Aufbruchstimmung: LinuxTag 2005 in Karlsruhe

28.06.2005 von Clemens Kleinfeld
Die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen der Linux- und der Microsoft-Welt, Open-Source-Migration und offene Groupware-Server waren zentrale Themen auf dem diesjährigen LinuxTag. Daneben dominierte das neue OpenOffice die Veranstaltung in Karlsruhe.

„Linux everywhere“ lautete das Motto des diesjährigen LinuxTags, der vom 22. bis 25. Juni im Kongresszentrum Karlsruhe stattfand. Der LinuxTag ist die größte Messe und Konferenz in Europa zum Thema Linux und freie Software, die nun bereits zum elften Mal über die Bühne ging.

Aus dem einstigen Treffen für Programmierer und Linux-Freaks ist inzwischen eine seriöse Veranstaltung geworden. Neben den Linux-Urgetümen und Entwicklern tummeln sich auch vermehrt Business-Anwender und Vertreter von Behörden auf dem Kongress: Ein Zeichen dafür, dass die Open-Source-Bewegung langsam erwachsen wird. Inhaltlich verbindet der LinuxTag hochkarätig besetzte Fachkongresse mit einer Produktmesse. Im Vergleich zu CeBIT und Systems ist die Zahl der Aussteller mit etwa 150 Ständen freilich sehr überschaubar.

Als Vertreterin des Bundesinnenministeriums eröffnete die parlamentarische Staatssekretärin Ute Vogt den LinuxTag. Das Ministerium fördert seit Jahren den Einsatz von Open Source in der Verwaltung. Derzeit sieht sich die Open-Source-Strategie des Bundes zwei großen Herausforderungen gegenüber. Erstens soll die IT von Bund, Ländern und Städten verknüpft werden. Hierzu müssen für 16 Bundesländer und viele Städte und Kommunen gemeinsame Standards geschaffen werden. Ein zweites großes Thema ist die Interoperabilität, also der Datentransfer zwischen den unterschiedlichen IT-Welten. „Wir setzen auf Software-Vielfalt, ohne eine Attacke auf eine bestimmte Firma zu fahren“, sagte Vogt.

Für das reibungslose Zusammenspiel müssen gemeinsame Standards geschaffen werden, die den Austausch von Daten erleichtern und gleichzeitig das Sicherheitsrisiko minimieren. Als Beispiel nannte Vogt den Datentransfer zwischen OpenOffice und MS-Office. Offene Standards wie das neue OASIS Open Document Format sind hier besonders wichtig, denn Dokumente und ihre nachhaltige Verfügbarkeit spielen schließlich in jeder Behörde eine zentrale Rolle. Die Staatssekretärin kündigte an, dass das OASIS-Format künftig in der Verwaltung verstärkt eingesetzt werden soll.

LiMux setzt auf Debian

Eine Reihe von Vorträgen widmete sich der derzeit größten Linux-Migration – dem LiMux-Projekt der Stadt München. Aktuell befindet sich LiMux in der Migrationsphase. Das Open-Source-Team ist gerade dabei, zusammen mit Dienstleistern einen stadtweit gültigen Basis-Client zu definieren, an dessen Ende die Office-Migration steht. Bis 2008 ist Zeit, um die einzelnen Bereiche umzustellen.

Die Ausschreibung für die Erstellung, Konfiguration und Pflege des Basis-Clients hat die Bietergemeinschaft Softcon und Gonicus im April 2004 gewonnen. Was viele überraschte: Softcon/Gonicus ließen renommierte Mitbewerber wie IBM, Sun Microsystems, EDS und T-Systems hinter sich. Die beiden Dienstleister sollen die städtischen Mitarbeiter besonders in der Anfangsphase unterstützen, langfristig sollen diese selbst die Pflege und Wartung der Systeme übernehmen.

Der Basis-Client basiert wie bei vielen Bundesbehörden nicht auf einer kommerziellen Distribution, sondern auf dem freien Debian GNU/Linux. An Anwendungsprogrammen kommen in München voraussichtlich OpenOffice oder StarOffice, die Bildbearbeitung GIMP und die Mozilla-Suite mit Webbrowser und Mail-Client hinzu.

Gegen Jahresende will das Team die ersten Pilotbereiche auf den neuen Basis-Client umstellen. Dann wird Anfang 2006 der Basis-Client nach und nach eingeführt und die Office-Migration gestartet. Welche Bereiche die IT-Experten zuerst umstellen, hängt maßgeblich von den dort eingesetzten Fachanwendungen und deren Verfügbarkeit unter Linux oder im Web ab. Gestartet wird die Migration mit möglichst einfachen Anwendungen. „Wir wollen zwar die überwiegende Zahl zu Linux-Arbeitsplätzen machen“, sagte ein LiMux-Mitarbeiter. „Aber der normale Dienstbetrieb darf nicht gefährdet werden. Die KFZ-Zulassungsstelle wegen der Linux-Umstellung schließen – das geht nicht.“

OpenOffice.org 2.0 am Start

Die Top-Applikation auf dem LinuxTag war OpenOffice.org 2.0 , dessen Final Release Ende Juli erwartet wird. Auf Basis von Umfragen und Rückmeldungen wurden in OO 2 einige Neuerungen eingeführt. Zu den wichtigsten Änderungen gehört das neue Dateiformat. Es beruht zwar weiterhin auf komprimierten XML-Dateien, richtet sich jetzt aber nach den Beschlüssen des Standardisierungsgremiums OASIS. Mit dem OASIS-Standardformat OpenDocument wird nun ein allgemeines Format für Office-Anwendungen definiert, um den Dokumentaustausch zu erleichtern. Neben OpenOffice.org 2.0 wird es künftig auch von KOffice als Standard-Dateiformat genutzt.

Im Vordergrund der Entwicklung der neuen Version stand außerdem ein verbesserter PDF-Export und Datenaustausch mit Microsofts Office-Paket. Hierfür wurden vor allem die Import- und Export-Filter überarbeitet. OpenOffice soll sich zudem in Bedienung und Aussehen besser an das jeweils eingesetzte Betriebssystem anpassen.

Im Datenbankbereich hat sich ebenfalls einiges geändert. In der neuen Version ist mit HSQLDB eine Java-basierte Datenbank integriert, so dass man jetzt einfacher Anwendungen ohne Server erstellen kann. Bislang war es mit OpenOffice nur möglich, auf bestehende Datenbanken zuzugreifen, aber keine neuen zu erstellen. Damit hat OpenOffice weiter zu Microsofts Office-Paket mit der Datenbank Access aufgeholt.

Java spielt auch noch in einem anderen Bereich von OpenOffice eine Rolle. Ein Riesenfortschritt kommt mit dem Scripting Framework, das OpenOffice nun beinhaltet. Damit ist es möglich, auch in Java Makros zu schreiben. Und genau damit schlagen die Entwickler von Sun und der Open-Source-Community eine wichtige Brücke für alle, die sich mit Automatisierungen und Migration in Office-Paketen beschäftigen. Eine Liste mit den wichtigsten Änderungen von OpenOffice 2 findet sich hier: http://de.openoffice.org/doc/featureguide/featureguide_OOo2.html

HP mit Ubunto-Notebook

Zu den relativ spärlich gesäten Linux-Mobilgeräten kommen in Bälde zwei Neuheiten hinzu. Hewlett-Packard präsentierte an seinem Stand ein Notebook mit Ubuntu-Betriebssystem – und geht damit weiter einen kompromisslosen Schritt in Richtung Linux. Voraussichtlich ab Herbst 2005 sollen die Modelle nx6110, nc6120, nc6220, nc6230 und nc6000 in Deutschland zusammen mit der Linux-Distribution Ubuntu ausgeliefert werden.

Allerdings muss das Betriebssystem via CD selbst installiert werden. Als Motivation für diesen Schritt erklärte ein HP-Sprecher, Ubuntu ließe sich besonders einfach installieren und warten. Bei der speziell an HP-Geräte angepassten Version seien noch weniger Probleme zu erwarten.

Die HP-Version wurde so angepasst, dass sie mit der integrierten Technik wie WLAN, Ethernet, Modem, Sound, PCMCIA, FireWire, Infrarot, Bluetooth und dem installierten Grafikchipsatz zurechtkommt. HP will zudem sämtliche ACPI-Funktionen wie zum Beispiel der bei Linux kritische Standby-Modus „Suspend-To-RAM“ vollständig unterstützen.

Zielgruppe seien vor allem Privatanwender, aber auch kleinere Firmen, erklärte der HP-Mitarbeiter. Die Notebooks werden, außer der der Ubunto-Distribution beigelegten Software, keine weiteren Programme enthalten. Die üblichen Office-Anforderungen sind damit jedoch abgedeckt.

Nokia 770 Internet Tablet

Nokia war mit seinem Nokia 770 Internet Tablet auf Linux-Basis vertreten. Die Open-Source-Surftool für unterwegs stellt Breitband-Internet-Verbindungen per LAN her. Das Nokia 770 bietet ein Display mit einer Auflösung von 800 x 480 Pixeln, eine Zoomfunktion und eine virtuelle Tastatur im Display. Zu den weiteren Highlights des Nokia 770 Internet Tablets mit dem 2005 Software-Release gehören eine Internet-Radio-Anwendung, ein RSS-Newsreader, ein Fotomanager sowie ein Audio- und ein Video-Player. Einen Zugang zu Mobilfunknetzen besitzt das Gerät allerdings nicht. Es muss hierfür mit Bluetooth an ein Bluetooth-fähiges Mobiltelefon gekoppelt werden.

Laut Nokia hat man sich beim Internet Tablet für Linux entschieden, „da Linux und die Open-Source-Entwicklungsplattform schnelle und effiziente Lösungen bieten, um weitere Produkte für diese neue Nokia-Produktkategorie zu entwickeln“. Die Entwicklungsplattform maemo bietet Open-Source-Entwicklern Tools und Möglichkeiten, um zusammen mit Nokia an zukünftigen Geräten und Betriebssystem-Releases zu arbeiten. Das Internet Tablet soll im Herbst verfügbar sein.

IBMs OpenPower-Initiative

IBM konzentrierte sich am Stand unter dem Motto "Powering Innovation with Linux" ganz auf Server-Anwendungen. Die auf kleine und mittlere Unternehmen zugeschnittenen OpenPower 710- und OpenPower 720-Server wurden speziell für den Einsatz unter Linux entwickelt und optimiert. Sie basieren auf Mainframe-orientierten Technologien und offenen Branchenstandards. Beide Server arbeiten mit POWER5-Prozessoren und bringen bei Xeon- und Opteron-Systemen fehlende Großrechnerfunktionen wie Virtualisierung oder Mikro-Partitionierung auch unter Linux.

IBM machte am Stand auch Werbung für seine OpenPower-Community. Nach der Ankündigung von Apple, bis 2007 komplett auf Intel-Prozessoren zu wechseln, will sich IBM verstärkt um Linux bemühen. Unter der URL www.openpowerproject.org werden die bisher vereinzelt laufenden weltweit verstreuten OpenPower- und Power-on-Linux-Projekte zentral aufgelistet. Entwickler haben hier die Möglichkeit, sich für freie Remote-Zugänge zu den verschiedenen OpenPower-Installationen anzumelden.

So findet man hier unter anderem eine zentrale Anlaufstelle, sich für Zugänge auf die Systeme an der Universität von Peking (SuSE auf OpenPower 710) und der Uni Augsburg (Debian auf OpenPower 710) zu registrieren. Auf der Website finden Interessenten auch Links zu den verschiedenen FAQs und Development-Kits und -Informationen von IBM.

Wie die Power-Technologie Linux unterstützen kann, demonstrierte IBM an Europas schnellstem Supercomputer MareNostrum am Supercomputer Center in Barcelona. In Karlsruhe griff man über Remote Access auf die spanische Rechenanlage zu und zeigte einige Anwendungen aus dem wissenschaftlichen Umfeld live.

Outlook-kompatibel: Offene Groupware

Gut vertreten auf dem LinuxTag waren auch offene Groupware-Lösungen. Inzwischen gibt es eine breite Palette von Ansätzen, den Microsoft-Exchange-Server mit freier Software nachzuahmen – und einiges besser zu machen.

Als ausgereiftes Open-Source-Projekt gilt der Open-Xchange-Server, dessen Basisfunktionalität für E-Mail und Kalender in großen Teilen der Funktionalität des Exchange Servers entspricht. Im April hatte Netline den Groupware-Server Open-Xchange als Version 5 freigegeben. Den Server gibt es in einer Open-Source- und einer kommerziellen Variante.

Auf dem LinuxTag stellte Netline einen Outlook-Konnektor vor. Der OXlook getaufte Konnektor verbindet das unter Windows laufende Outlook mit dem Linux-Open-Xchange-Server. OXlook soll nach Angaben von Netline eine vollkommen nahtlose Integration ermöglichen und die gesamte Funktionsbreite des Mail-Clients unterstützen. Damit können Unternehmen im Back-End den kostengünstigen Open-Xchange-Server laufen lassen und Outlook weiterhin als Mail- und PIM-Client verwenden.

Die Groupware Kolab nutzt als Outlook-Link den kommerziellen TolTec-Connector. Die auf dem LinuxTag gezeigte Version 2 von Kolab bringt unter anderem Unterstützung für Server an unterschiedlichen Standorten und kann Spam-Filter und Antiviren-Software einbinden. Zudem lassen sich nun gemeinsame Ordner von Anwendern nutzen, die Outlook- und KDE-Clients einsetzen; das Kolab-Team verspricht vollständige Unterstützung einer heterogenen Client-Umgebung. Kolab 2 soll zudem bei der Bedienbarkeit und der Geschwindigkeit um einiges verbessert worden sein. Kolab 2 setzt auf der Server-Seite auf Open-Source-Komponenten wie Apache und OpenLDAP auf. Als Client kann neben Outlook ein eigener Kolab-Client für KDE eingesetzt werden.

Fazit

Viele weitere Highlights gab es in Karlsruhe zu sehen. Einer der Höhepunkte stellte in diesem Jahr der Bereich Linux und Video dar. Damit reagierte die Open-Source-Gemeinde auf die zunehmende Verwendung von Computern als Heimkino und Fernseher. In Veranstaltungen, besonders im Practical Linux Forum, wurden taugliche Lösungsansätze aufgezeigt. Der Bereich Sicherheit spielte ebenfalls eine große Rolle.

Alles in allem hat sich Linux zu einem wichtigen ökonomischen Faktor entwickelt: Immer mehr Behörden und Unternehmen steigen auf Linux um, Branchengrößen wie HP, Intel, IBM und Nokia bieten Linux-Anwendungen an und haben ihre Produkte auf dem LinuxTag präsentiert. In der IT-Welt ist Linux inzwischen eine bedeutende treibende Kraft. (ala)