Blaues Wunder

28.04.1999
Mit anspruchsvoller Technik sucht Silicon Graphics im Markt der Workgroup-Server Fuß zu fassen. Der Test mit dem Webstone-Benchmark offenbart die Qualitäten der kleinen Multiprozessormaschine beim Intra- und Internet-Einsatz.

Von: Thomas Weihrich

Eher als Hersteller von Grafikworkstations denn als Serverproduzent hat sich der Sun-Konkurrent Silicon Graphics (SGI) in Deutschland einen Namen gemacht. Daß der Hersteller auch Anwendungsserver für die Workgroup-Ebene liefert, vermuten nur wenige Anwender. Vielleicht zu unrecht, wie eine nähere Betrachtung von SGIs Einstiegsmodell Origin 200 zeigt.

Die Origin 200 kommt in einem für den Hersteller typischen Erscheinungsbild: Statt in tristem Grau und Beige ist das Towergehäuse in Dunkelblau gehalten. Die Außenhaut läßt sich auch demontieren, um das System in ein 19-Zoll-Rack einbauen. Diese Option bietet sich insbesondere dann an, wenn mehrere Systeme als Cluster betrieben werden sollen oder die I/O-Erweiterungseinheit "Gigachannel" zum Einsatz kommt.

Der Hersteller setzt seit der Einführung der aktuellen Origin-Produktlinie nicht mehr auf die verbreitete SMP-Architektur (SMP = Symmetric Multiprocessing), sondern auf cc-Numa-Technik. cc-Numa steht für "Cache coherent non uniform Memory Access", eine Architektur, bei der jeder Prozessor im System über einen eigenen Hauptspeicherbereich verfügt und mittels einer sogenannten Crossbar an die anderen Prozessoren angebunden ist. Eine Crossbar ist eine Art aktiver Kreuzschienenverteiler, der nicht die Bandbreitenbegrenzung gängiger Daten- und Adreßbussysteme aufweist. Im Gegensatz zu SMP-Systemen greifen die Prozessoren dabei nicht auf einen gemeinsam genutzten Hauptspeicher zu, sondern versuchen, so viele Zugriffe wie möglich im lokalen Speicher zu halten, um die Latenzzeiten zu minimieren. Erst wenn ein Zugriff auf den Speicher einer anderen CPU not-wendig ist, fließen Daten über die Crossbar.

Dem Serviceprozessor entgeht nichts

Um die Skalierbarkeit zu verbessern, hat der Hersteller die Origin 200 mit einer Schnittstelle versehen, über die sich die Crossbar-Switches zweier Geräte koppeln lassen. Dank dieser "Craylink Interconnect" getauften Schnittstelle verdoppelt sich im günstigsten Fall die verfügbare Hauptspeicherbandbreite.

Die CPUs der Origin 200 sind auf einer Steckkarte angeordnet und lassen sich bei Bedarf gegen neue oder höher getaktete CPUs austauschen. Der Cache ist, ebenso wie der bis auf 2 GByte aufrüstbare Hauptspeicher, mit Fehlerkorrektur versehen. An Schnittstellen bietet das System drei PCI-Slots, Ultrawide SCSI, Fast-Narrow-SCSI und Fast-Ethernet nach den Standards 10BaseT und 100BaseTX sowie einen Parallel-Port. Die beiden seriellen Schnittstellen übertragen dem Hersteller zufolge bis zu 460 kBit/s. Intern finden zwei 5,25-Zoll-Geräte und sechs 3.5-Zoll-Festplatten Platz. Letztere werden in einen Hot-Swap-Einbaurahmen eingesetzt, der den Festplattenwechsel vereinfacht. Als Ersatzteil oder Zubehörteil ist er allerdings mit circa 300 Mark recht teuer. An Massenspeicher unterstützt die Origin 200 maximal sechs interne Festplatten mit momentan bis zu 18 GByte. Silicon Graphics hat beim Design der Maschine offenbar Wert auf eine hohe Verfügbarkeit gelegt: Die Origin 200 verfügt über einen Serviceprozessor; der Zugriff darauf erfolgt über den AUX-Port, der gleichzeitig als serielle Schnittstelle dient. Integrierte Sensoren melden Innentemperatur, Betriebszustand der Lüfter und andere kritische Systemzustände an diesen Serviceprozessor, der bei Normab-weichungen Alarm schlägt. Neben reinen Überwachungstätigkeiten ist der Prozessor auch in der Lage, das System aus- und einzuschalten - dies übrigens auch per Modem, so daß der Systemverwalter bei Bedarf das System auch aus der Ferne steuern kann.

Für den Test stellte Silicon Graphics ein Exemplar mit 1 MByte Cache-Kapazität pro CPU zur Verfügung. Benchmarks neuerer Systeme mit jetzt 2 MByte Cache dürften etwas bessere Ergebnisse erzielen als die des Testsystems. Der Rechner verfügte über zwei CPUs mit 1 GByte Hauptspeicher und einer 9-GByte-Systemplatte.

Komplette Systemsoftware

Der mechanische Aufbau des Systems entspricht dem Stand der Technik. Mit wenigen Handgriffen läßt sich die Gehäuseabdeckung entfernen. Darunter kommen drei Lüfter zum Vorschein, die die CPUs sowie das Festplatten-Subsystem mit einem stetigen Luftstrom versorgen. Die einzelnen Festplatten befinden sich in Kunststoff-Wechselrahmen, die sich mit einem Handgriff entriegeln lassen. Die Paßform der Wechselrahmen ist sehr gut, der Austausch von Festplatten damit problemlos. Ebenfalls sehr unkompliziert gestaltet sich der Zugriff auf die PCI-Steckplätze: Diese liegen nach Abnehmen der Gehäuseabdeckung frei und lassen sich mit wenigen Handgriffen bestücken. Insgesamt macht die Origin 200 hinsichtlich ihrer Verarbeitungsqualität einen sehr guten Eindruck. Einzig die Metallfrontblende ist etwas anfällig gegenüber unsanfter Behandlung.

Das im Lieferumfang enthaltene Betriebssystem Irix 6.5 Advanced Server Edition entspricht den gängigen Konformitätsanforderungen einschließlich der Y2k-Spezifikation von Unix/Open. In der Version für cc-Numa-Server, die als "Cellular Irix" vermarktet wird, läuft es auf Systemen mit bis zu 512 CPUs und 256 GByte Hauptspeicher. Hinsichtlich der Programmierung unterstützt es sowohl Message Passing als auch das Shared-Memory-Programmiermodell über den OpenMP-Standard sowie die bekannten shmem-Systemaufrufe.

Cellular Irix bietet zwei Möglichkeiten, ein cc-Numa-System einzusetzen: entweder als Single System Image oder als partitionierte Systemumgebung (Partitioned System Environment). Im ersteren Fall wird das System in einzelne Zellen aufgeteilt (partitioniert). Diese enthalten typischerweise 64 CPUs und unterstützen ein Shared-Memory-Programmiermodell. In der partitionierten Systemumgebung teilt das Betriebssystem die Ressourcen in mehrere logische Hosts auf. Diese behandelt es als Cluster, indem es Hard- und Software-Fehler eingrenzt und bei Ausfall eines Knotens für ein Failover sorgt. Außerdem enthält das Betriebssystem ein integriertes Checkpointing für Applikationen: Sollte ein Anwendungsprogramm abstürzen, so ermöglicht die Systemsoftware, den Betrieb beim letzten Checkpunkt wieder aufzunehmen, und er- spart den Neustart der Applikation.

Außerdem sind in der Systemsoftware verschiedene Funktionen und Programme enthalten, die die Interoperabilität mit anderen Systemen gewährleisten. Hierzu gehören das "Network File System" (NFS), ein Client für Novell Netware, das Freeware-Programm "Samba", das Unix-Plattformen die Funktion eines Windows-Servers verleiht, "Xinet Appletalk" sowie die Unterstützung für Apple- und DOS-Dateisysteme. Compiler und Entwicklungssystem sind nur gegen Aufpreis erhältlich, allerdings liefert Silicon Graphics auf Wunsch den GNU-C-Compiler kostenlos mit aus. Insgesamt bietet der Lieferumfang keinen Anlaß zur Kritik.

Als Systemdokumentation erhält der Anwender zwei spiralgebundene Handbücher sowie ein Faltposter, das den mechanischen Aufbau und die Inbetriebnahme des Systems beschreibt. Zusätzliche Dokumentation findet sich online; bei Bedarf läßt sie sich auch ausdrucken. Die Qualität der Dokumentation verdient Lob, auch wenn sie nur auf Englisch vorliegt. Sie ist leicht verständlich, geizt nicht mit Illustrationen und vermittelt auch dem Einsteiger das Gefühl, daß der Hersteller den Einsatz des Systems so einfach wie möglich gestalten möchte.

Die Administration des Systems erfolgt entweder über die grafischen oder web-basierten Tools, die im Lieferumfang enthalten sind. Unix-gewohnte Anwender können die Systemverwaltung auch über die Shell vornehmen. Erfreulich ist, daß die meisten Konfigurationsänderungen mit Ausnahme von Änderungen an der Hardware oder an einigen wenigen Kernelvariablen keine Reboot erfolgen. Somit sollte das System auch mehrere Monate Betrieb überstehen, ohne neu gestartet werden zu müssen.

Im Testbetrieb legte die Origin 200 ein absolut fehlerfreies Verhalten an den Tag. Die Aufgaben, die sie im Rahmen des Tests zu erledigen hatte, führte sie ohne Abstürze oder unerklärliches Verhalten aus. Während des gesamten Tests überzeugte sie durch Zuverlässigkeit, sehr hohe Geschwindigkeit und I/O-Leistung und vor allem dadurch, daß sie sich nahtlos in das Testnetz aus Sun Sparc 20 unter Solaris 2.6, Digital Alpha unter Digital Unix 4.0, BSDI-Unix, Windows NT und Apples MacOS integrierte. Als File-Server und Intranet-Server bot sie dabei eine exzellente Leistung. Beispielsweise vermochte sie als NFS-Server eine 590 MByte große Datei in einer Minute und 41 Sekunden auf die Festplatte zu sichern, beim FTP-Dateitransfer erreichte sie über ein 100-MBit/s-Halbduplex-Netz Datenraten von etwa 9,8 MByte/s, und als Web-Server bot sie in Verbindung mit dem Netscape Enterprise Server 3.5.1, einen Durchsatz, der nahe am theoretischen Maximum des Netzwerkmediums liegt (siehe Benchmark).

Bei jedem Benchmark stellt sich die Frage, inwieweit sich die Testergebnisse auf den Praxisbetrieb übertragen lassen. Für den Webstone läßt sich hier eine relativ einfache Aussage treffen: Unter Zugrundelegung eines praxisüblichen Netzwerkanschlusses mit einer Bandbreite zwischen 2 und 34 MBit/s sollte ein Web-Server, der in der Lage ist, ein 100 MBit/s-Netzwerk zu sättigen, für normale Anwendungen mehr als ausreichen. Damit dürfte eine solche Maschine auch über genügend Leistungsreservern verfügen, um mehrere Netzwerkanschlüsse zu bedienen oder im Intranet ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Treten allerdings schon bei relativ wenigen Client-Zugriffen Fehler auf, so ist der Server unterdimensioniert und sollte durch eine leistungsfähigere Plattform ersetzt werden.

Insgesamt ist Silicon Graphics mit der Origin 200 dank ihrer cc-Numa-Architektur und der daraus resultierenden hohen Speicher- und I/O-Bandbreite ein außerordentlich leistungsfähiger Workgroup-Server gelungen. Der Rechner braucht den Vergleich mit der Konkurrenz von Sun, HP oder IBM nicht zu scheuen. Dank der Erweiterbarkeit auf bis zu vier Prozessoren, 4 GByte Hauptspeicher und zehn 10 TByte Massenspeicher sollte die Origin 200 auch größeren Aufgaben als Datenbank-, File-, Application oder Inter-/Intranet-Server gewachsen sein. Aufgrund der zuverlässigen Funktion während des Tests, der großen Erweiterungsfähigkeit sowie der hochgradig skalierbaren Architektur ist die Origin 200 bei einem Einstandspreis von etwa 28 000 Mark für die Ein-Prozessor-Grundversion ein attraktives Angebot, dessen Preis-Leistungs-Verhältnis schwer zu schlagen sein dürfte. (ch)