Außenseiter gegen Spitzenreiter

31.03.1999
Wer unter Linux einen Web-Server installiert, wählt in der Regel den zu jeder Distribution gehörenden Apache-Server. Die Installation abweichender Lösungen und vermeintlicher Exoten kann jedoch durchaus Vorteile bringen, wie ein Blick auf den Roxen-Web-Server zeigt.

Mit einer weltweiten Verbreitung von über 50 Prozent bei den Web-Servern führt der Apache mit Abstand die Installationsliste an - vor der kommerziellen Nummer Zwei, dem Microsoft Internet Information Server. Exotische Lösungen verschwinden im Schatten des Marktführers, auch wenn sie ebenfalls lizenzfrei sind und sich abwärtskompatibel zum Apache-Standard verhalten. Der "Roxen Challenger Server" von Idonex bietet zusätzliche technische Möglichkeiten und bleibt dabei in vielen Bereichen kompatibel zum übermächtigen Apache-System. Die Distribution ist für die Plattformen Windows 95, 98 und NT, Solaris, Linux, AIX, Irix, HP-UX, Digital Unix und Free BSD frei verfügbar nach den Bestimmungen der "General Public Licence" (GPL). Sie ist vom Roxen-Server via Internet zu beziehen (http://www.roxen.com). Eine Version, die auch "Secure Socket Layer" unterstützt, ist innerhalb Europas nur gegen Vorlage einer Exporterlaubnis und Registrierung auf dem Roxen-Server erhältlich. Alternativ dazu kann man den beschwerlicheren, auch für den Apache-Server möglichen Weg gehen, das SSLEAY-Package als Ergänzung vom FTP-Server (ftp://ftp.uni-mainz.de/pub/internet/security/ssl/SSL/) zu ziehen und selbst zu installieren.

Vorteile durch Marktführung

Für den Apache spricht die weite Verbreitung und damit auch Unterstützung im Internet über News-Gruppen und Info-Server. Zusätzlich gibt es kommerzielle Ableger des freien Web-Servers wie beispielsweise den "Stronghold Webserver" (http://www.vineyard.net/server/). Diese zu einem kommerziellen Produkt mutierte Version des Apache bietet in erster Linie schon implementierte SSL-Funktionen zur sicheren Datenübertragung, die ansonsten in Handarbeit über frei verfügbare Ergänzungen zu realisieren sind (http://www.apache-ssl.org/ und ftp://ftp.uni-mainz.de/pub/internet/security/ssl/SSL/).

Gleich und doch anders

Wer schon Erfahrungen mit dem Apache-Server gesammelt hat, kann die dafür eingesetzten Skripte und Konfigurationsdateien teilweise weiterverwenden. Die benutzten .htaccess-Dateien zur Zugriffsregelung beispielsweise sowie die unter Apache verwendbaren CGI- und Perl-Skripte lassen sich problemlos auch unter dem Roxen-Server einsetzen. In vielen Fällen bietet der Roxen-Daemon jedoch zusätzliche proprietäre Vereinfachungen und modulare Erweiterungen.

Unter dem Apache-Web-Server nur umständlich zu realisierende Formulierungen sind dadurch über neue proprietäre Tags sowie Zusatzmodule einfacher und schneller zu erreichen.

Roxen basiert nahezu vollständig auf der Skriptsprache "Pike", deren Sourcen Bestandteil der Distribution sind. Pike besitzt große Ähnlichkeit mit "LPC" (Lars Pader C), das aus dem sogenannten "MUDs"-Genre kommt. MUDs sind "Multi User Dungeons" und damit so etwas wie die technische Ursuppe, aus der sich vor gut 30 Jahren einmal Unix entwickelte, dessen erster Einsatz in Form der "Multics"-Vorversion auch spielerischen Zwecken diente. Neben dem Spielwert sind derartige Multiuser-Anwendungen auch immer ein guter Prüfstein für die Leistungsfähigkeit eines Systems. Ein auf den Roxen-Web-Server zugeschnittenes Spiel ist "Stellar Crisis", dessen Quellcode beispielsweise über den Web-Server

http://david.hedbor.org/sc/ frei kopierbar ist. Diese Anwendung zeigt auch gut, welche Möglichkeiten der Roxen-Web-Server bietet. Datenbankanbindung sowie grafische Elemente, die sich leicht über neue Tags einbinden lassen, sind Bestandteil des Strategie-Epos, das in Pike umgesetzt wurde.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, daß bedingt durch die Skriptsprache die Performance des Web-Servers leiden muß. Durch ein gutes Caching ist jedoch eher das Gegenteil der Fall, und in einigen Bereichen verfügen die modulorientierten Roxen-Funktionen über einen höheren Datendurchsatz als vergleichbare Apache-Dienste.

Alle proprietären Möglichkeiten sind über Module realisiert, die ebenfalls in Pike geschrieben sind. Ähnlich der modularen Kernel-Erweiterungen unter Linux lassen sich alle Module im laufenden Betrieb einbinden, ohne den Web-Server-Daemon oder gar das ganze System neu starten zu müssen. Die Basisfähigkeiten sind fast unbegrenzt durch diese Module erweiterbar. Es gibt frei verfügbare Ergänzungen. Zudem haben sich auch einige Entwickler an der Programmierung kommerzieller Erweiterungslösungen für den Roxen-Server versucht (siehe auch Tabellen). Außer den frei verfügbaren Roxen-Lösungen und Modulen bietet die Firma Idonex einige kommerzielle Tools an, wie beispielsweise ein Programm zur grafischen Zugriffs-Protokollauswertung, das besonders auf die kommerzielle Nutzung des Systems ausgerichtet ist (http.//www.roxen.com/products/db_api/). Die Konfiguration des Servers ist vollständig über eine Web-Schnittstelle via Browser möglich. Das System läßt sich komplett mausgesteuert administrieren und auch starten beziehungsweise deaktivieren. Der zur Web-Server-Administration eingerichtete Root-Zugang ist unabhängig vom eingerichteten System-Account auf dem Rechner. Dadurch läßt sich die Administrierung des Web-Servers komplett von der eigentlichen Systemadministration abtrennen. Eine Besonderheit ist dabei die optionale Nutzung der User-Systemdatenbank wie beispielsweise der /etc/passwd unter Unix zur vollautomatischen Einrichtung von privaten Anwender-Web-Verzeichnissen.

Modulares Prinzip als Konzept

Einmal konfiguriert, kann damit jeder Anwender innerhalb eines vom Webmaster definierten Verzeichnisses einen eigenen Web-Serverbereich pflegen. Heißt das freie Anwenderverzeichnis beispielsweise "public", so kann jeder System-User innerhalb seines Heimatverzeichnisses ein Verzeichnis "public" anlegen und dann automatisch über den URL des Web-Servers unter Anfügung von "~username" wie beispielsweise (http://www.webserver.de/~otto_meier) darauf zugreifen. Weitere administrative Eingriffe sind nicht notwendig. Jeder Anwender kann bei Bedarf ein entsprechendes lokales Verzeichnis anlegen und verfügt damit automatisch über einen festgelegten Web-Bereich auf dem Server. Das ist eine enorme Arbeitserleichterung, wenn es darum geht, beispielsweise Mitarbeitern und Arbeitskreisen eigenen Serverplatz zur Verfügung zu stellen. Von derartigen praxisnahen proprietären Kleinigkeiten hat der Roxen-Server eine ganze Menge zu bieten. Ein sogenanntes "ABS-System" (Anti-Block-System) sorgt beispielsweise auf Wunsch für den regelmäßigen automatischen Neustart des Web-Servers nach einer definierten Zeitspanne. Diverse Modul-Zusatzfunktionen bieten per Tag ansonsten nur aufwendig zu realisierende Funktionen wie beispielsweise grafische Seitenzähler oder Textgrafiken in verschiedenen Fonts und Formen.

Vor- und Nachteile des Roxen

Bislang läßt der Roxen-Server im Vergleich zum Marktführer Apache kaum Schwächen erkennen. Tatsächlich liegen die Vorteile des Apache weniger im technischen Bereich als mehr in der umfangreichen Dokumentation sowie Unterstützung über News-Gruppen und Web-Seiten.

Die Roxen-Dokumentation ist leider sehr spärlich. Viele Funktionen und Spezialanweisungen sind nur mit Glück zu finden. Und es bedarf schon einiger Zeit, um die Feinheiten des Systems kennenzulernen. Die absolute Außenseiterrolle des Roxen-Servers ist dennoch nicht gerechtfertigt, und eine Aufnahme des Packages in Linux-Standard-Distributionen würde der Verbreitung und Unterstützung des Servers sicher helfen. (us)