besonders im internationalen Umfeld überbieten sich die Carrier mit ständig neuen Angeboten. Aber auch Technik, Serviceangebot und Mehrwertprodukte sind in ständiger Bewegung. Da bei einem großen Sprachvolumen sehr schnell Millionenbeträge "veschenkt werden", gehen Großunternehmen dazu über, interne Mitarbeiter oder externe Berater zu beauftragen, den Markt und den eigenen Carrier einem kontinuierlichen Monitoring zu unterziehen. Preisanpassungsklauseln und kurze Vertragslaufzeiten - maximal ein Jahr - ermöglichen dann eine flexible Anpassung von Konditionen an den Wandel des Marktes.

Der Umgang mit dem liberalisierten Markt bringt also nicht nur Kostenersparnisse, er stellt das Unternehmen auch vor neue Herausforderungen. (cep)

Dr. Werner Schülting

hat Mathematik und Informatik studiert. Bei Danet leitet er den Bereich IT- und TK-Strategie.