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17.11.2000
Verkehrte Welt: Mussten sich Arbeitnehmer bisher bei Arbeitgebern um einen Job bewerben, so ist dies - zumindest in der IT-Branche - momentan genau umgekehrt. Die Damen und Herren Spezialisten lassen bitten, und Personalchefs müssen sich verschiedener Mittel bedienen, um Fachkräfte für ihr Unternehmen zu gewinnen.

Von: Franz Xaver Fuchs

Die Zahlen verheißen nichts Gutes. 75 000 IT-Fachleute, sagen Experten, suchen Deutschlands Unternehmen derzeit. In zwei Jahren sollen es bereits 350 000 sein, und bis zum Jahr 2010 steigt nach einer Hochrechnung des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung der Bedarf an Fachkräften in der Informations- und Telekommunikationsindustrie hierzulande um 750 000 Stellen. Ob die jemals besetzt werden können, scheint fraglich. Gerade mal 5400 Studenten werden in diesem Jahr ihr Informatikstudium abschließen. Zwar haben sich heuer im Vergleich zum Vorjahr fast doppelt soviel junge Menschen vom IT-Boom mitreißen lassen und ein solches Studium begonnen, diese rund 19 000 Absolventen machen sich aber frühestens in fünf Jahren auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. An Aktivitäten, den Bedarf an Spezialisten zu decken, mangelt es nicht.

Die Hamburger Unternehmensberatung Mummert + Partner - selbst auf der Suche nach rund 350 IT-Fachkräften - hat einen Ideenwettbewerb für Studenten ausgeschrieben, die Gewinner können kostenlos drei Monate lang in verschiedenen europäischen Metropolen die Praxis der New Economy kennenlernen. Die Bundesanstalt für Arbeit hat eine Vermittlungsbörse ins Internet gestellt. Der private Suchdienst (wer-weiss-was.de) will bereits über eine halbe Million Experten vermittelt haben. Die Industrie- und Handelskammern melden für dieses Jahr 6500 Absolventen in IT-Berufen, im nächsten Jahr werden doppelt so viele erwartet. Die Technische Universität München hat das Hightech-Masterprogramm (Master of Science in Communications Engineering) ins Leben gerufen, das in zwei Jahren zum Kommunikationstechniker mit Schwerpunkt Mobilfunk, Internet und Multimedia ausbildet.

Personalmarketing

Dennoch: Den Unternehmen bleibt es nicht erspart, umzudenken und aktives Personalmarketing zu betreiben. "So wie sich früher der Bewerber bei der Firma vorgestellt und um einen Job gebeten hat, so ist es jetzt einfach umgekehrt", sagt Kristina Mankus, "das muss man als Firma einfach verstanden haben." Die 34-jährige Geschäftsbereichsleiterin IT bei der DIS AG weiß, wovon sie spricht. In den letzten vier Jahren hat die Managerin 24 Niederlassungen mit annähernd 400 Mitarbeitern in Deutschland aufgebaut und dafür entsprechendes IT-Personal gesucht.

Die DIS AG vermittelt als Personaldienstleister jährlich einige Hundert IT-Fachkräfte. Für die Rekrutierung bedient sich Mankus mehrerer Wege. Neben den klassischen Printmedien, wo die Resonanz nach Auskunft der Managerin "nicht die Allerbeste ist", geht das Unternehmen sehr stark in den Bereich Internet. Hier lohne es sich, nicht nur aktiv Angebote zu schalten, sondern auch in den diversen Web-Jobbörsen Gesuche zu durchforsten. "Wir haben festgestellt, dass die Qualität der Bewerber im Internet einfach sehr gut ist", sagt Mankus.

Empfehlungen sind am erfolgreichsten

Der erfolgreichste, wenn auch schwierigste Weg sei aber der über Empfehlungen, weil die Kandidaten hier dem Unternehmen mittel- und langfristig am meisten Effizienz bringen würden. Eigene Messeauftritte hingegen, in deren Rahmen zwar Bewerbungsgespräche stattfänden, "allerdings mehr auf einer oberflächlichen Art", dienten mehr der Imagewerbung. Präsent sei DIS zwar auf CeBIT oder Systems sowie den einschlägig bekannten Personalmessen, "aber es ist nicht so, dass wir mit einigen festen Anstellungsverträgen wieder heimfahren", bekennt Mankus. Auch das Gehalt sei "nicht der wirklich entscheidende Faktor für einen qualifizierten Bewerber, zu uns zu kommen". Viel wichtiger sei das Angebot an zusätzlichen Karriere- und Weiterbildungsmöglichkeiten, denn die vorstellig werdenden Fachkräfte "wollen interessante Firmen und Projekte kennenlernen, wo sie sich fachlich einbringen und weiterentwickeln können".

Prämien und Sachpreise

Die Vergütung spielt beim Gerangel um die besten IT-Fachkräfte bei Viag Interkom sehr wohl eine bedeutende Rolle. Personalleiter Joachim Kugoth macht hier nicht viel Aufhebens. "Wir loben seit einiger Zeit intern Prämien aus und das ist sehr effizient", sagt der Viag-Manager. Ein lohnenswerter Nebenjob für die Mitarbeiter des Münchener TK-Dienstleisters. In der Regel gibt es pro vermittelte Stelle - in Abhängigkeit von Arbeitsplatz und -markt - 1000 bis 10 000 Mark. Zusätzlich lockt das Unternehmen mit Sachpreisen. So hat Viag vor einigen Wochen eine Safari verlost. Der Lohn: "Innerhalb von zwei Monaten haben wir hundert Leute rekrutiert", sagt Kugoth nicht ohne Stolz.

Das Ködern mittels Prämie sei deshalb sehr effizient, weil Viag-Mitarbeiter kaum Empfehlungen aussprechen würden, von denen sie nicht überzeugt seien, dass sie zum Unternehmen passten. "80 Prozent dieser Bewerbungsgespräche", erzählt Personalchef Kugoth, "führen zu einem Angebot von uns." Hintergrund dieser in jeder Hinsicht professionellen Rekrutierungsmethode: "Unsere Wunschvorstellung ist es auch, dass der Bewerber nicht alleine kommt, sondern gleich noch ein paar weitere Kandidaten aus dem alten Umfeld mitbringt, damit er sofort im gewohnten Team loslegen kann". Schlecht für den früheren Arbeitgeber, der unter Umständen vor dem Problem steht, genau diese Lücke füllen zu müssen.

Vor einigen Monaten hat Viag mit der Personalrekrutierung in Osteuropa begonnen. "In Deutschland ist der Markt leer gefegt und die westeuropäischen Länder können Sie vergessen", sagt Kugoth. Auch Bernhard Rohleder, der Geschäftsführer des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien (Bitkom), hat am Rande der Münchener Messe Systems heftig die Alarmglocken geläutet. Bis 2003 würden in Westeuropa 22 Millionen IT-Fachkräfte benötigt, sagte Rohleder und forderte eine aktive Einwanderungspolitik. In östlichen Staaten wie Estland, Rumänien oder Kroatien arbeitet Viag deshalb mit ortsansässigen Consulting-Firmen zusammen, die Bewerbungen von Tageszeitungsangeboten filtern. Diese Methode habe sich als "sehr effektiv" herausgestellt, regelmäßig sei es gelungen, osteuropäische IT-Spezialisten nach München zu bewegen.

Stellenanzeigen

Auch in Deutschland versucht das TK-Unternehmen junge Leute durch Anzeigen - vor allem in Fachblättern - zu gewinnen, denn vom "Arbeitsamt kommt nix", wie Kugoth sagt. Begründung: Meistens würden diese Kandidaten aufgrund ihres Alters nicht mit dem Arbeitsumfeld - das Durchschnittsalter bei Viag ist 32 Jahre - zurecht kommen. Die Arbeitsbelastung sei extrem hoch, Ziele würden sich schnell ändern, was enorme Flexibilität erfordere, und "wenn Sie einmal 50 Jahre sind und andere Arbeitsverhältnisse kennengelernt haben", sagt Kugoth, "dann können Sie sich bei uns kaum mehr richtig einleben".

Selbst ein wenig zu kämpfen hat Viag mit der Rekrutierung via Internet. Zum einen biete dieses Medium eine einfache und schnelle Form der Bewerbung, andererseits hätten viele Angebote "E-Mail-Charakter, aus dem die Qualifikation des Kandidaten aufgrund der schlechten Strukturierung nicht recht hervorgeht". Wie das in Zukunft verbessert werden soll, stehe derzeit zwar noch nicht fest, allerdings erhalte das Internet als Rekrutierungsplattform eine immer größere Bedeutung, allein wegen der zunehmenden Zahl von Online-Bewerbungen.

Attraktive Gehälter

Neben attraktiven Gehältern ("Die hohe Arbeitsbelastung muss sich in der Vergütung widerspiegeln") lockt Viag mit zusätzlichem Nutzwert. Ab sofort erhalten alle außertariflich bezahlten Mitarbeiter (Jahressalär ab 130 000 Mark brutto) einen Firmenwagen - unabhängig von der betrieblichen Notwendigkeit. Außerdem wird vom kommenden Januar an für alle Mitarbeiter ein Stock-Options-Programm eingeführt.

Wem soviel Gutes widerfährt, muss natürlich gewisse Anforderungen erfüllen. "Wir erwarten Engagement, kalkulierbare Risikobereitschaft und Selbstständigkeit, denn bei uns sind aufgrund des schnellen Wachstums viele Dinge nicht geregelt", sagt Kugoth. Führungskräfte, die zum Beispiel eine detaillierte Arbeitsteilung gewohnt seien, müssten sich "erst an uns gewöhnen", sagt der Personalchef. Außerdem müssten Bewerber Prioritäten setzen können und sich selbst gut motivieren können.

Pionierarbeiter sucht Jens Wagner, der Personalreferent des Ulmer E-Business-Spezialisten Openshop. "Wir sind in der Aufbauphase und benötigen Unternehmer im Unternehmen." Um die zu bekommen, ist der am Neuen Markt notierten Firma jedes Medium recht - Internet, Zeitung, Kontakte, Messen, private Vermittlungsagenturen oder Arbeitsamt. Die besten Erfahrungen hat Wagner mit Direktansprachen im Internet und auf Zeitungsanzeigen von Suchenden gemacht. Ganz im Gegenteil übrigens von Viag. "Nur wenn die Not ganz groß ist, schauen wir auf die Anzeigengesuche", sagt Viag-Manager Kugoth.

Die Zahl der derzeit rund 150 Mitarbeiter bei Openshop soll sich nach Plan bis Ende nächsten Jahres verdoppeln. Dafür benötigt das Unternehmen Spezialisten für die Bereiche Softwareentwicklung, Support, Business Development, Marketing- und Projektmitarbeiter. Den Weg zum Millionär will Openshop Bewerbern nicht weisen, denn mit Konzerngehältern kann sich die Firma nicht messen. "Wer darauf aus ist, das höchste Gehalt zu bekommen und sich mit fünf verschiedenen Unternehmen unterhält, kommt definitiv nicht zu uns", sagt Jens Wagner denn auch unmissverständlich. Dies passe aber auch ganz gut zusammen, "weil das nicht die Leute sind, die wir brauchen". Bei Openshop, so der Personalreferent, könne sich jeder fachlich und persönlich entscheidend weiterentwickeln. "Wir bieten mehr als Geld für geleistete Arbeit", sagt Wagner. Neben diversen Aktionen, welche die Motivation steigern sollen (Ausflüge, Freikarten, sportliche Aktivitäten et cetera) sei es maßgebend, "daß unsere Mitarbeiter an ihrer Arbeit erkennen können, dass ein Erfolg für das Unternehmen herauskommt."

Nach Auffassung der CDI Deutsche Private Akademie für Wirtschaft GmbH haben Quereinsteiger beste Chancen in der IT-Welt (siehe Kasten auf Seite 94). Denn die Nachfrage nach Entwicklern, Netzwerk- und Datenbank- sowie Multimedia-Spezialisten sei ungebrochen, wie CDI in einer Stellenmarktanalyse festgestellt hat. Demnach wird nur in jedem zweiten Stellenangebot ein Studium oder eine entsprechende Berufsausbildung vorausgesetzt. "Wenn wir ohne Quereinsteiger auskommen müssten, könnte niemand mehr vernünftig arbeiten", sagt Microsoft-Personalleiter Andreas Benkowitz. Probleme mit Quereinsteigern dagegen hat Jens Wagner von Openshop, "weil wir stark wachsen und unsere Ziele erfüllen müssen". Ein Quereinsteiger hingegen binde eine gestandene Kraft für einen längeren Zeitraum. Allerdings: Wenn einer fachlich topfit sei und wegen seiner Persönlichkeit nicht zum Unternehmen passe, "würden wir ihn trotzdem nicht bei uns einstellen".

In die gleiche Kerbe haut Kristina Mankus von DIS. "So jemanden stelle ich nicht ein. Das Fachliche kann man sich aneignen, das Menscheln aber, das haben Sie oder eben nicht." Was aber nicht bedeute, dass die DIS ein Wallfahrtsort für IT-Ahnungslose sei. Beide Aspekte, das Fachliche und das Menschliche, müssten stimmen, sagen Mankus und Wagner einstimmig. Für Viag-Personalchef Joachim Kugoth sind Quereinsteiger "ein Thema". Sehr gute Erfahrungen habe das Unternehmen damit gemacht. "Da gibt es vielfältige Karrieren bei uns", sagt Kugoth. So sei es durchaus normal, dass zum Beispiel Diplom-Biologen bei Viag Programme entwickeln. "Wir legen nicht so viel Wert auf eine Universitätsausbildung, wichtig ist uns das Know-how."

Hochschulmarketing

An Studenten freilich zeigt sich Viag dennoch sehr interessiert. So erhalten von Professoren empfohlene Studenten von dem Unternehmen ein Stipendium in Höhe von monatlich 500 Mark - allerdings erst ab dem sechsten Semester. Ab diesem Zeitpunkt will der Konzern versuchen, junge und gut ausgebildete Menschen an sich zu binden. Hochschulmarketing steht bei Openshop ab Anfang kommenden Jahres auf dem Plan. Bereits zum Studienbeginn "wollen wir die Studenten mit unserer Firma konfrontieren und bis Studienende am Ball bleiben, um als potenzieller Arbeitgeber auftreten zu können", sagt Jens Wagner.

Dass sich viele Unternehmen bei der Rekrutierung von Fachkräften selbst ein Bein stellen, weiß DIS-Managerin Kristina Mankus. Zum einen würden die wenigsten Firmen Quereinsteigern eine Chance geben, andererseits seien die Vorstellungen "teilweise wirklich überzogen". Entwarnung gibt der Düsseldorfer Personalberater Hans-Peter Hummel. Der auf den IT-Markt spezialisierte Consulter glaubt, dass die Angebotslücke bald verschwinden werde, weil das Wachstum begrenzt sei. Die Folge: Programmierer könnten schneller als heute geglaubt arbeitslos sein, es sei denn, sie bilden sich laufend fort. Entweder im Unternehmen oder auf dem freien Markt. Für Kristina Mankus eine Selbstverständlichkeit, gutes Personal zu rekrutieren: "Wenn wir einen Quereinstieger mit gutem Potenzial sehen, dann wird der bei uns geschult." (pri)