Berufsprofil mit Zukunft

Big Data ist Teamsport

28.11.2013 von Ingrid  Weidner
In den kommenden Jahren entstehen viele neue Jobs im Big-Data-Umfeld. Das Tätigkeitsprofil ist vielschichtig und bietet unterschiedliche Schwerpunkte.

Zweifellos ist Big Data eines der wichtigsten IT-Trendthemen. Ob Spezialisten oder Generalisten die neuen Aufgaben übernehmen werden, welche Berufsfelder sich herauskristallisieren und wie viele Jobs zu erwarten sind, darüber gehen die Meinungen zum Teil weit auseinander. Die Marktforscher von Gartner zum Beispiel brachten imposante Zahlen in Umlauf. Bis 2016 sollen aufgrund von Big Data weltweit rund 4,4 Millionen neue IT-Jobs entstehen.

Die Optimisten von Gartner sagen, dass bis 2016 weltweit 4,4 Millionen Jobs im Big-Data-Umfeld entstehen.
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Dabei stellt sich die Frage, wie die neuen Aufgaben aussehen und welche Qualifikationen IT-Experten mitbringen sollten, die sich mit der Technologie beschäftigen. "Den typischen Big-Data-Experten gibt es nicht", sagt etwa Klaas Bollhöfer vom Berliner Unternehmen The unbelievable Machine Company GmbH - kurz "um" genannt. Das 2008 in Berlin gegründete Start-up konzentrierte sich anfangs auf Serviceangebote rund um Cloud-Technologien, doch seit 2011 kamen immer mehr Kundenanfragen zu Big Data hinzu.

Das Interesse der Kunden wächst

Von den mehr als 40 IT-Mitarbeitern betreut heute ein Viertel Big-Data-Projekte, die anderen kümmern sich um klassische Infrastrukturanfragen und Cloud Computing. Doch Bollhöfer sieht die Chancen, die sich für seine Kunden aus der Analyse großer, teils unstrukturierter Datenmengen ergeben. Welche Geschäftsmodelle sich darauf aufbauen ließen, sei noch nicht voll absehbar: "Das Potenzial ist groß, schon heute fließt viel Geld in die Infrastruktur. Doch wie sich dieser Schatz heben lässt, darüber denken wir intensiv mit unseren Kunden nach."

Steffen Braun, Geschäftsführer von KI Business Performance, einem IT-Beratungshaus in Köln, sieht vor allem für die Branchen Handel, Finanzen und Versicherungen sowie Automobil Anknüpfungspunkte und freut sich über das zunehmende Kundeninteresse: "Viele wollen von uns wissen, wie Projekte aussehen könnten und was von den Versprechen der Hersteller zu halten ist." In den vergangenen zwei Jahren sei die Technik reifer geworden, was das Vertrauen auf Kundenseite erhöht habe.

KI Business Performance beschäftigt rund 45 Mitarbeiter, darunter auch einige ausgewiesene Big-Data-Spezialisten. Benjamin Rossel ist einer dieser begehrten Experten. Er hatte sich während des Studiums auf das Thema spezialisiert. Nach einem Bachelor in Betriebswirtschaft entschied sich der heute 30-Jährige für das Master-Studium Innovations- und Informationsmanagement an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. "Ich habe während des Studiums schon für KI Business Performance gearbeitet und konnte so Theorie und Praxis miteinander verbinden", erläutert Rossel. In seiner Master-Arbeit untersuchte er, warum Unternehmen Schwierigkeiten haben, relevante Informationen in großen Datenmengen zu erkennen und Geschäftsmodelle daraus abzuleiten: "Für viele Firmen ist das die schwierigste Hürde für den Einstieg in dieses Themenfeld."

Noch kein einheitliches Berufsbild

Ein einheitliches Berufsbild gibt es nicht, doch Steffen Braun identifiziert drei unterschiedliche Rollen: "Der Consultant oder Analyst versteht den Kunden, die Branche und die Prozesse. Er berät in Projekten und tritt auch als Projektmanager auf." Für die zweite Rolle kommen nur Kandidaten infrage, die sich in den Disziplinen Mathematik und Statistik zu Hause fühlen, denn sie übernehmen den methodischen Teil innerhalb des Projektteams. Schließlich braucht auch jedes Big-Data-Projekt Entwickler, die alles in eine Programmiersprache übersetzen können. Berufserfahrung und Branchenkenntnisse runden das Bild ab. "Es ist sehr selten, dass ein Mitarbeiter alle diese Rollen ausfüllen kann", bilanziert Braun.

Auch für Bollhöfer von The unbelievable Machine vereint kaum jemand alle wichtigen Kompetenzen auf sich. Er selbst nennt sich Data Scientist, die englische Bezeichnung umfasst etwa das Profil eines Analysten, wie es Steffen Braun beschreibt. Bollhöfer entwickelte nach einem Ingenieurstudium bei einer Multimedia-Agentur Web-Portale und Content-Management-Systeme: "Business, IT und konzeptionelle Ideen waren schon immer mein Metier." Mathematik und Programmieren mit einer Affinität zum Hacken zählen ebenso zum Profil wie Kommunikationsstärke. "Man muss der Typ dazu sein", meint der eloquente Bollhöfer. Und das klingt so, als ob nicht jeder Informatiker Data Scientist sein könne.

Noch existieren kaum formale universitäre Ausbildungswege zum Big-Data-Spezialisten, doch das muss kein Nachteil sein, wie die Gesprächspartner betonen, denn es gebe vielfältige Einstiegsoptionen. Neben herstellerspezifischen Zertifikaten und Schulungen finde man im Netz auch zahlreiche kostenlose Online-Kurse, etwa vom Hasso-Plattner-Institut in Potsdam. Bollhöfer lernte beim Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssys-teme (IAIS) in St. Augustin die Kniffe der Datenanalyse. Genauso wichtig wie das theoretische Wissen sei jedoch Berufserfahrung. Doch genau daran fehlt es in dieser noch jungen Disziplin.

"Die Themen sind da", freut sich Jürgen Rohrmeier, Personalberater sowie Senior Partner und Mitglied des Vorstands der Pape Consulting Group in München, auch wenn sich die Nachfrage nach Big-Data-Experten noch in einem überschaubaren Rahmen bewege. Zum Anforderungsprofil zählt Rohrmeier neben exzellenten Datenbankkenntnissen und Projektmanagement auch ein fundiertes Verständnis der Geschäftsprozesse: "Für Wirtschaftsinformatiker sehe ich in dieser Sparte die größten Chancen, denn sie verstehen Unternehmenszusammenhänge und Technik."

Big Data: Neue Berufsbilder
In den teilweise euphorischen Einschätzungen von Markforschern und IT-Unternehmen ist immer wieder die Rede von neuen Berufsbildern, die Big Data mit sich bringen soll. Dazu zählen unter anderem folgende Tätigkeiten:
Data Scientist
Er legt fest, welche Analyseformen sich am besten dazu eignen, um die gewünschten Erkenntnisse zu erzielen und welche Rohdaten dafür erforderlich sind. Solche Fachleute benötigen solide Kenntnisse in Bereichen wie Statistik und Mathematik. Hinzu kommen Fachkenntnisse über die Branche, in der ein Unternehmen beziehungsweise tätig ist und über IT-Technologien wie Datenbanken, Netzwerktechniken, Programmierung und Business Intelligence-Applikationen. Ebenso gefordert sind Verhandlungsgeschick und emotionale Kompetenz, wenn es um die Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen geht.
Data Artist oder Data Visualizer
Sie sind die "Künstler" unter den Big-Data-Experten. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Auswertungen so zu präsentieren, dass sie für Business-Verantwortliche verständlich sind. Die Fachleute setzen zu diesem Zweck Daten in Grafiken und Diagramme um.
Data Architect
Sie erstellen Datenmodelle und legen fest, wann welche Analyse-Tools Verwendung finden und welche Datenquellen genutzt werden sollen. Auch sie benötigen ein umfassendes Know-how auf Gebieten wie Datenbanken, Datenanalyse und Business Intelligence.
Daten-Ingenieur
Diese Aufgabe ist stark auf die IT-Infrastruktur ausgerichtet. Der Dateningenieur ist das Big-Data-Analysesystem zuständig, also die Hard- und Software sowie Netzwerkkomponenten, die für das Sammeln und Auswerten von Daten benötigt werden. Eine vergleichbare Funktion haben System- und Netzwerkverwalter im IT-Bereich.
Information Broker
Er kann mehrere Rollen spielen, etwa die eines Datenhändlers, der Kunden Informationen zur Verfügung stellt, oder die eines Inhouse-Experten, der Datenbestände von unterschiedlichen Quellen innerhalb und außerhalb des Unternehmens beschafft. Außerdem soll er Ideen entwickeln, wie sich diese Daten nutzbringend verwenden lassen.
Data Change Agents
Diese Fachleute haben eine eher "politische" Funktion. Sie sollen bestehende Prozesse im Unternehmen analysieren und anpassen, sodass sie mit Big-Data-Initiativen kompatibel sind. Nur dann lässt sich aus solchen Projekten der größtmögliche Nutzen ziehen. Wichtig sind daher ausgeprägte Kommunikationsfähigkeiten, Verständnis für Unternehmensprozesse sowie Kenntnisse im Bereich Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement (Six Sigma, ISO 9000).

"Big Data ist keine Eintagsfliege"

Der Kölner Unternehmer Steffen Braun knüpft enge Kontakte zu Universitäten, um möglichst früh mit potenziellen Bewerbern ins Gespräch zu kommen: "Wir suchen die Nähe zur Wissenschaft, speziell zu Hochschulen, die sich mit Data Mining beschäftigen." Er bringt ein weiteres Fach ins Gespräch: "Wir haben gute Erfahrungen auch mit Bio-Informatikern gemacht."

Business-Intelligence (BI)-Experten weisen ebenfalls beste Voraussetzungen auf, um als Big-Data-Spezialisten zu arbeiten. "Für viele Berater, die bisher im BI-Umfeld gearbeitet haben, ist Big Data eine Weiterentwicklung und baut darauf auf", sagt Ralf Conrads von msg Systems in Ismaning bei München. Der 44-jährige IT-Berater arbeitet seit 14 Jahren in der Branche, zwölf davon als BI-Spezialist. Neben den vor allem für den Data Scientist in Anwenderunternehmen obligatorischen Mathematik- und Statistikkenntnissen nennt Conrads weitere Qualifikationen: "Ein Big-Data-Experte sollte wissbegierig, neugierig sowie in der Lage sein, auch abstrakte Informationen visuell aufzubereiten. Auch juristisches Wissen ist von Vorteil, ebenso eine gewisse Sensibilität für ethische Fragen."

Gerade durch die NSA-Skandale interessiert sich eine breite Öffentlichkeit plötzlich für IT-Zukunftsfragen und Big Data. Kritische Stimmen, die sich über das scheinbar enge Korsett des deutschen und europäischen Datenschutzes mokiert haben, sind kleinlaut geworden. Eigentlich sei der Datenschutz nur ein theoretisches Problem, mit dem die Branche eben leben müsse, ist zu hören. "Der Datenschutz bremst keine Projekte aus", postuliert Conrads. "Schon heute holen sich Unternehmen für viele Fragen die Genehmigung der User und Kunden ein und erhalten sie auch. Es ist wie ein Tauschgeschäft", argumentiert der msg-Systems-Mann. In Projekten säßen immer auch Datenschutzexperten mit am Tisch.

Wenn die technischen Möglichkeiten gerade erst Marktreife erlangen und viele Firmen sich Big Data erst zögerlich nähern, wie gefragt sind dann Big-Data-Experten? "Data Scientist ist ein relativ unbekanntes Berufsprofil. Weltweit gibt es 1.000 bis 2.000 dieser Experten", schätzt Peter Schneider, Vorstand der top itservices AG in Unterhaching bei München. "Viele von ihnen arbeiten bei den Produktanbietern und verkaufen den zeitlichen Vorsprung mit hohen Beratersätzen." Noch könnten die Anbieter häufig die Bedingungen der Zusammenarbeit diktieren, klagt Schneider. Zwar finden sich auch unter den IT-Freiberuflern Big-Data-Experten, doch Schneider, der mit seinem Unternehmen Freiberufler an Unternehmen vermittelt, geht davon aus, dass Firmen mittelfristig IT-Arbeitskräfte mit diesen Spezialkenntnissen fest anstellen werden, statt sie projektweise ins Haus zu holen: "Bei Big Data handelt es sich nicht um eine Eintagsfliege, sondern um eine Herausforderung, die uns noch viele Jahre beschäftigen wird."

Big Data in Zahlen
Big Data in Zahlen
Karl Valentin hat einmal das Bonmot geprägt, schwer sei leicht was. Das kann man für den Trend Big Data mit Sicherheit auch behaupten. Sinnvoll in der Theorie, schwer in der Realisierung. Wir liefern ein paar Fakten.
Welche Probleme sehen Sie beim Einsatz von Big Data?
Big-Data-Konzepte werden nicht vorangetrieben, weil es an den richtigen Skills fehlt.<br> Angaben in Prozent; n = 206; Mehrfachnennungen möglich; Quelle: BARC

Berufsprofile müssen klarer werden

Personalberater Rohrmeier sucht gerade für einen großen SAP-Dienstleister Big-Data-Experten, doch eine starke Nachfrage nach solchen Fachkräften sieht er bisher nicht: "Viele Unternehmen denken noch nach, wie sie das Thema aufgreifen sollen." Doch der Headhunter geht davon aus, dass im kommenden Jahr mehr Anfragen hinzukommen, erst recht, wenn sich Berufsbilder und Anforderungsprofile deutlicher herausschälen.

Jürgen Rohrmeier, Pape Consulting Group: "Für Wirtschaftsinformatiker sehe ich die größten Chancen auf einen Job im Big-Data-Umfeld."
Foto: Pape Consulting Group

Auch das Beratungsunternehmen msg Systems ist noch vorsichtig und beobachtet erst einmal den Markt und die Weiterbildungsszene. BI-Spezialist Conrads: "Wir bilden zwar unsere Kollegen weiter, doch für uns ist Big Data noch eine Zusatzqualifikation wie andere auch. Ich sehe bislang keine Notwendigkeit, Big-Data-Experten im großen Stil zu suchen."(hk)

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