Bandbreite alleine reicht nicht

10.11.1999
Der wachsende Datenverkehr treibt die Weitverkehrsnetze an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Die Betreiber setzen deshalb verstärkt auf optische Übertragungstechniken wie Wellenlängenmultiplexing.

Von: Kai-Oliver Detken, Bernd Reder

Die Marketiers der Netzwerkanbieter, Telekommunikationsfirmen und Internet-Serviceprovider nehmen gegenwärtig gerne den Begriff Konvergenz in den Mund - natürlich meist mit dem Hintergedanken, für eigene Produkte die Werbetrommel zu rühren. Doch bei aller Skepsis gegenüber solchen "Visionen" läßt sich nicht leugnen, daß die Idee, Sprache und Daten über dasselbe Netz zu transferieren, zunehmend Gestalt annimmt. Innerhalb der nächsten zehn Jahre soll Konvergenz Wirklichkeit werden.

Die Voraussetzung dafür ist jedoch eine einheitliche Infrastruktur, über die diese höchst unterschiedlichen Verkehrsarten transportiert werden können. Das bedeutet: Die Netze, die entweder für die Sprachkommunikation oder die Datenübertragung optimiert wurden, müssen angepaßt werden, damit sie neuen Diensten und Applikationen offenstehen. Carrier und Internet-Serviceprovider, die diesen Trend verschlafen und auf reine Daten- oder Sprachnetze setzen, werden Probleme bekommen.

Ein weiterer Trend ist das Verschmelzen von "Wireless"-Systemen mit Festnetzen, um neue Mehrwertdienste anbieten zu können. Dafür kommen folgende Mobilfunkservices in Frage:

- das altbekannte GSM mit 9,6 kBit/s,

- GSM 2 mit einer Übertragungsrate von 14,4 kBit/s,

- HSCSD mit 64 kBit/s,

- GPRS, das 115 kBit/s erreicht,

- EDGE mit 384 kBit/s sowie

- UMTS, das Mobilkommunikationssystem der dritten Generation mit einer maximalen Datenrate von 2 MBit/s.

Der dritte Faktor, der an die Backbone-Netze neue Anforderungen stellt, ist der enorme Bedarf an Bandbreite, der unter anderem durch das exponentielle Wachstum der Zahl der Internet-Teilnehmer hervorgerufen wird. Die Netze müssen deshalb möglichst flexibel aufgebaut sein und sich skalieren lassen. Reine SDH-Netze (Synchrone Digitale Hierarchie) stoßen hier an Grenzen, weil der Betreiber die Bandbreite immer weiter "hinaufmultiplexen" muß, also ausgehend von 64 kBit/s auf bis zu 10 GBit/s und künftig 40 GBit/s. Hinzu kommt, daß große Bandbreiten 1:1 durch das Netz transportiert werden müssen. Das ist zwar technisch machbar, kann aber bei SDH-Strukturen kostspieliger sein als in einem WDM-Netz (Wavelength Division Multiplexing).

Doch Bandbreite alleine reicht nicht aus; die anschwellende Datenflut muß auch verarbeitet werden. Deshalb wurden "photonische Netze" entwickelt. Ein solches Netz ist laut Definition die Gesamtheit aller Systeme für die Übertragung, das Routing, die Vermittlung sowie die Überwachung und das Netzwerkmanagement in einem begrenzten geografischen Gebiet. Die teilnehmerferne Übertragung kann dabei auf der optischen Ebene stattfinden, das Routing und die Vermittlung der Signalströme sowie die teilnehmernahe Übermittlung spielen sich sowohl auf der optischen als auch auf der elektrischen Ebene ab. Eine Schlüsselrolle in photonischen Netzen spielt "Wavelength Division Multiplexing" (WDM).

Photonische Netze als Antwort auf die Datenflut

Es ist jedoch nicht möglich, Carrier-Netze ausschließlich auf Grundlage dieser Technik aufzubauen. Die Signale müssen immer wieder aufbereitet werden, etwa wegen der Dispersion oder Dämpfung der LWL-Fasern. In der Praxis kommen im Kern von WANs photonische Netze zum Einsatz, am Rand dagegen ATM und SDH.

Doch nicht nur im Weitverkehrsnetz wirft die Konvergenz Fragen auf. Sollen Sprache und Daten über dieselbe Infrastruktur bis an den Arbeitsplatz gelangen, müssen auch die lokalen Netze angepaßt werden. In LANs dominieren Kupferkabel, die weiterhin genutzt werden sollen. Als Alternative zu einer Glasfaserverkabelung bieten sich Kabelsysteme der Kategorien 6 und 7 an, die Hochgeschwindigkeitstechniken wie Gigabit-Ethernet (GE) und ATM unterstützen sollen. Gleichzeitig gewinnen Lichtwellenleiter an Bedeutung, vor allem im Primär- und Sekundärbereich. Bevor er sich auf eine Technik festlegt, sollte der Anwender deshalb die Kosten vergleichen und dabei die vorhandene Infrastruktur berücksichtigen.

Im Vergleich zu Glasfasern schneiden allerdings Kupferkabel immer noch relativ schlecht ab, selbst Leitungen der Kategorie 6 oder 7, für die noch keine endgültige Spezifikation vorliegt. Bei Lichtwellenleitern spielen beispielsweise Faktoren wie Nah- und Fernnebensprechen (NEXT, FEXT) oder elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) keine Rolle. Außerdem ist dieses Übertragungsmedium für wesentlich höhere Datenraten ausgelegt, die nahezu entfernungsunabhängig bereitgestellt werden können. Multimode-Glasfasern unterstützen bereits heute 1 GBit/s und sollen nach Angaben von Lucent Technologies im Januar kommenden Jahres Übertragungsraten bis 10 GBit/s erlauben.

Mit Singlemode-Fasern über Distanzen von 100 Kilometern

Eine Alternative sind Singlemode-Glasfasern, die in unterschiedlichen Güteklassen (SSMF, DSF, NZDSF) verfügbar sind und mit denen Entfernungen von 60 bis 100 Kilometer überbrückt werden können. Zwar treten auch bei Lichtwellenleitern Störungen wie Dispersion und Dämpfung auf, doch diese Effekte lassen sich immer besser kompensieren. Die neueste Glasfasertechnik ist "Non-Zero Dispersion Fibre" (NZDSF) gemäß dem Standard G.655. Die Vorteile sind:

- Unterdrückung nichtlinearer Effekte,

- niedrigere Kosten, weil weniger aktive Komponenten erforderlich sind,

- optimal für WDM und

- geringe Dispersion und Dämpfung.

Mit Hilfe von Wellenlängenmultiplexing kann die Übertragungskapazität von Lichtwellenleitern erheblich gesteigert werden. Gegenwärtig lassen sich 2,5 GBit/s ohne Auffrischen des Signals über eine Entfernung von bis zu 600 Kilometern übertragen; angestrebt werden 3000 Kilometer. Über mittlere Entfernungen von 100 bis 200 Kilometern sind 10 GBit/s machbar und 40 GBit/s in Kürze realisierbar. In Entwicklung sind Systeme, die 160 GBit/s mit 64 Farben über eine Glasfaser übertragen, was einer Gesamtbandbreite von 10,240 TBit/s entspricht.

Unklar ist noch, welche Protokolle beziehungsweise Übertragungsverfahren in diesen Netzen zum Zuge kommen sollen. Eine Variante, die vor allem Cisco Systems propagiert, ist der Einsatz von "Multiprotocol Label Switching" (MPLS) als gemeinsame Basis für IP und ATM. Eine Alternative ist die direkte Übertragung von IP über eine WDM-Infrastruktur. Cisco bewerkstelligt das mit Hilfe des proprietären Verfahrens "Dynamic Packet Transfer" (DPT), das speziell für die paketorientierte Datenübertragung über optische Ringe ent-wickelt wurde. DPT nutzt für den Zugriff auf die Glasfaserringe das "Spatial Reuse Protocol" (SRP).

Paketorientierte Übertragung über optische Ringe

Die Internet Engineering Task Force (IETF) und das Optical Internetworking Forum (OIF) wollen dieses Protokoll zu einem Standard erheben. Ein DPT-Ring besteht aus zwei gegenläufigen Glasfasern, auf denen die Daten in entgegengesetzten Richtungen laufen. Derzeit erproben 16 Carrier die DPT/SRP-Technologie, darunter die Deutsche Telekom, Sprint Communications und der schwedische Carrier Tele 2.

Die Expertenwelt ist sich darüber einig, daß die heutigen, mit hohen Datenraten ausstaffierten Transportnetze für IP nicht optimal sind, weil über sie unterschiedliche synchrone und asynchrone Dienste mit unterschiedlichen Dienstgüten (Qualities of Services, QoS) abgewickelt werden müssen. Meist sitzt auf einer LWL-Infrastruktur eine SDH-Schicht, auf der in vielen Fällen ATM und darüber IP gefahren wird. Hinzu kommt Wellenlängenmultiplexing (WDM), um die Bandbreite zu erhöhen. Diese Protokollvielfalt macht das Netz komplizierter, erhöht den Verwaltungsaufwand und verursacht einen größeren Overhead. Aus diesem Grund ist der Wunsch verständlich, einfachere Verfahren einzusetzen, um Bandbreite zu sparen und die Komplexität gering zu halten.

Frames mittels ATM über SDH-Netze übertragen

Eine dieser Techniken ist die framebasierte Übertragung mittels ATM über SDH in großen Netzen bis 10 GBit/s. Auf einer Tagung des I.I.R. zum Thema "Optical Layer" Ende Oktober in Düsseldorf erläuterte Frederic Thepot, Director of Technology bei Fore Systems, dieses Verfahren namens "Frame ATM over SDH Transport" (FAST). Es sieht vor, daß im Randbereich der Netze (Edge) weiterhin eine zellenorientierte Übertragung dominiert, um die Flexibilität und Skalierbarkeit sicherzustellen.

Im Weitverkehrsnetz kommen dann große Frames zum Zuge. Ein Vorteil von FAST ist, daß vorhandene Systeme einbezogen werden können: Nach einem Software-Upgrade ist beispielsweise ein Router in der Lage, ATM-Zellen zu verarbeiten, die in IP-Paketen eingepackt sind. Auf diese Weise kann der Anwender die Vorteile von ATM nutzen, ohne neue Komponenten anschaffen zu müssen.

FAST wird gegenwärtig von einer Arbeitsgruppe des ATM-Forums weiterentwickelt. Weitere Arbeiten dieses Gremiums beziehen sich auf "Loop Emulation Services" wie Voice over DSL und AAL2 über xDSL. Die neu spezifizierte AAL2 kann dabei erstmals Sprache in komprimierter Form übertragen. Das verringert unter anderem die Latenzzeiten (Verzögerungszeiten). Die Arbeitsgruppe "ATM versus IP" wurde dagegen in den "Ruhestand" versetzt, weil inzwischen entsprechende Standards vorliegen. Einen eigenen Weg geht wieder einmal Cisco Systems. Das Unternehmen hat ein Verfahren entwickelt, um IP-Daten direkt über Glasfaserkabel zu senden - ohne SDH und ATM. Dafür sind jedoch proprietäre Protokolle notwendig, weil IP ein Schicht-3-Protokoll ist. Bei der Cisco-Lösung kann vorhandenes SDH-/ATM-Equipment weiter genutzt werden. Nach Angaben des Unternehmens setzen daher Provider auf neue Netze, die auf "Pure IP Networks" aufbauen. Eine weitere Antriebsfeder ist die Integration neuer Protokolle und Anwendungen wie Multiprotocol Label Switching (MPLS), Sprache über IP (Voice over IP, VoIP), Virtual Private Networks (VPN) und Class of Service (CoS). QoS/CoS über IP kann unter folgenden Voraussetzungen angeboten werden:

- die Verbindungen dürfen nicht überlastet werden und

- der Router besitzt Queueing-Mechanismen, die den Verkehr nach Prioritäten ordnen.

Um die hohen Bandbreiten zum Endverbraucher zu bringen, wird zunehmend xDSL eingesetzt, hauptsächlich ADSL. An den Spezifikationen dieser Technik hat das ATM-Forum maßgeblich mitgearbeitet. So ist es nicht verwunderlich, daß ADSL zusammen mit ATM effizient betrieben werden kann.

Im Zugangsbereich (Access) kommt ATM zum Zuge, anschließend wird auf IP umgesetzt. Auf diese Weise ist es möglich, eine bestimmte Dienstgüte (QoS) direkt zum Endteilnehmer zu bringen, der über SVC-Verbindungen (falls ein ATM-Netz vorhanden ist) zum Server Kontakt aufnimmt. Dadurch sind neue Business-Anwendungen denkbar, etwa

- LAN-to-LAN-Verbindungen,

- Teleworking/Joint-Editing,

- Fast Internet,

- Videokonferenzanwendungen sowie

- Internet-Recherche.

Um dies realisieren zu können, müssen die Netze im WAN darauf vorbereitet sein. Einige Anforderungen an ein Citynetz, das als Basis WDM nutzt, sind

- "Add-and-Drop"-Funktionen,

- hohe Kanalzahl,

- Protokoll- und Bit-Transparenz,

- Schutzfunktionen,

- bessere Ausnutzung der bestehenden Infrastruktur und

- Aufbau von WDM-Ringen.

WDM wird heute nur dazu verwendet, die Übertragungskapazitäten der Netze zu erweitern. Die Technik kann jedoch wesentlich mehr leisten, etwa als separate Netzstruktur dienen. Über größere Entfernungen ist WDM bereits heute kostengünstiger als SDH, allerdings sind die Anfangsinvestitionen höher. Fachleute gehen davon aus, daß im Jahr 2001 über Glasfaserleitungen bis zu 240 WDM-Kanäle übertragen werden können. Dies entspricht bei einer Kanalbandbreite von 9,95 GBit/s einer Kapazität von insgesamt 2388 GBit/s pro Faser.