Forscher vergleichen Lebensläufe

Auch Sitzenbleiber machen Karriere

26.05.2014
Bamberger Bildungsforscher beobachten den Lebensweg von 60.000 Deutschen - vom Baby bis zum Erwachsenen. Manches Ergebnis überrascht. Wer in der Schule einst sitzenblieb, erfährt späte Genugtuung.

Acht Jahre Gymnasium oder doch besser G9? Waldorf oder Montessori? Beim Thema Bildung gehen die Meinungen weit auseinander. Denn verlässliche Langzeitdaten zu den unterschiedlichen Angeboten gibt es erst wenige. Hans-Günther Roßbach ist gerade dabei, das zu ändern.

Der Bamberger Universitätsprofessor beobachtet gemeinsam mit anderen Forschern seit fünf Jahren den Lebensweg von 60.000 überwiegend jungen Deutschen. Es geht darum, in welche Sportvereine sie gehen, auf welche Schulen sie wechseln, ob sie Nachhilfe brauchen oder welche Berufe und Studiengänge sie wählen. Teilnehmer der ungewöhnlichen Studie sind Babys, Kindergartenkinder, Schüler, Studenten, aber auch Berufstätige. "Vor allem geht es uns darum, wie sich die Teilnehmer im Laufe der Jahre geistig weiterentwickeln und durch was diese Entwicklung gefördert oder gebremst wird", sagt Roßbach. "Wir Wissenschaftler sprechen dabei von den kognitiven Fähigkeiten."

Die Teilnehmer müssen einmal im Jahr Matheaufgaben lösen, etwas vorlesen, naturwissenschaftliche Fragen beantworten oder - im einfachsten Fall - einen Fragebogen ausfüllen. Alle Fäden laufen in Bamberg zusammen. Anhand der Ergebnisse erstellt Roßbach mit seinem Team das sogenannte "Nationale Bildungspanel" (NEPS). Ein riesiger Datenpool, den Forscher für eigene Studien kostenlos anzapfen können. "Auf das NEPS greifen mittlerweile 700 Wissenschaftler aus 15 Nationen zu", sagt Roßbach.

So konnten Wissenschaftler mit den NEPS-Daten die Bildungsabschlüsse von Kindern und deren Eltern relativ unkompliziert miteinander vergleichen. "Deutsche Kinder sind demnach Bildungsaufsteiger - sie haben zumeist höhere Bildungsabschlüsse als ihre Eltern", sagt Roßbach. Und dabei spiele ein Migrationshintergrund überraschenderweise keinerlei Rolle: "Kinder mit Migrationshintergrund sind in diesem Fall weder benachteiligt noch bevorzugt, das geht aus NEPS deutlich hervor."

Ein anderes Forschungsteam verwendete die Bamberger Datenbank, um die Folgen des Sitzenbleibens zu untersuchen. Roßbach: "Klassenwiederholer und Nichtklassenwiederholer unterscheiden sich in ihrer Berufskarriere demnach überhaupt nicht." Offensichtlich gebe es genügend Möglichkeiten, die negativen Erfahrungen zu kompensieren. "Vielleicht sollte man die öffentliche Schimpfe auf das Sitzenbleiben etwas überdenken", meint der Erziehungswissenschaftler Roßbach.

Die wichtigsten Karrieretrends 2014... -
Die wichtigsten Karrieretrends 2014...
...waren auch schon in den vergangenen Jahren ein Thema. Schauen Sie, welche Themen Arbeitgeber und Mitarbeiter in dem Jahr beschäftigen werden.
"Wir stellen ein!"
95 Prozent der von Pape Labs befragten 2800 Unternehmen planen im Jahr 2014 Neueinstellungen. Knapp 14 Prozent der Firmen wollen mehr als 100 neue Mitarbeiter gewinnen.
Fachkräftemangel
Die Klagen der Unternehmen über ihre Probleme, qualifizierte IT-Mitarbeiter zu finden, werden auch 2014 anhalten. Während bekannte Konzerne ausreichend Bewerbungen erhalten, tun sich kleinere und mittelständische Firmen schwer. Ohne zugkräftige Produkte, attraktiven Standort und Gehalt können sie IT-Profis kaum locken. Fachkräftemangel in der IT ist bislang vor allem eine regionale Erscheinung.
Employer Branding
Der Aufbau einer attraktiven Arbeitgeber- marke gilt als Königsweg, um begehrte Kandidaten auf sich aufmerksam zu machen. Dabei werden die Prinzipien von Produktmarken auf Arbeitgeber übertragen. Nach Analyse des Arbeitgebers und seines Umfelds muss die Marke definiert und ein einheitliches Konzept umgesetzt werden – auf der Website, in Broschüren und Stellenanzeigen sowie bei Messeauftritten.
Generation Y
Die unter 30-Jährigen sind durchaus bereit, lange, viel und fleißig zu arbeiten – aber sie wollen wissen, warum. Arbeit muss Spaß machen und einen übergeordneten Sinn ergeben. Mit Karriere verbindet diese Generation Perspektive, Abwechslung und Work-Life-Balance. Für mehr Freizeit ist sie auch bereit, weniger zu verdienen. Sie weiß um die Instabilität vieler Jobs, entsprechend gering ist ihre Loyalität zu Arbeitgebern.
Work-Life-Balance
Ein Gleichklang zwischen Arbeits- und Privatleben hat je nach Situation unterschiedliche Ziele. Voraussetzung ist immer, dass dem Mitarbeiter neben der Arbeit noch genügend Zeit für Kinderbetreuung, Angehörigenpflege, Sport oder gesellschaftliches Engagement bleibt. Viele Firmen versuchen mit flexiblen Arbeitszeiten oder Betreuungsangeboten ihre Mitarbeiter zu unterstützen und so als attraktive Arbeitgeber wahrgenommen zu werden.
Home Office
Auch von zu Hause aus arbeiten zu können, empfinden viele als attraktive Ergänzung zum Schreibtisch im Büro und als Möglichkeit, Job und Familie besser zu vereinbaren. Soll das Home Office das Büro aber ersetzen, fürchten Chefs um ihre Kontrolle und Mitarbeiter um ihren Anschluss – wie die 500-Microsoft-Beschäftigten in Böblingen, Bad Homburg und Hamburg, die sich erfolgreich gegen die geplante Schließung der Standorte wandten.

Der Wissenschaftsrat bezeichnet NEPS als das "derzeit bedeutsamste Projekt der deutschen Bildungsforschung". Der Vorsitzende des Wissenschaftsrates, Wolfgang Marquardt, ist sich sicher: "Der Wert dieser Daten wird sich noch weiter erhöhen, je länger die Bildungskarrieren der Teilnehmenden verfolgt werden können." Mindestens über einen Zeitraum von zehn Jahren wollen die Forscher die 60.000 Testpersonen begleiten. Um die NEPS-Datenbank in Bamberg zu füllen, treibt das Team um Roßbach einen enormen Aufwand: Es führt jedes Jahr rund 100.000 Befragungen durch. Denn auch die Erzieherinnen, Lehrer, Schulleiter oder Eltern der 60.000 Teilnehmer werden in die Studie einbezogen.

Das Nationale Bildungspanel war anfangs ein Projekt, das vom Bundesbildungsministerium finanziert und von der Universität Bamberg durchgeführt wurde. Im Januar wurde daraus ein selbstständiges Institut - das "Leibnitz Institut für Bildungsverläufe an der Uni Bamberg". Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU) eröffnet es an diesem Montag ganz offiziell.

Die jüngsten Teilnehmer waren beim Start im Jahr 2009 sieben Monate alte Babys. "Die konnten natürlich noch keine Fragen beantworten", sagt Roßbach. Die Forscher haben den Säuglingen auf Bildschirmen Zahlen und Muster gezeigt. "Kommt immer das selbe Muster, fängt das Kind an zu gähnen. Kommt etwas Neues, achtet es wieder auf den Bildschirm", erläutert der Bildungsexperte. Die Zeitspanne zwischen beiden Reaktionen lasse Rückschlüsse auf die kognitiven Fähigkeiten zu. Wie diese sich in den kommenden Jahren bis zum Erwachsenenalter entwickeln werden, darauf sind die Forscher mehr als gespannt. (dpa/tc/hal)