Weiterbildung im Ausland

Billiger! Zum IT-Training nach Indien

08.09.2011 von Ingrid Weidner
Nicht nur das Programmieren ist in Indien billiger. Jetzt bietet eine Bildungsfirma Zertifizierungskurse an, die günstiger sind als in Westeuropa - inklusive Aufenthalt. Auf dem Programm stehen Kurse für alle gängigen Software-, Netzwerk- und Sicherheitssysteme sowie Projekt-Management.

New Delhi im Mai. Träge dreht der Deckenventilator seine Runden. Die Klimaanlage surrt, gedämpft dringt der Straßenlärm ins abgedunkelte Zimmer. Das schrille Läuten des Telefons zerreißt die Monotonie: "Madame, your taxi is waiting." Wer zum IT-Training nach Delhi reist, erlebt Indiens Hitze nur in Intervallen. Der klimatisierte Minibus wartet vor dem Hotel, der die Schüler zu den Trainingszentren von Koenig Solutions bringt. Der Weg führt durch enge Straßen, vorbei an Straßenmärkten, Geschäften, bunten Reklametafeln und vielen Menschen. Fahrrad- und Motorrad-Rikschas, Fußgänger, Kühe und Autos teilen sich die Fahrbahn. Die Szenerie zieht vorbei wie eine Filmkulisse.

Die meiste Zeit des Tages verbringen die Teilnehmer in kleinen und fensterlosen Räumen. In diesen Lernwürfeln warten Rechner, Lehrer und eine konzentrierte Ruhe auf die Bildungswilligen aus aller Welt. Vor allem aus England, den Beneluxländern und Deutschland fliegen die Kursteilnehmer in die Metropole Delhi. Aber auch im Mittleren Osten, den Vereinigten Staaten, Afrika und Australien packen IT-Fachkräfte ihre Koffer, um sich in Indien weiterzubilden. Rund 200 Schüler pro Monat buchen einen Kurs bei Koenig. Dort lernen sie neue Features einer vertrauten Software, machen sich mit Sicherheitsmaßnahmen gegen Hacker vertraut oder bleiben mehrere Wochen, um ein Zertifizierungsprogramm zu absolvieren.

Sightseeing ade: Um Indien selbst kennenzulernen, bleibt während des IT-Trainings kaum Zeit.
Foto: Koenig Solutions

Die Idee zum Offshore-Training hatte Rohit Aggarwal vor etwa zehn Jahren. 1993 gründete der studierte Informatiker eine Firma für IT-Training in Delhi. Anfangs auf den Heimmarkt konzentriert, setzt er seit neun Jahren unter dem Namen Koenig Solutions auf IT-Trainings und Zertifizierungen für Ausländer. Die Idee: Die Teilnehmer, meist erfahrene IT-Fachkräfte, kommen für einige Wochen in ein indisches Trainingscenter und absolvieren dort einen Intensivkurs. Die Kosten dafür liegen einschließlich Flug, Unterkunft und Gebühren weit unter denen eines europäischen oder amerikanischen Anbieters. "Offshore-Training ist eine stille Revolution. In fünf Jahren wird diese Veränderung im Weiterbildungsmarkt deutlicher erkennbar sein", zeigt sich der 41-jährige Aggarwal überzeugt.

Norbert Thaler* bleibt knapp vier Wochen in Delhi, um den "Oracle Certified Master for Java Enterprise" abzuschließen. Der 53-jährige Freiberufler verglich die Preise verschiedener IT-Trainingsanbieter in Deutschland und Europa. In Delhi kostet ihn die Qualifizierung rund 3200 Euro. Wenn er die Kosten für den Flug, Taschengeld, Unterkunft und Verpflegung dazuzählt, belaufen sich die Ausgaben auf etwas über 4000 Euro. In Europa hätte er zwischen 10.000 und 12.000 Euro allein an Kursgebühren zahlen müssen. "Ich habe im Februar gebucht und Mitte April mit dem Kurs begonnen."

Zertifikat als Investition

Thaler sieht die Zertifizierung als Investition in seine Zukunft, denn der Freiberufler möchte als Java-Architekt wieder in eine Festanstellung wechseln. Eigentlich hatte er einen Gruppenkurs gebucht, doch jetzt kommt er in den Genuss eines Einzeltrainings und ist von seinem Lehrer begeistert. "Er weiß auf jede Frage eine fundierte Antwort, ich lerne sehr viel hier", erzählt Thaler. Jai Kumar freut sich über dieses Lob, auch wenn es dem erfahrenen Trainer und Master in Informatik etwas peinlich ist, so überschwänglich gelobt zu werden. Seit 2006 arbeitet Kumar für Koenig Solutions: "Unterrichten ist meine Leidenschaft." So sei es selbstverständlich, eine Antwort auf jede Frage zu haben, meint er bescheiden.

Jeder Kurs findet statt, unabhängig davon, wie viele Teilnehmer ihn gebucht haben. "Ein Problem haben wir, wenn sich nicht genug Interessenten anmelden", sagt Aggarwal. Ohnehin lernen die Erwachsenen in kleinen Lerngruppen mit höchstens drei bis fünf Personen. Wer schneller und individueller lernen möchte, kann Einzelunterricht buchen. Jeder Teilnehmer kann sich nach seiner Rückkehr noch für drei Monate mit Fragen an seinen Trainer wenden.

Wer in kurzer Zeit viel lernen möchte, dem bleibt kaum Zeit für das exotische Delhi. Der straff organisierte Unterricht fängt um 8.30 Uhr an und dauert bis mindestens 17 Uhr, und zwar von Montag bis Samstag. Abends bringt der Minibus die erschöpften Schüler zurück in ihre Quartiere. Neben dem Hotel "Koenig Inn", das nur Schüler des Trainingsanbieters beherbergt, gibt es auch Apartments. Frühstück und Abendessen nehmen die Bildungstouristen dort mit ihren Kollegen ein. Die meisten verbringen die Abende auf ihren Zimmern, um das Gelernte nachzubereiten. Selbst für die Mittagspause setzen die wenigsten einen Fuß vor die Tür des Trainingscenters, sondern greifen auf den Lieferservice der Fastfood-Ketten zurück. Nur wenige essen in einem indischen Schnellrestaurant.

Hoffnung auf bessere Jobchancen

Sebastian Weller buchte gleich zwei Kurse. An den Microsoft-Zertifizierungskurs MCITP wird Weller noch die Cisco-Qualifizierung CCNA (Cisco Certified Network Associate) anhängen. 44 Trainingstage umfasst sein Programm in Delhi: "Ich zahle die Kurse selbst und bin sehr zufrieden mit dem Unterricht." Weller hofft, dass ihn dieses Training seinem Traum, einer Arbeitserlaubnis für Australien, näherbringt. "Ich lerne jeden Tag noch bis mindestens Mitternacht. Es sind lange und anstrengende Tage, doch ich hoffe, dass ich damit meine Jobchancen verbessere." Anders als Thaler hat sich Weller für die billigere Variante eines Apartments entschieden. Dort bewohnt er ein eigenes Zimmer und teilt sich Bad und Küche mit zwei anderen Lernenden. Um so lästige Dinge wie Kochen oder Putzen müssen sich die WG-Bewohner nicht kümmern. Ein eigens engagierter Koch bereitet ihnen das Frühstück zu, putzt die Wohnung und erwartet sie abends mit einem warmen Abendessen. "Ich kann mich ganz auf mein Studium konzentrieren", lobt Weller.

Günstige Preise spielen auch für viele Arbeitgeber eine Rolle. Tobias Peschkov* hatte ein Weiterbildungsbudget von 6500 Euro von seinem Arbeitgeber, der Bundeswehr, zur Verfügung. Nur eigene Urlaubstage musste er beisteuern, um eine Microsoft- und Cisco-Zertifizierung für die sechs Schulungswochen in Delhi zu buchen. Auch die Hitze macht dem Auslandserfahrenen keine Probleme, mit der Unterrichtssprache Englisch kommt er gut zurecht.

Gruppe oder alleine: In der Regel wird in kleinen Lerngruppen mit höchstens drei bis fünf Personen gearbeitet. Wer schneller und individueller lernen möchte, kann Einzelunterricht buchen.
Foto: Koenig Solutions

Koenig Solutions bietet den Teilnehmern eine Lernumgebung ganz ohne Ablenkung. Dazu gehört auch eine Rundum-Versorgung, die mit einem Abholservice am Flughafen beginnt. Im firmeneigenen Hotel ist alles auf die Bedürfnisse der Lernenden ausgerichtet: geräumige Einzelzimmer, WLAN-Anschluss, Speisesaal und ein Fitnessraum im Keller. Außerdem mietet das Unternehmen Apartments an. Mehr als 160 Angestellte arbeiten in Service und Administration. Wer zusätzlich einen Yoga-Kurs oder eine medizinische Behandlung buchen möchte oder wer einen Sari für seine Kinder kaufen will, kann sich an einen Concierge-Service wenden. Dass die Lernenden in den Pausen gerne guten Kaffee trinken, war dem Veranstalter anfangs neu, doch inzwischen ist auch dieses Problem gelöst.

Im Bildungs-Outsourcing sehen auch andere indische Schulungsanbieter einen lukrativen Markt. Aggarwal freut sich über die Mitbewerber, denn so werde aus dem exotischen Phänomen ein normaler Geschäftszweig. Der findige Unternehmer möchte seine Mitbewerber davon überzeugen, dass einheitliche Qualitätsstandards notwendig sind, um mit einer Art Gütesiegel zu werben. Momentan sind ehemalige Teilnehmer das beste Aushängeschild: "70 Prozent unserer Kunden buchen auch in den kommenden Jahren wieder Kurse bei uns."

Der Koch ist die perfekte Ehefrau

Die Sehenswürdigkeiten von Delhi besichtigen die wenigsten. Manche beteiligen sich wie Weller und Thaler an dem kostenlosen Sonntagsausflug zum vier Autostunden entfernten Taj Mahal. Jeder nimmt andere Eindrücke mit nach Hause. Für Thaler sind die Tage in Delhi ein wohldosiertes Abenteuer, das er ohne die freundliche Hilfe des Personals nicht hätte meistern können. Denn selbst alltägliche Dinge wie ein Shampookauf in der Nähe sind nicht einfach. Die Hitze brachte den 53-Jährigen manchmal um den Schlaf: "Das nächste Mal würde ich im Winter kommen." Timo Hummell*, einen IT-Profi aus Frankfurt am Main, hat sein Discobesuch an einen Bollywood-Film erinnert. Noch mehr begeistert ihn der Rundum-Service im Apartment: "Unser Koch wäre die perfekte Ehefrau für mich."

*Namen der Redaktion bekannt.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer Schwesterpublikation Computerwoche. (cvi)