Bill Gates will alles und überall

13.06.2001 von Jörg Luther und Frank Klinkenberg
Anywhere, anytime, on any device: So lautete die Parole von Bill Gates Comdex-Keynote. In einem noch nie da gewesenen Kreuzzug will er eine einheitliche Umgebung vom Handy bis zum Servercluster durchsetzen.

Als Schlachtross dazu dient Whistler, die nächste Version des Microsoft-Betriebssystems. Die scharf geschliffene Waffe, die der Konkurrenz den Garaus bereiten soll, heißt XML.

Vor einem begeistert applaudierenden Auditorium entwarf Gates seine Vision einer einheitlichen IT-Umgebung der vierten Generation. Nach Mainframes, Client/Server und serverzentriertem Computing sei jetzt ein neuer Ansatz gefragt, der eine intelligentere Nutzung der übers Web verteilten Daten ermögliche.

Zwar würden immer wieder Peer-to-Peer-Lösungen a la Napster als Patentlösung ins Feld geführt, monierte Gates. Dabei übersähen deren Verfechter jedoch völlig Aufgaben wie Authentisierung, Synchronisierung oder Replizierung, die nach wie vor am einfachsten über Server zu bewältigen seien. Er spielte damit auf Intels Begeisterung für Peer-Computing an, die der Prozessor-Primus auf dem letzten Intels Developer Forum eingestanden hatte.

Software-to-Software

Nicht Peer-to-peer heißt laut Gates die kommende IT-Strategie, sondern Software-to-Software: Ein intelligenter Datenaustausch zwischen Endgeräten vom Handy bis zum Server-Cluster. Dabei soll XML als Steuermechanismus auf jedem System im Rahmen seiner Möglichkeiten den optimalen Präsentationsmodus garantieren. Das Zusammenstellen der notwendigen Informationen aus dem Web übernehmen in diesem Konzept neuartige Applikationen, zu deren Entwicklung die Programmiersprache C# (sprich: see sharp) dienen soll.

Für den Server-Bereich propagiert Gates eher Evolution denn Revolution: Clustering, Scalability und Manageability lauten hier seine Forderungen. Nicht von Null auf Hundert, lediglich von 32 auf 64 will Microsoft hier im nächsten Jahr beschleunigen. Das betrifft sowohl die Architektur - von 32-Bit auf IA-64 - als auch die Anzahl der Prozessoren je Maschine. Erst eine Woche vor Gates Keynote hatte erstmals Dell auf der Münchner Systems einen Server mit vier Itanium-Prozessoren unter Microsofts Whistler demonstriert.

Der Client der nächsten Generation jedoch wird - will man Gates Ausführungen Glauben schenken - weder soft- noch hardwareseitig viel mit den heutigen Systemen gemein haben. Gates ist dabei jedoch auch klar, dass klassische PCs heute und in naher Zukunft noch den Löwenanteil der installierten Plattformen darstellen, wenn es darum geht, im Büro oder zu Hause zu arbeiten. Für seine .NET-Strategie sieht Gates jedoch eine Vielzahl weiterer Geräteklassen als potenzielle Endgeräte zur Nutzung von verteilten Inhalten auf dem Client und aus dem Netz.

Bedeutet .NET das Aus für PCs?

Zum einen soll .NET dem immer noch recht unbeliebten Windows CE auf PDAs und Auto-PCs nochmals auf die Sprünge helfen. An einem anderen Beispiel demonstrierte Gates, wie Handy und Organizer zu einem Gerät verschmelzen können. Es handelte sich dabei um eine Handy-Studie namens "Stinger" mit einem besonders großen Display.

Auch im Entertainment-Bereich will Gates mit .NET mitmischen. Als Plattform soll dazu nicht nur die Xbox dienen, sondern alle Set-Top-Boxen, die im zukünftigen Wohnzimmer stehen und unter einem Windows-Derivat laufen.

Neben diesen zum Teil in ihren Funktionen sehr eingeschränkten Lösungen widmete Gates einen Großteil seiner Keynote dem bereits auf der PCExpo im Juni erstmals gezeigten TabletPC. Er soll die Lösung für viele Probleme bringen, mit denen sich PC-Anwender heute noch herumschlagen müssen.

Dabei handelt es sich laut Gates um einen vollwertigen PC, der sich in den Ausmaßen auf die Größe eines flachen, zusammengeklappten Notebooks beschränkt. Größter Unterschied: das Display, das als Touch-Screen ausgeführt ist, befindet sich wie bei einer Schreibtafel auf einer der Oberflächen des Gerätes. So kann man den PC jederzeit benutzen, ohne irgendwelche mechanischen Teile bewegen zu müssen. Den Bedarf für ein solches Gerät sieht Gates bei all denjenigen, die nicht den ganzen Tag an ihrem Desktop-PC im Büro sitzen, sondern auch unterwegs mit ihrem Rechner arbeiten müssen oder wollen.

Der PC der Zukunft ist flach

Dass es sich um einen vollwertigen PC handelt, macht Gates an der Ausstattung des Geräts fest. USB-Ports dienen zum wahlweisen Anschluss von Tastatur, Maus, Lautsprechern und sonstiger Peripherie. Der Hauptspeicher besteht aus 128 MByte RAM, als Massenspeicher ist in der Studie eine Festplatte mit 10 GByte verbaut. Bezüglich des Prozessors war auf der Keynote von einer 600 MHz-CPU die Rede.

Dabei ist jedoch nicht klar, ob es sich hier um einen Prozessor von Intel, oder, wie auf der Messe auch zu hören war, um eine CPU von Transmeta gehandelt hat. Die Unabhängigkeit von vorgegebener Hardware würde zumindest gut zu Gates Aussagen passen, dass seine .NET-Kampagne als Software-zu-Software-Lösung zu verstehen ist. Als Betriebssystem diente bei der Demonstration eine Beta-Version von Whistler. Der Zugang zum Netz erfolgte drahtlos - wie sollte es auch in der Zukunft anders sein.

Wie nun der TabletPC das Arbeiten mit dem PC verändern soll, wurde anhand einer Demonstration deutlich, die zugegebenermaßen eindrucksvoll war. Neben allen Standardanwendungen soll man in Zukunft den TabletPC wie einen Notizblock verwenden können. Texte und Zeichnungen werden über den Touchscreen eingegeben und können nachträglich von einem selbst oder anderen Personen bearbeitet werden. Neben dem Kopieren, Gruppieren und Verschieben von Grafiken waren Textmanipulationen bei handgeschriebenen Texten in Form von kursiven, fetten und hervorgehobenen Formatierungen zu sehen. Auch das Verschieben ganzer Textpassagen zum Einfügen von neuen Textblöcken und sogar das Suchen nach Texten via Mustererkennung funktionierte bei der Demonstration - dieses Jahr sogar ohne Absturz.

Ohne neue Hardware geht nichts

Damit das Ganze auch schön aussieht, setzt Microsoft zum einen auf die vor zwei Jahren eingeführte Clear-Type-Technologie, die heute schon Windows ME, Windows 2000 und demnächst auch Whistler unterstützen. Zum anderen will Microsoft die physikalische Auflösung der Kombination aus Stift und Touchscreen gegenüber herkömmlichen Eingabegeräten wie Mäusen deutlich erhöht haben. Damit sollen sich auf dem Display kaum noch Treppcheneffekte bei Buchstaben, Kreisen und Linien bemerkbar machen. Laut Gates sei dies auch eine sehr gute Voraussetzung für den Einsatz des TabletPCs als eBook.

Kritiker, die eine mangelnde Innovationsfreude und sinkendes Entwicklungspotenzial bei Standard-PCs befürchten, kann Gates in diesem Zuge auch beruhigen. Er sieht in dem Konzept des TabletPC noch viele Aufgaben für die Hardwareindustrie, um seine Anforderungen zu erfüllen. Sprich, die Entwicklung geht für Gates im selben Maße weiter wie bisher, doch ist diese nicht mehr nur an Technologien für normale PCs gebunden, sondert weitet sich auf neue Geräte und entsprechend andere Aufgaben aus.

Doch bevor wir erste TabletPCs in Händen halten, vergeht noch einiges an Zeit. Nachdem Microsoft mit Sicherheit nicht noch einmal einen Flop wie mit Windows CE landen will, ist mit fertigen Produkten nicht vor 2003 zu rechnen.

Office 10 für Whistler

Bis der TabletPC käuflich zu erwerben ist, will Bill Gates auch der Software schon einmal einen neuen Formfaktor verpassen. Wie dieser aussehen soll, zeigte eine unter Whistler laufende Demo eines funktionell erweiterten Microsoft Office. Dieses Projekt wird derzeit noch unter dem Namen "Office 10" gehandelt und stellt die Vorstufe zu einem Office für die .NET-Strategie dar.

Das neue Office präsentierte als augenfälligste Veränderung die sogenannte Task Pane. Das am rechten Bildschirmrand abgeteilte Fenster ändert je nach Kontext sein Aussehen, damit sich darüber verschiedene Aufgaben steuern lassen. Diese reichen von schlichten Formatanweisungen für das bearbeitete Dokument über Suchfunktionen bis hin zur WYSIWYG-Darstellung des Inhalts der Zwischenablage. Auch eine Suche nach beliebigen Begriffen in allen Office-Dokumenten lässt sich über die Task Pane anstoßen.

Weniger offensichtlich, dafür jedoch äußerst nutzbringend, agieren die Smart Tags. Smart Tags sind kleine Icons, die bei bestimmten Aktionen direkt im Text auftauchen. Sie repräsentieren XML-basierte, kontextorientierte Funktionssammlungen. Ein Klick auf das Smart Tag erzeugt ein Menü mit Aktionen, die sich für das zugehörige Objekt ausführen lassen. Im einfachsten Fall kann dies etwa die Suche nach dem markierten Begriff im gesamten Office-Kontext sein oder ein Vorschlag für Formatanweisungen von Textblöcken oder Tabellen.

Office 10: Querverbindung ins Web

Über die kleinen Helferlein will Microsoft nach eigenem Bekunden jedoch vor allem Web-Inhalte direkt in Office nutzbar machen. Als Beispiel präsentierte man Verknüpfungen zu einer juristischen Online-Datenbank. So ließen sich etwa auf Mausklick Referenzurteile zu einem beschriebenen Rechtsfall abrufen oder relevante juristische Begriffsdefinitionen einblenden.

Auch andere Komponenten des neuen Office-Pakets erhalten eine engere Webanbindung. So arbeitet Outlook in den nächsten Versionen direkt mit einem Instant-Messaging-Client zusammen. Zudem wird es mit Microsoft Sharepoint eine komplett neue Anwendung geben, die Arbeitsgruppen eine Web-basierte Kooperation erlaubt.

Office-Dokumente lassen sich via Sharepoint in ein gemeinsames Repository im Netz einbringen. Dort kann sie jeder Teilnehmer der Arbeitsgruppe bearbeiten, wobei die vorgenommenen Änderungen jederzeit nachvollziehbar bleiben. Dafür sorgt eine stark verbesserte Variante der bereits bekannten "Überarbeiten"-Funktion von Word. In Anlehnung an die auf Papier üblichen Gebräuche beim Überarbeiten markiert Sharepoint die Veränderungen meist am Dokumentenrand und setzt grafische Verweise auf die geänderten Stellen.

Entwickeln mit Visual Studio .NET

Nicht nur die Verknüpfung zwischen Anwendungen und Web soll nach Microsofts Willen wesentlich enger werden. Auch die Webinhalte selbst sollen dem Anwender einen höheren Nutzwert bieten. Informationen und Funktionen mehrerer Sites sollen sich auf einfachem Weg zu interaktiven Paketen bündeln lassen.

Als Entwicklungswerkzeug zu diesem Zweck stellt Microsoft das auf C# basierende "Visual Studio .NET" vor. Funktionen, die mit diesem Tool produziert werden, lassen sich nicht nur auf dem eigenen Server aufrufen, sondern auch von anderen Webseiten aus nutzen. Der Aufruf dieser "Remote Procedures" erfolgt per XML via HTTP. Durch einfache C#-Calls können so die Angebote einer Site leicht in eine andere eingebunden werden.

Als Beispiel demonstrierte Gates eine webbasierte Anwendung zur Organisation von Firmen-Meetings. Das Verschicken der Einladungen an die Teilnehmer löste parallel die Bestellung von Flugtickets bei einer Airline, die Buchung von Unterkünften über eine Hotel-Site sowie das Reservieren von Mietwagen bei einem Autovermieter aus. Dabei berücksichtigte die Applikation jeweils die in den Benutzerprofilen der Teilnehmer gespeicherten Präferenzen, etwa hinsichtlich der Anzahl der Sitzplätze in den einzelnen PKWs.

Fazit

Die in der Keynote erstmals angekündigten Neuerungen in Office machen Sinn und sollen wohl das Warten auf die neuen Möglichkeiten von .NET verkürzen. Zumindest scheint Gates mit seiner Position als Chefentwickler den Kopf für Innovationen im Softwarebereich frei bekommen zu haben. Dies gilt auch für den TabletPC, der mit Funktionen aufwartet, die man sich heute schon auf jedem PC wünscht.

Was sich die Redmonder allerdings mit .NET vorgenommen haben, scheint schon auf Grund der bisherigen eklatanten Sicherheitslücken in Microsoft-Produkten, die bis zu einem Hack bei Microsoft selbst reichten, unter sicherheitspolitischen Aspekten kaum durchführbar. Die Ideen und Möglichkeiten sind faszinierend, setzen aber durchgängig Microsofts .NET-Architektur voraus. Mit Blick auf das immense Aufkommen von privaten wie auch geschäftlichen Daten, die in Zukunft auf irgendwelchen Servern verteilt im Netz liegen, ist zu bezweifeln, dass Microsoft Sicherheit und Datenintegrität im Griff hat. jlu/fkh)