Auf der Suche nach der Killerapplikation

26.10.2001
Wer mit dem neuen Mobilfunkstandard UMTS Profite machen will, kommt um Datendienste nicht herum. Während in Japan schon erfolgreiche Vorläufer der neuen Services zu besichtigen sind, tasten sich die deutschen Mobilfunkbetreiber erst noch an den Markt heran.

Von: Petra Riedel

Mobiltelefone mit eingebauter Digitalkamera haben sich in Japan zur erfolgreichen Waffe im Kampf um Marktanteile entwickelt. Der Handybesitzer kann mit ihnen Schnappschüsse an Verwandte und Freunde versenden. Durch die neuen Telefonkameras von Sanyo und Sharp hat der Betreiber J-Phone im Juli mehr als ein Viertel der neuen Vertragsabschlüsse im japanischen Mobilfunkmarkt für sich gewonnen. Das Unternehmen ist mit 10,5 Millionen Kunden die Nummer zwei in Japan.

Auch in anderen Bereichen hat der japanische Mobilfunkmarkt dem europäischen einiges voraus. Der Dienst "I-Mode" konnte innerhalb von zwei Jahre mehr als 24 Millionen Nutzer verzeichnen. Bis Ende des Jahres sollen es 30 Millionen sein - etwa 40 Prozent aller japanischen Mobilfunkkunden. Rund 1500 I-Mode-Sites können die Nutzer über ihr Handy abrufen, darunter News-Services, Navigationssysteme und Ticket-Dienste. I-Mode erhöht die Rechnung eines Nutzers im Durchschnitt um 25 Prozent.

Internetservices auf Grundlage von WAP (Wireless Application Protocol) - dem europäischen Pendant zum japanischen I-Mode - sind dagegen ein Flop. Die Carrier hier zu Lande müssen sich jedoch dringend zusätzliche Einnahmequellen erschließen, um die erdrückende Schuldenlast zu mildern und die Investitionen in die UMTS-Lizenzen (Universal Mobile Telecommunications System) und den Netzaufbau zu amortisieren.

Japan führt bei Datendiensten

Viele Experten sind skeptisch, ob die Netzbetreiber dies schaffen können. Das Marktforschungsunternehmen Forrester Research rechnet nicht damit, dass das mobile Internet - trotz riesigem Boom in den nächsten zehn Jahren - den Umsatzrückgang bei den traditionellen Diensten wettmachen kann. Im Jahr 2000 setzten die Mobilfunkbetreiber durchschnittlich 490 Euro pro Nutzer und Jahr um, 2005 sollen es nur noch 419 Euro sein, von denen 106 Euro auf das Konto des mobilen Internets gehen. Es bleibt ein Minus von 69 Euro.

Dieser Umsatzeinbruch wird einige Mobilfunkbetreiber in den Ruin treiben, sagen viele Experten. "UMTS wird als Auslöser in Erinnerung bleiben, der die europäische Mobilfunkindustrie zum Implodieren brachte", erwartet Lars Godell, Telecom-Analyst bei Forrester Research. Den Neustartern gibt Godell keine Überlebenschance. Und auch die kleineren Betreiber, die in Deutschland und England die teuren UMTS-Lizenzen erstanden haben, werden es schwer haben: "Ihnen wird das Geld ausgehen, bevor sie über den Berg sind", sagt Godell.

Infodienste sorgen für Umsatz

E-Plus, Nummer drei im deutschen Markt, hat nun die Flucht nach vorne angetreten. Auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin kündigte der Chef des Unternehmens, Uwe Bergheim, für Ende dieses Jahres den Start eines eigenen I-Mode-Dienstes an. Damit kommt das erfolgreiche japanische Modell erstmals nach Europa. Die Markteinführung ist nicht ohne Risiken, denn der I-Mode-Standard ist bei den Endkunden noch unbekannt. Dennoch könnte sich der Schachzug von E-Plus als sehr geschickt erweisen. Der Betreiber kann damit schon ein Jahr vor dem erwarteten UMTS-Start die Übertragung größerer Datenmengen wie Bilder oder Spiele anbieten - und Kunden an sich binden.

Auch mit dem Klassiker SMS (Short Message Service) versuchen die Betreiber neue Umsätze zu generieren und bieten Infodienste im Abo an. Nutzer können sich beispielsweise Fußballresultate oder Börsenkurse via Kurznachricht zusenden lassen. Diese Services könnten sich laut Taylor Nelson Sofres Telecoms als Killerapplikationen für UMTS erweisen. Die Marktforschungsgruppe befragte Mobilfunknutzer in Europa und fand heraus, dass Dienste wie das Versenden und Empfangen von E-Mails, der Zugriff auf Verkehrsinformationen und der Abruf von aktuellen Nachrichten auf dem Massenmarkt die besten Chancen haben. "Die UMTS-Nutzer werden die heutigen Mobilfunk- und Internet-User sein", sagt Wolfgang Best, Director Telecoms & IT bei Taylor. In dieser Zielgruppe ermittelten die Marktforscher ein wachsendes Interesse an UMTS-Diensten. Das Hauptaugenmerk dieser Anwender gilt laut Studie der Reservierung und Buchung von Eintrittskarten. 79 Prozent könnten sich die Nutzung solcher Services vorstellen. Der Kauf von Büchern oder CDs steht mit 67 Prozent an zweiter Stelle, gefolgt vom Handel mit Reisetickets.

In Deutschland senden etwa 55 Prozent der Mobilfunknutzer häufig SMS-Nachrichten. Besonders beliebt sind die Kurznachrichten bei den unter 25-Jährigen, mehr als 90 Prozent dieser Altersgruppe verschicken Botschaften per SMS.

Im Jahr 2010 werden 28 Prozent der 2,25 Milliarden Mobilfunknutzer weltweit Dienste in den Mobilfunknetzen der dritten Generation nutzen. Das hat das UMTS-Forum aus den Prognosen von Marktforschern herausgefiltert. Das Endkundensegment hat demnach einen Anteil von rund 65 Prozent an den Umsätzen, das Volumen soll sich im Jahr 2010 auf rund 322 Milliarden Dollar belaufen. Völlig neue Umsatzquellen wird es dabei kaum geben, eher werden vorhandene Dienste weiterentwickelt.

Das Forum teilt die Mobilfunkdienste der dritten Generation in sechs Hauptkategorien:

- Individuelles Infotainment,

- Multimedia Messaging Services (MMS),

- Mobiler Intranet-/Extranetzugang,

- Mobiler Internetzugang,

- Location Based Services,

- klassische Sprachdienste.

Individuelles Infotainment wird demzufolge - weil billig und massenmarkttauglich - der erste und größte Ertragsbringer sein und im Jahr 2010 einen Anteil von 86 Milliarden Dollar am Gesamtmarkt haben. Die Umsätze mit Werbung und Übertragungsdiensten sollen dann rund 20 Prozent ausmachen (60 Milliarden Dollar). Services wie E-Mail oder Web-Browsing werden zwar viel Datenverkehr erzeugen, aber kaum direkt zum Ertrag beitragen, weil die Kunden für diese Zusatzdienste nicht extra bezahlen wollen.

Die Wertschöpfungskette wird mit den neuen Mobilfunkdiensten komplexer. Strategische Partnerschaften sind nötig, um attraktive Inhalte bereitzustellen. Die Umsätze werden dann entsprechend zwischen den Mobilfunkbetreibern, Content-Providern und anderen Partnern aufgeteilt. Bei E-Plus erhalten beispielsweise die Inhaltepartner von I-Mode-Sites 70 Prozent, der Betreiber 30 Prozent der Einnahmen. Bei T-Motion, dem WAP-Portal von T-Mobile, bekommen beide Seiten jeweils 50 Prozent.

Drei Business-Modelle für das UMTS-Geschäft

Drei Erfolg versprechende Geschäftsmodelle hat das UMTS-Forum für die 3G-Serviceprovider ausgemacht: Erstens soll es Anbieter geben, die sich vor allem auf den mobilen und IP-Netzzugang spezialisieren und Internet-erfahrene Kunden im Visier haben. Mögliche Services sind dabei der mobile Internetzugang für Endkunden und der mobile Intranet-/Extranetzugang für Geschäftskunden. Die Umsätze kommen nur aus dem Vertragsgeschäft und der Online-Zeit. Für das Jahr 2010 wird ein Umsatz von 140 bis 160 Milliarden Dollar erwartet.

Im zweiten Modell bieten Serviceprovider via Mobiltelefon Zugang zu mobilen und IP-Netzen und zu ausgewählten Partner-Sites. Die Kunden dieser Anbieter sind vor allem die klassischen Handynutzer, die schnellen Zugang zu maßgeschneiderten Inhalten suchen. Die Umsätze aus dem Vertragsgeschäft, der Online-Zeit, den Übertragungsgebühren und der Werbung sollen im Jahr 2010 ebenfalls 140 bis 160 Milliarden Dollar betragen.

Das dritte Geschäftsmodell peilt bestimmte Zielgruppen mit speziellen Services an. Umsätze kommen aus der Online-Zeit, dem Senden und Empfangen von Nachrichten, dem Vertragsgeschäft sowie der Werbung. Zu den möglichen Diensten zählen Multimedia Messaging, also das Versenden von Nachrichten, E-Postkarten, Schnappschüssen und Videos, sowie ortsbezogene Angebote, die so genannten Location Based Services (LBS). Ovum prognostiziert, dass im Jahr 2006 rund 20 Milliarden Dollar mit LBS generiert werden und bezeichnet sie als "netten kleinen Markt".

Auf der Suche nach einer Einnahmequelle vergessen die Mobilfunkbetreiber jedoch die Businesskunden. "Das eigentliche Potenzial liegt im Business-to-Business-Bereich - hier ist eine echte Marktlücke zu schließen und noch Geld zu verdienen", sagt Thomas Spiegelmeier, Mobilfunkexperte der Unternehmensberatung Mummert+ Partner. Eine der ersten Anwendungen im mobilen B-to-B-Markt könnte die Außendienstunterstützung sein, zum Beispiel für Versicherungen. Die Mitarbeiter tauschen dabei per Handheld-Computer mit dem Firmennetzwerk Daten aus. Auch im Bereich Logistik, Flottenmanagement und Prozessoptimierung bietet die Mobilfunktechnik viele Einsatzmöglichkeiten. Über virtuelle Business-Communities könnten Geschäftspartner Kontakte knüpfen. Diese Chancen gilt es Spiegelmeier zufolge zu nutzen, denn die B-to-B-Nutzer werden eher bereit sein, Gebühren für mobile Dienste zu bezahlen.

Neue Dienste sind schon im Einsatz

Manche Firmen nutzen die neuen Dienste bereits. British Gas hat seine Außendienstmitarbeiter mit Mobilfunkgeräten ausgestattet. Die Techniker können so Serviceanrufe entgegennehmen, Daten senden und empfangen sowie Lagerbestände überprüfen. 130 000 solcher Anrufe gehen täglich bei British Gas ein. Seit der Einführung der Geräte sind die Kommunikationskosten zurückgegangen. Außendienstler erledigen jetzt die meisten Aufträge schon beim ersten Kundenbesuch.

Vom japanischen Erfolg lernen möchte auch BT Cellnet. Das Unternehmen will Ende des Jahres die Handykamera auf den europäischen Markt bringen. (haf)

Zur Person

Petra Riedel

ist freie IT-Journalistin in München.