Aufbruch in eine neue Welt

22.01.2001
Mit 10-Gigabit-Ethernet schickt sich eine Technik an, in den Weitverkehrsbereich einzudringen, die ursprünglich nur im lokalen Netz zu Hause war. Vor allem in Metropolitan Area Networks soll 10GE zum Zuge kommen. Das Problem dabei: Dort trifft der Newcomer auf bewährte Übertragungsverfahren wie ATM und Sonet/SDH.

Von: Bernd Reder

Es ist bemerkenswert, in welchem Tempo die Standards für die jeweils nächste Generation von Ethernet durch die Normierungsgremien "gepeitscht" werden: Die 1-Gigabit-Ethernet-Spezifikation entstand zwischen 1996 und 1999; die Variante mit 10 GBit/s soll 2002 verabschiedet werden, und für 2005 beziehungsweise 2006 steht gar eine Norm für Ethernet mit 100 GBit/s auf der Tagesordnung. Und nun wollen einige Unternehmen den "Netzwerk-Veteran" auch noch als Lösung für die "Letzte" beziehungsweise "Erste Meile" etablieren. Auf dem letzten Treffen der Gruppe 802.3 des Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) im November vergangenen Jahres formierte sich eine entsprechende Studiengruppe. In der nächsten Ausgabe stellen wir Details dazu vor.

Mit 10-Gigabit-Ethernet (10GE) wird diese Technik erstmals das LAN oder den Campus verlassen und in Neuland vorstoßen, das bislang von traditionellen Telekommunikationstechniken wie Sonet/ SDH und ATM beherrscht wurde: Citynetze (Metropolitan Area Networks) und den Weitverkehrsbereich. Dass 10GE in MANs überhaupt eine Chance eingeräumt wird, sich gegen die etablierten Verfahren zu behaupten, hängt mit neuen Arten von Applikationen zusammen, die im Citynetz der Zukunft eine wichtige Rolle spielen werden. Vereinfacht gesagt: Statt Sprachinformationen werden dort Daten dominieren.

Hier einige Beispiele für solche datenintensiven Anwendungsfelder:

- Die Verknüpfung von geografisch verteilten LAN-Segmenten in einem Corporate Network,

- die Verbindung von Backend-Servern beziehungsweise Server-Farmen,

- Leitungen mit hohen Datenraten, die Server innerhalb von Points of Presence (PoPs) oder PoPs miteinander verbinden,

- die Übertragung von Echtzeitdaten, etwa Video- und Audiostreams; das MAN als Bindeglied zwischen lokalen Netzen und Wide Area Networks darf in diesem Fall nicht zum Flaschenhals werden,

- das Outsourcing von IT- und Telekommunikationsdiensten sowie

- das Application-Service-Providing.

Dank dieser Applikationen wird der Bedarf an Bandbreite in Citynetzen in den nächsten Jahren drastisch zunehmen. Gefördert wird diese Entwicklung durch den Trend zu Techniken auf der "Letzten Meile", die für deutlich höhere Datenraten als ISDN ausgelegt sind, etwa Digital Subscriber Line (DSL) oder "Wireless Local Loop". Ein weiterer Faktor, der die Evolution von MANs maßgeblich mitbestimmt, ist die Konvergenz unterschiedlicher Dienste. Beispiele dafür sind IP-Telefonie und Streaming Media. Mit Hilfe solcher Services können sich Carrier sowie Internet- und Application-Serviceprovider voneinander differenzieren und Alleinstellungsmerkmale entwickeln.

Für die MAN-Infrastruktur heißt das unter anderem, dass sie Funktionen bereitstellen muss, mit denen sich Bandbreite kontrollieren und in möglichst kleine "Häppchen" aufteilen lässt. Wünschenswert ist außerdem ein "Traffic Engineering", um unterschiedliche Service-Klassen anbieten zu können, etwa für zeitkritische Daten wie Sprache und Videos. In IP- beziehungsweise Ethernet-Netzen lässt sich das mit Hilfe von Techniken wie Multiprotocol Label Switching (MPLS) oder Differentiated Services (Diffserv) erreichen.

Schützenhilfe durch DWDM

Die Protagonisten von 10-Gigabit-Ethernet gehen davon aus, dass in Citynetzen mit 70 bis 100 Kilometern Durchmesser 10GE auf Dark-Fiber- beziehungsweise Dark-Wavelength-Leitungen zurückgreifen wird. Dark Fiber sind Glasfaserkabel im Rohzustand, an die keine Netzwerkendgeräte angeschlossen sind. Eine Schlüsselrolle werden hier LWL-Verbindungen auf Grundlage von Dense Wavelength Division Multiplexing (DWDM) spielen. DWDM erlaubt es, 100 Kanäle und mehr auf eine einzelne Glasfaser zu multiplexen.

Zu den Vorzügen dieser Variante des optischen Wellenlängenmultiplexens zählt neben der hohen Bandbreite von mittlerweile mehr als 3,3 TBit/s, dass DWDM-Lösungen unabhängig von der Bandbreitenhierarchie sind, die für Sonet/SDH festgelegt wurde. Daher ist die Verknüpfung von Wavelength Division Multiplexing mit 10-Gigabit-Ethernet geradezu ideal.

Noch unklar ist jedoch, wie die Architektur eines Metropolitan Area Networks aussehen wird, das auf 10GE aufsetzt und über das IP-Daten transportiert werden. Prinzipiell gibt es drei Alternativen:

- Packet over Ethernet over Sonet-based Optical, kurz PES,

- Packet over Ethernet over WDM-based Optical (PEW) und

- Packet over Ethernet over Fiber (PEF).

Bei der ersten Variante PES (Bild 1 a) werden IP-Pakete entweder direkt über eine Sonet-Infrastruktur transportiert, wobei die IP-Daten mit Hilfe des Point to Point Protocol (PPP) "eingepackt" werden, oder sie laufen über ein Ethernet-Segment, das aus Sonet-Links aufgebaut ist. Dieser Ansatz hat den Nachteil, dass die Time-Division-Multiplexing-Funktionen von Sonet, dessen physikalische Schicht sowie dessen komplexen Managementfunktionen in den Übertragungsprozess involviert sind. Die Folge: ein erklecklicher Overhead. Dagegen lässt sich auf diese Weise die Bandbreite besser skalieren, von 10 MBit/s bis zu 10 GBit/s. IP-Daten direkt über Sonet zu transportieren, ist im Vergleich dazu kompliziert, vor allem dann, wenn die Zahl der Links hoch ist. Bei Ethernet over Sonet ist es dagegen nicht notwendig, eine ähnlich große Zahl von Punkt-zu-Punkt-Verbindungen aufzubauen.

Die zweite Variante, PEW (Bild 1 b) funktioniert ähnlich wie PES, kommt aber mit einem kleineren Sonet-Header aus. Zudem ist es nicht erforderlich, auf ein separates Sonet-Managementsystem zurückzugreifen. Ein dritter Vorteil besteht darin, dass die TDM-Funktionen und eng gefassten Vorgaben des Physical Layer des Synchronous Optical Network umgangen werden. Aller Voraussicht nach wird - wie bereits angedeutet - vor allem die dritte Version, Packet over Ethernet over Fiber (PEF, Bild 1 c), in Citynetzen zum Zuge kommen. Der Anwender hat damit beispielsweise die Möglichkeit, Speicher- und Backupsysteme aus dem Datenzentrum in andere Standorte auszulagern und "remote" auf diese Netzwerkkomponenten zuzugreifen. Weitere Anwendungsfelder sind Remote-Hosting und Ausweichrechenzentren.

Sonet und ATM noch nicht aus dem Rennen

Nun ist nicht damit zu rechnen, dass Carrier und Serviceprovider ihre Sonet- und ATM-Systeme schlagartig gegen 10GE-Equipment austauschen werden. Zudem weist ein 10GE-MAN noch Mängel auf: So benötigt Sonet beispielsweise nur 50 Millisekunden, um nach Unterbrechung einer Leitung die Verbindung neu aufzubauen. Bei Ethernet sind noch mehrere Sekunden zu veranschlagen, wie Jerry Parrick, der Chef des amerikanischen Providers Yipes einräumt, der ein MAN auf Basis von 1-Gigabit-Ethernet betreibt. Vorteile hat die "alte" Technik auch in Bezug auf die Verfügbarkeit. Während Sonet-Netze auf einen Wert von 99,999 Prozent kommen, garantiert Yipes nur 99,99 Prozent. Diesen Wert will der Carrier nach Angaben von Parrick jedoch in diesem Jahr übertreffen.

Um den Brückenschlag von Sonet/SDH zu 10-Gigabit-Ethernet zu ermöglichen, sieht die Spezifikation IEEE 802.3ae zwei physikalische Schnittstellen vor: ein LAN-Interface mit vollen 10 GBit/s und eine WAN-PHY mit 9,58464 GBit/s, die zu SONET/SDH OC-192c/STM-64 kompatibel ist. Sie wurde zu diesem Zweck mit einem einfachen Sonet-Framer ausgestattet. Allerdings unterstützt die 10GE-Schnittstelle weder TDM noch einen direkten Zugang zu Sonet-Infrastrukturen, sondern nur zu entsprechenden Zugangssystemen. Auf diese Weise lassen sich Ethernet-Links über ein Sonet/SDH-Netz ausdehnen. Unter dem Strich ist somit festzuhalten, dass 10-Gigabit-Ethernet in erster Linie für "neue" Carrier eine Alternative sein könnte, die noch über kein Netz mit Sonet/SDH- und ATM-Komponenten verfügt. Es bleibt abzuwarten, ob die Anbieter von Telekommunikationsdiensten tatsächlich ihre Netze auf Ethernet "umpolen".