Eine Sourcing-Strategie, die festlegt inwieweit Services intern oder durch einen beziehungsweise mehrere Service-Provider erbracht werden, sollte – anders als in der Vergangenheit - nicht allein anhand von Kosten entschieden werden. Sinnvoller ist es, sie am Geschäftsnutzen und der Unternehmensstrategie auszurichten.
Bei der Betrachtung des Geschäftsnutzens spielen folgende Aspekte eine Rolle:
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Geografische Ausrichtung der Geschäftstätigkeit: Ist das Unternehmen regional fokussiert oder richtet es seine Vertriebs- und Produktionsstandorten international aus? Im zweiten Fall sind lokale Besonderheiten, Sprache und Kultur wichtige Einflussfaktoren. Art der Geschäftsbeziehungen (B2B, B2C): In welcher Beziehung steht das Unternehmen zu seinen Kunden? Muss es Marktnähe zeigen und sich schnell und flexibel auf verändertes Kundenverhalten einstellen können, sollte das Know-how über geschäftskritische Business-Prozesse im Unternehmen verbleiben.
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Branche: Auf welche vertikalen Märkte ist das Unternehmen ausgerichtet? Branchenspezifika können es erforderlich machen, dass bestimmtes Know-how nicht ausgelagert werden darf. Manche Auslagerungen verbieten sich zudem, weil erhöhter Schutzbedarf der zu verarbeitenden Daten besteht. Manchmal ist die interne Leistungserbringung bestimmter Services auch gesetzlich gefordert.
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Unternehmens- und Wettbewerbsstrategie: Je mehr sich ein Unternehmen in eine Marktnische begibt, sich auf Kostenführerschaft ausrichtet oder seine Produkte ausdifferenziert, desto schwieriger wird die Sourcing-Entscheidung. Die Vorteile der Auslagerung ergeben sich meist aus hoher Standardisierung bei geringen Betriebskosten. Geht es dem Unternehmen um Spezialisierung und Innovation, ist es oft gut beraten, die Leistung weiter intern zu erbringen.
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Zentral oder dezentral ausgerichtete Unternehmensorganisation: Wird das Unternehmen eher zentral geführt oder ist es dezentral auf die Besonderheiten der Länder mit jeweils starker lokaler Geschäftsführungs-Verantwortung ausgerichtet? Je dezentraler Entscheidungen fallen, desto sinnvoller dürfte die Inanspruchnahme vor Ort verfügbarer Serviceleistungen sein.
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Geschäftsmodell: Welches Geschäftsmodell verfolgt das Unternehmen? Ist es wichtig, das Wissen um die Kerngeschäftsprozesse im Haus zu behalten? Je mehr fachspezifisches Know-how im Unternehmen verbleiben muss, desto ausgeprägter ist die Tendenz, auch das IT-Wissen im Hause zu belassen oder, sollte es ausgelagert worden sein, es wieder zurückzuholen.
Wer eine Sourcing-Strategie festlegen will, muss das eigene Unternehmen zuvor differenziert betrachten. Aus eigener Erfahrung ziehen wir die Erkenntnis, dass ein pauschales „Full-Service Outsourcing“, wie es noch vor zehn Jahren betrieben wurde, weder die IT-Kosten im prognostizierten Maße gesenkt, noch den erwarteten Geschäftsnutzen und die vom Business erhoffte Servicequalität erzielt hat. Die vom Markt und Vertrieb geforderte Agilität und Flexibilität wurde nur unzureichend unterstützt. Eine Folge war, dass die dezentralen Unternehmensbereiche nach passgenauen, individuellen IT-Lösungen strebten, die oftmals „außerhalb“ des Fullservice-Vertrags entstanden und sich im Lauf der Zeit als anerkannte regionale Standards etablierten. So entstanden nicht unerhebliche versteckte IT-Kosten.
Am Ende der strategischen Überlegungen sollte klar sein, ob ein einheitlicher Outsourcing-Ansatz für alle Unternehmensbereiche oder eine differenzierte Strategie, die passgenau auf die Ausrichtung der jeweiligen Unternehmensbereiche eingeht, sinnvoller ist. Letzteres würde auf eine Multisourcing-Strategie hinauslaufen. Sie muss beantworten, wie viel und welches IT- und Geschäftsprozess-Know-how idealerweise im eigenen Unternehmen verbleiben sollte.
Orientierung braucht ein klares Ziel
Art und Ziele des Sourcing-Vorhabens sowie die Erwartungen der betroffenen Unternehmensbereiche müssen vor dem Start der Sourcing-Umstellung (Transition) unmissverständlich abgestimmt und kommuniziert werden. Jeder Beteiligte muss Sinn und Auswirkungen des Projekts verstehen. Insbesondere bei einem erstmaligen Outsourcing spielen wegen der tiefgreifenden Veränderungen im gewohnten Miteinander von Business und interner IT die organisatorischen Abläufe eine besondere Rolle.
Die kommenden Veränderungen in den Serviceprozessen sollten schon vor der Transition erarbeitet werden. Neue Rollen und Verantwortlichkeiten einschließlich der Abläufe etwa im Fehlerfall oder bei funktionalen Erweiterungen von Anwendungen sind gemeinsam zwischen Business, der im Unternehmen verbleibenden IT (Retained IT) und den Service-Providern abzustimmen, zu schulen und zu erproben.
Ein Beispiel: In einem Praxisfall mussten Anwender auf den Komfort des ursprünglich gewohnten Tickethandling-Systems verzichten, weil eine Vereinheitlichung und Durchgängigkeit der Tickethandling-Systeme angestrebt wurde. Sie war auch die Voraussetzung für den SLA-basierten Regelbetrieb und die Umsetzung eines nachvollziehbaren ticketbasierten Preismodells. Der reduzierte Komfort wurde vom Business nur deshalb akzeptiert, weil hierdurch nachweislich die Kosten des Application Managements erheblich reduziert werden konnten.
Die Erwartungen und die Akzeptanz der Fachabteilungen verändern sich im Zeitverlauf einer Transition und dem anschließenden Regelbetrieb. Hier muss die interne IT aktiv steuern und begleiten. Kommt es zum Eskalationsfall, steigen die Widerstände im Business gegen das externe Sourcing bei unzureichender Einbindung und Kommunikation der Anwender exponentiell.
Ziele des Sourcing der 2. oder 3. Generation
Eine Sourcing-Strategie orientiert sich an der Zielsetzung der Geschäftsprozesse, die durch adäquate IT-Services unterstützt werden sollen. In Abhängigkeit vom Geschäftsnutzen und gesetzlichen Anforderungen ergeben sich daraus individuell festzulegende Ziele je Service wie:
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geringere Kosten für standardisierbare und skalierbare Service-Leistungen;
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kurze Reaktionszeiten durch flexibel und agil zu erbringende Services;
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kundenindividuelle Serviceleistungen;
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Einrichtung neuer Geschäftsprozesse und Modelle durch technische Innovationen.
Bezüglich des Kosten-Managements sollten für das Serviceportfolio folgende Aspekte Berücksichtigung finden:
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klar definierte Zielwerte für Betriebskosten über die Vertragslaufzeit;
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transparente, abgegrenzte Budgets für die jeweiligen IT-Services;
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nachvollziehbares, aussagefähiges Reporting und Messgrößen;
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Definition eines regional tragfähigen, über Benchmarks nachvollziehbaren Preismodells für dedizierte IT-Services.
Bezüglich des Leistungsumfangs und der Leistungserbringung sollten folgende Ziele erreicht werden:
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Erstellung eines Servicekatalogs, der unter Business- und IT-Aspekten vollständig ist.
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Absicherung des Servicekatalogs durch ein konsistentes, marktkonformes SLA/OLA-Modell (SLA/OLA= Service bzw. Operating Level Agreement) mit am Geschäftsnutzen ausgerichteter Incentivierung. Hierzu kommen beispielsweise Pönale, Pain-Share-/ Gain-Share-Modelle sowie das Credit- & Earn-Back-Modell in Frage.
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Berücksichtigung von technischen Innovationen durch vertragliche Verankerung und Klauseln in Service Level Agreements. Das ist abzusichern, durch begleitende Gremien.
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Standardverfahren für Transition und Ausstieg, um schnellstmöglich Anpassung des Servicekatalogs umzusetzen.
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Definition einer Fallback-Strategie mit entsprechenden Optionen für die Service-Level-Vereinbarungen.
Sourcing oder die Qual der Wahl Die Art des Sourcing lässt sich fünf Varianten unterteilen. Unterschieden wird, ob die Leistung…
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im eigenen Unternehmen erbracht wird (etwa von einer IT GmbH),
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aus Interesse an externem Spezialwissen selektiv in Form einer verlängerten Werkbank eingekauft wird (Dienstleistungsvertrag),
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als abgrenzbare Serviceaufgabe – beispielsweise Softwaretests - ausgelagert werden kann (Werkvertrag),
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im Rahmen vollständiger IT-Services von einem oder mehreren Service-Providern gesamtverantwortlich erbracht wird (SLA-gesichertes Service-Paket) oder
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ob sie als IT-Produkt oder Funktion aus der Cloud bezogen wird.
Der Ort der Leistungserbringung beeinflusst die Kosten erheblich, da sich die Lohnniveaus in den verschiedenen Ländern stark unterscheiden. Aufgrund gesetzlicher Gegebenheiten kann jedoch die Wahl des Ortes einer Leistungserbringung eingeschränkt sein. Für jeden Service ist daher festzulegen, ob er im Unternehmen oder durch einen oder mehrere Service Provider erbracht wird. Kommt es zur Auslagerung, kann dies vor Ort (Onshore), innerhalb Europas (Nearshore), von einem anderen Kontinent (Offshore) oder im gleichen Land mit Konzentration auf Randgebiete mit niedrigerem Lohnniveau (Farmshoring) erbracht werden.
Im Fall von Cloud Services ist der Ort der Service-Erbringung möglicherweise sogar unklar und abzuklären. Wer sich auf eine Sourcing-Art festlegt, muss sicherstellen, dass er Ziele wie Kostensenkung, Flexibilisierung, mehr Individualität, angemessener Datenschutz und Sicherheit erreichen kann. Um die künftige Art des Sourcing festlegen zu können, sollten die Services optimal strukturiert sein. Eine Möglichkeit wäre die grundlegende Unterteilung nach Services für die IT-Infrastruktur mit den Bereichen Anwender Computing, Netzwerke und Rechenzentrumsbetrieb sowie nach Services für das Application Management mit Wartung und Anwendungsbetrieb.
Die Bereiche des laufenden Betriebs werden dem „Run“ zugeordnet. Unter „Change“ sind projektbasierte neue IT-Lösungen einschließlich Infrastruktur und Anwendungsentwicklung oder die funktionalen Erweiterungen vorhandener IT-Lösungen zu verstehen. Die Sourcing-Strategie kann für Change und Run differenziert gewählt oder aber durchgängig einheitlich getroffen werden. Neu realisierte IT-Lösungen des Change-Bereichs werden zum Ende der Fertigstellung mittels Transition-Prozess an den Run Bereich übergeben. Erweiterungen bestehender IT-Anwendungen werden im Rahmen des Application Lifecycle Managements als Service-Erweiterungen implementiert.
Infrastruktur Services sind die klassischen Bereiche für externes Sourcing. Diese werden oftmals zentral durch einen Service Provider oder für dedizierte Services durch lokale Provider vor Ort erbracht. Hier geht es in erster Linie darum, Kosten zu senken und Ressourcen effizienter zu nutzen. Entscheidenden Einfluss auf den Kostenhebel haben das Lohnniveau am Ort der Leistungserbringung, der Standardisierungsgrad der Infrastruktur, Mengenvolumen, Skalierbarkeit, der Stand der Technik und die Möglichkeit, Synergieeffekte zu nutzen.
Bei Services im Bereich Application Management geht es im ersten Schritt um eine klare Strukturierung des Anwendungsportfolios nach einem funktionsorientierten Anwendungsbereich. Weiterhin sind die Anwendungen in Bezug auf Business-Kritikalität, Redundanz des Anwendungsbereichs, Standardisierungsgrad sowie Alter und technischem Stand der Anwendungsarchitektur zu bewerten. Überlegungen zu Ablösung von Altanwendungen, Konsolidierung redundanter Lösungen, Harmonisierung von Geschäftsprozessen als Grundlage für gemeinsam genutzte Anwendungen, Stabilisierung des Anwendungsbetriebs, Modernisierung der Architektur sind Ausgangspunkt für die Entscheidung der Sourcing-Art.
Mit Hilfe von Methoden des Portfolio-Managements können die Services nach Art der Leistungserbringung im Verlauf des Gesamt-Sourcing-Vertrags gemanagt werden. Einen interessanten Ansatz liefert hier das optimierte Attraktivitätsportfolio von Zimmermann/ Pohl, das die jeweiligen Services hinsichtlich der Dimension strategische Relevanz und Sourcing- Variante einordnet . Der strategische Beitrag beziehungsweise Business-Nutzen des jeweiligen Service wird in diesem Ansatz über eine unternehmensindividuell definierte Balanced Scorecard ermittelt, welche die entscheidende Stellschraube für die Art des Sourcing ist. In Bezug auf das gesamte Service-Portfolio ist eine realistische Laufzeit für den Gesamtkontrakt festzulegen.
Um flexibel und wirtschaftlich zu bleiben und neue Services einführen oder vorhandene schnell ändern zu können, gilt es, die Transitions- und, falls erforderlich, auch die Ausstiegsphase durch standardisierte Prozesse effizient und kurz zu gestalten. Organisatorisch ist die interne IT zuständig; sie übernimmt die Aufgaben eines zielgerichteten Service-Portfolio-Managements, des Business Alignments und des Service Designs inklusive Sourcing-Auswahl.
Handlungsempfehlungen
Unternehmen, die in der Multi-Sourcing Welt der IT erfolgreich sein wollen, sollten zunächst die geeignete Strategie erarbeiten und daran dann das Service- und Sourcing-Design ausrichten: Orientieren Sie Ihre Sourcing-Strategie ausschließlich an der Unternehmensstrategie und dem Geschäftsnutzen. Das setzt einen engen Austausch zwischen Business und IT voraus. Das Kostenargument ist nicht das allumfassende Entscheidungskriterium. Leiten Sie Art und Form des Sourcing aus ihren Business-Anforderungen ab.
Konkretisieren Sie diese als Bestandteil des jeweiligen Service im Service Design. Hierbei sind auch innovative Ansätze in Bezug auf Service Solutions zu berücksichtigen. Sie erfordern ein entsprechendes Innovations-Management. Nutzen Sie Ihre Kenntnis der Unternehmens- und IT-Architektur als Voraussetzung für flexibles Sourcing im Rahmen einer Multi-Provider-Strategie. Dokumentieren Sie diese in Form einer Enterprise-Architecture und einer Configuration Management Database (CMDB). Nur auf diese Weise lassen sich Auswirkung von Service-Änderungen auf Geschäftsprozesse nachvollziehen und bewerten.
Minimieren Sie die Komplexität beim Multi-Sourcing durch Beschränkung auf wenige Anbieter und sorgen sie dafür, dass ihre Serviceketten eine geeignete, nicht ausufernde Granularität aufweisen. Reflektieren sie den Gesamtumfang des Sourcing-Spektrums für ihr Unternehmen (interne, externe oder anonyme Leistungserbringung) auf der Basis ihrer Sourcing-Strategie und ihres Service-Portfolios. Der nächste Teil der Serie beleuchtet die zukünftigen Herausforderungen der internen IT: Worauf muss sie sich in einer Multi-Sourcing Welt der 3. Generation einstellen? (qua)