Bewusstsein für IP-Services schaffen

24.03.2000
Neue IP-Services waren ein heißes Thema auf der CeBIT. Bevor sie Realität werden können, müssen Carrier und Serviceprovider noch einige Voraussetzungen in ihren Netzen schaffen. Und Geschäftskunden sind aufgefordert, ihr Bewusstsein für die Qualität von IP-Transport und für Service-Levels zu schärfen. Dies zeigte eine Podiumsdiskussion der NetworkWorld in Hannover.

IP-Services der nächsten Generation sind zurzeit ein beliebtes Forschungsobjekt bei Marktforschern. IDC, Ovum und andere Institute sagen diesem Segment für die nächsten Jahre gigantische Zuwachsraten voraus (siehe NetworkWorld 4/2000, Seite 85). Die Herausforderungen, die damit auf Carrier und Serviceprovider zukommen, sind immens. Die technischen Anforderungen an Geschäftskunden nicht minder. Das Bereitstellen und Abrechnen von IP-Diensten bringt eine Menge Probleme mit sich, die bisher noch nicht oder nur unzureichend gelöst sind. Dazu gehören das Sicherstellen der Qualität in Transportnetzen, Peering-Abkommen zwischen Providern, Service-Level-Vereinbarungen, das verursachergerechte Zuordnen und Abrechnen von Diensten et cetera. Mit diesen Aspekten müssen sich die Netzwerkverantwortlichen in den Unternehmen auseinander setzen, wenn sie nicht von Serviceprovidern übers Ohr gehauen werden wollen. Dies war eines der Ergebnisse einer Diskussion, welche die NetworkWorld zusammen mit der Messe AG im Network Information Center (NIC) auf der CeBIT veranstaltete.

Vertragsstrafe aushandeln

"Nach welchen Methoden wird mir garantiert, dass ich IP-Pakete transportiert bekomme? Nach welchen Messverfahren kann ich das identifizieren? Wieviel Geld bekomme ich zurück, wenn das Netz einige Stunden lang nicht verfügbar ist?" Solche und andere Fragen warf Hubert Martens stellvertretend für Unternehmen auf, die diese ihren Serviceprovidern stellen sollten.

Der Geschäftsführer der Münchner Firma Multinet kennt als Berater beide Seiten und hat schon oft erlebt, dass es ganz still wird, wenn er die Frage nach Vertragsstrafen stellt. "Da trennt sich die Spreu vom Weizen in der Internet-Szene", warnte er die Zuhörer im Forum des NIC und forderte sie auf, sich bei verschiedenen Stellen schlau zu machen. Als Beispiel nannte er die Internet Society (www.isoc.org), die in Benutzergruppen diese Themen diskutiert.

Einbußen beim Transport

Eine weitere Anlaufstelle ist Réseaux IP Européèn (RIPE, www.ripe.de/wg/tt/), die Koordinierungsstelle für europäische IP-Aktivitäten. Diese startete 1997 ein Projekt, bei dem an rund 20 verschiedenen Netzknoten in Europa zu Testzwecken der IP-Verkehr gemessen wird. Basis dafür ist der Standard RFC 2330 der Internet Engineering Task Force (IETF). Ziel der Test-Traffic Working Group von RIPE ist es, die beteiligten Provider über die Peering-Kapazitäten aufzuklären. "Leider dürfen wir die Ergebnisse nirgendwo veröffentlichen, sonst würde uns kein Provider mehr an den Messpunkten dulden", bedauert Martens. Derzeit arbeitet Multinet mit einigen Großunternehmen daran, Messverfahren zum Gegenstand von Serviceverträgen zu machen.

Damit Geschäftskunden dennoch Druck auf die Anbieter ausüben können, machte Robert Mirbaha, Geschäftsführer des IP-Carriers Level 3, folgenden Vorschlag: "Fragen Sie Ihren Provider nach den Peering-Verträgen, die dieser mit anderen Providern ausgehandelt hat." Viele Netzbetreiber seien darauf angewiesen, mit anderen Betreibern zu peeren. Dabei könne es zu sogenannten asymmetrischen Routen kommen: Dabei würden die Pakete vorwärts schneller transportiert als auf der Rückroute. Der einzige Weg, um die Peering-Abkommen zu kontrollieren, sind nach Meinung von Mirbaha Service-Level-Agreements (SLAs).

"Asymmetrisches Routing ist nichts anderes, als dass jemand seine Daten auf Kosten eines anderen transportiert", stellte Martens klar. Als einen wichtigen Punkt im Zusammenhang mit SLAs nannte er Access-Listen, mit denen Provider ihren Geschäftskunden beweisen können, dass diese keine Einbußen beim Transport ihres Datenverkehrs hinnehmen müssen. "Das Problem heute ist, dass viele Switches in den Backbones in die Knie gehen, wenn sie Access-Listen verwalten sollen", weiß Martens. "Wir brauchen die nächste Generation von Systemen, die das beherrschen."

Bewusstsein für Service-Levels fehlt

Das Thema Peering ist ein vielschichtiges Problem, das nach Ansicht des Level-3-Chefs nicht durch Regelungen gelöst werden kann. "Wenn die Abnehmer genügend Druck ausüben, dann werden die Carrier ihre Peering-Abkommen anders gestalten." Wichtig für Netzverantwortliche sei es, die Technik der Netze zu verstehen, dann hätten die Carrier keine Möglichkeit mehr, sich zu verstecken.

SLAs sind ein anderes Mittel, mit dem IT-Manager Druck auf Provider ausüben können. Das Bewusstsein dafür ist aber offensichtlich noch wenig ausgeprägt, wie Dr. Günter Steinsberger, Leiter Unternehmensentwicklung bei Global Telesystems, erfahren hat. "Unsere Kunden können mit SLAs nicht viel anfangen, aber für uns ist das ein Verkaufsargument, weil wir nicht auf die Billiganbieterschiene setzen." Der Kunde müsse noch lernen, SLAs auszunutzen, anstatt blanke Preislisten und Tarife zu vergleichen. Hierzu hatte Martens einige Ratschläge zur Hand: "Verlangen Sie von Ihrem Provider, dass er bestimmte IP-Pakete innerhalb einer bestimmten Zeit transportiert. Besprechen Sie mit ihm, wodurch ein Ausfall gekennzeichnet ist. Und vergessen Sie den Punkt Strafen nicht. Dann sind Sie auf der sicheren Seite." Der Berater berichtete von einem SLA, bei dem der Provider dem Kunden nach vier Stunden Ausfall die Jahresumsatzgebühr zurückzahlt. Der Kunde bekommt dafür eine Topqualität, die ihren Preis hat. Doch dies dürfte ein Einzelfall sein.

Transportqualität ist entscheidend

Ein anderes ungelöstes Problem ist die Abrechnung von IP-Services. Wie lässt sich zum Beispiel Voice-over-IP im Unternehmensnetz verursachergerecht abrechnen? Wie ermittelt man die Gebühren beim Übergang von VoIP in klassische Telefonnetze? Wie sehen die Modelle der Zukunft aus, nachdem das zeitabhängige Accounting durch Hackerattacken immer mehr in Verruf geraten ist? Und vor allem: Wie rechnet ein Carrier mit einem dreistufigen Qualitätskonzept mit einem zweiten Carrier ab, der fünf Qualitätsstufen hat, und mit einem dritten, der eine Flatrate anbietet? "Die Telefongesellschaften haben Jahrzehnte gebraucht, um weltweit damit klarzukommen, wie sie untereinander abrechnen", so Martens. Am einfachsten sei es, wenn jeder Carrier Topqualität biete. Genau danach würden Unternehmen in Zukunft die Netzbetreiber beurteilen.

Qualität ist einer der Gründe, wenn nicht der wichtigste, warum derzeit vor allem junge Startup-Firmen Glasfaserkabel in Europa verlegen. Alleine für 1999 errechnete das Marktforschungsunternehmen KMI sechs Millionen Kilometer. Seit 1997 sind die Kapazitäten um 300 Prozent gestiegen. Das heißt aber noch lange nicht, dass es zu Überkapazitäten kommt. "Es gibt nicht zuviel Bandbreite, es gibt nur zuviel Glasfasern", erklärte Mirbaha. Nur ein Bruchteil der im Boden liegenden Lichtwellenleiter werde tatsächlich benutzt, der Rest bleibe für immer dunkel. Bis die ersten vier Fasern verkauft worden seien, habe der nächste schon wieder bessere Kabel verlegt. Unterm Strich könne derjenige Transport-Carrier Kapazitäten am billigsten anbieten, der die meisten Leerrohre verlegt habe. Die anderen würden auf ihrem Glas sitzen bleiben.

Immerhin herrscht bei den Transportnetzen im Weitverkehrsbereich reger Wettbewerb, was man für die letzte Meile noch nicht sagen kann. Die Endkundenzugänge sind nach wie vor zu über 90 Prozent in den Händen der Deutschen Telekom. Über Alternativen wie Powerline oder das Kabelnetz wird schon seit Jahren geschrieben, getan hat sich jedoch nicht viel. Diesen Techniken räumen die Podiumsteilnehmer wenig Chancen ein. Das größte Potenzial liege ganz klar in der DSL-Technik für das Kupfernetz, das flächendeckend zur Verfügung stehe, so die einhellige Meinung. Doch dazu müsse die Politik der Telekom auf die Beine helfen. "Die Firmen werden sich um die Kollokationsräume der Telekom streiten", glaubt Steinsberger. Entscheidend ist nach Meinung von Martens, welche Qualität die Provider in die Unternehmen bringen. "Für einen IP-Carrier wird es irgendwann rufschädigend sein, wenn er mit End-Carriern peert, die schlechte Qualität bringen", warnte er. Deshalb müssten die Top-Carrier Druck auf ihre Abnehmer ausüben. Andererseits müsse der Geschäftskunde lernen, die richtigen Forderungen zu stellen. Das könne ihm niemand abnehmen.

Trend zu Multicasting

Der Fortschritt kommt nicht durch hohe Bandbreiten zu den Kunden, ist sich Mirbaha sicher. Die gebe es bereits. Der richtige Boom werde für Applikationen kommen. Als wichtigsten Trend der Zukunft sieht Martens das Thema Multicasting. Danach würden Geschäftskunden in Zukunft einen Provider beurteilen. Interessant sei auch, dass sich die Internet-Technologen in jüngster Zeit mit Geschäftsprozessen auseinander setzen. Beispielhaft ist hier das "Internet Open Trading Protocol" zu nennen, ein Versuch, sämtliche E-Commerce-Anwendungen einer Standard-Ablaufprozedur zu unterwerfen. Dies werde für Serviceanbieter ein interessanter Aspekt.