Aufbruchstimmung

16.10.1998
Electronic Commerce ist eines der interessantesten und gleichzeitig unübersichtlichsten Anwendungsgebiete des Internet. Es scheint, daß jeder darunter das versteht, was er möchte - und das ist gar nicht so verkehrt. Denn im Prinzip ist E-Commerce nichts anderes als die Unterstützung aller Geschäftsprozesse durch Netze und verteilte Rechnersysteme.

Von: Dr. Franz-Joachim Kauffels

Seit Jahren gibt es in der "International Federation for Information Processing" (IFIP) mehrere Arbeitsgruppen, die sich mit "Verteilten Systemen" beschäftigen. Interessant war, daß mit der Konferenz TREC 98, welche die IFIP Anfang Juni in Hamburg veranstaltete, nicht nur der anwendungsorientierte Schwerpunkt auf E-Commerce gesetzt wurde, sondern diese Konferenz Wissenschaftler und Interessenten aus Industrie und Anwendung vereinte.

Speziell vier Facetten von E-Commerce standen im Mittelpunkt der Veranstaltung. Der erste war Business over the Internet. Ohne realistische Anforderungen und Randbedingungen können E-Commerce-Lösungen die Bedürfnisse der Anwender nicht erfüllen. Modelle und Mechanismen von Forschungsgebieten wie Mikro-Ökonomie und Marketingtheorie müssen herangezogen werden, um das Benutzerverhalten zu verstehen und Ziele zu setzen.

Sichere Kommunikationswege: Voraussetzung für E-Commerce

Eine sichere Kommunikationsinfrastruktur - Stichwort Safety and Security - ist eine Voraussetzung für kommerzielle Transaktionen über weltweite Netze. Das Sicherheitskonzept muß weiter reichen als bis zur Autorisierung, Authentifizierung und Verschlüsselung. Weitere Themen sind die Zertifizierung öffentlicher Schlüssel, Merkmale für Dienstqualität oder die Bezahlung mittels Kreditkarte. Sichere Zahlungsmöglichkeiten müssen sich leicht in Frameworks für E-Commerce integrieren lassen.

Brücke zwischen Systemen und Anwendungen

Die Einbindung von Geschäftsprozessen über die Grenzen einer Organisation hinweg (Inter-organisational Workflow Management) ist eine Herausforderung für das Management und die Technik. Die Einzelheiten der Prozeßintegration betreffen die Sicherheit in heterogenen Umgebungen, Verwaltungs- und juristische Aspekte sowie die Softwaretechnik. Die Vorstellung, daß "E-Commerce ein Web Server ist und wenn ich mit meinem PC rede", greift zu kurz. Die Middleware verteilter Systeme muß eine Brücke zwischen den Kommunikations-Subsystemen und der anwendungsspezifischen Software für Business-Einheiten schlagen. Hier bilden sich Standards heraus, und dies war einer der wertvollsten Schwerpunkte der Tagung.

Zum einen zeigt sich, daß nur die objektorientierte Softwaretechnolo-gie eine erfolgversprechende Möglichkeit bildet. Mit "Corba" (Common Object Request Broker Architecture) der OMG (Object Management Group) wird ein Konsens geschaffen, der nur (wie üblich) von Microsoft unterlaufen wird. Zum anderen haben wichtige Hersteller hier bereits etwas aufzuweisen, etwa IBM mit den Elementen des San-Francisco-Projekts oder - besonders eindrucksvoll - SAP mit einer Software, die den Besitzer einer R/3-Installation schnell in die Lage versetzt, in der ersten Ausbaustufe einen "Web-Laden" aufzubauen und später seine Aktivitäten im Internet auszubauen.

Ein Fazit der Veranstaltung zu ziehen, ist schwierig, weil das Thema nicht mit herkömmlichen Maßstäben zu messen ist. Klar ist aber, daß man in vielen Geschäftsbereichen nicht auf theoretische Ergebnisse warten kann, sondern mit E-Commerce starten muß - weil die anderen dies auch tun und die vielbeschworene Globalisierung hier zuerst stattfindet.

Es scheint wichtig zu sein, auch an Vorstände zu kommunizieren, daß sich bereits in einer frühen Phase mittels E-Commerce Gewinne erzielen lassen, wie dies Dell und Cisco eindrucksvoll belegen. Der PC-Direktversender Dell (http://www.dell.com) erwirtschaftete im vergangenen Geschäftsjahr mehr als acht Prozent des Gesamtumsatzes von zwölf Milliarden Dollar über das Internet. Bei Cisco Systems (http://www.cisco.com) betrug der Online-Umsatz im letzten Jahr mehr als drei Milliarden Dollar, dies entspricht der Hälfte der gesamten Einkünfte. Beide Firmen erreichten, anders als das strapazierte Beispiel "amazon. com", sehr schnell Gewinne in dreistelliger Millionenhöhe.

Die Technik ist vorhanden; es gibt aber große Probleme bezüglich der Vertrauensbildung. Viele mißtrauen beispielsweise mit Recht staatlichen Zertifizierungsstellen. Überhaupt ist der Bereich des elektronischen Vertragswesens schlichtweg unterbelichtet. Auch Fragen nach Arbeitsplatzvernichtung oder anderen sozialen Folgen kamen auf. Vor allem jedoch wurde auf der Konferenz endlich wieder einmal der Atem des Fortschritts und die Stimmung des Aufbruchs deutlich.

Für Interessenten stehen zwei Tagungsbände zur Verfügung:

Lamersdorf, Merz: Trends in Distributed Systems for Electronic Commerce, Lecture Notes in Computer Science 1402, Springer Berlin, Heidelberg, NY 1998 ISBN 3-540-64564-0 Griffel, Tu, Lamersdorf: Electronic Commerce, dpunkt.verlag, Heidelberg 1998 ISBN 3-932-588-24-X

Weitere Informationen finden sich auf folgender Web-Seite: http://vsys-www.informatik.uni-hamburg. de/trec98 (re)