Antennenstreit gefährdet Netzausbau

28.09.2001
Bayerns Kommunalpolitiker geben vielfach dem Druck der Bürgerproteste nach. Sie fordern schärfere Grenzwerte und Auflagen für Mobilfunksender. Jetzt drohen die Betreiber Konsequenzen an: Ohne klares Ja zum Netzausbau gehen in der Hightech-Hochburg die Lichter aus.

Von: Simon Demmelhuber

Dicke Luft im Foyer des Rosenheimer Landratsamtes. Martin Englhart lässt es krachen. "Zwei Mobilfunkmasten stehen mitten im Dorf, seither schlafe ich nachts nicht mehr durch." Schuld ist "die viel zu hohe Strahlendosis", wettert der Gründer einer Bürgerinitiative im nahe gelegenen Beyharting, "die macht uns alle krank". Geballter Bürgerzorn hagelt auf die Vertreter der Mobilnetzbetreiber nieder. Sie sind im Rahmen der Aufklärungskampagne "Mobilfunk im Dialog" in Rosenheim angetreten, um kommunale Mandatsträger über Ausbau, Nutzen und Unbedenklichkeit des Handyfunks zu informieren. Aber jetzt hat Englhart das Wort. Immer wieder heizt er nach, verbeißt sich zäh in jedes Expertenargument. "Die Masten müssen weg, und damit basta." Nicht minder heftig attackiert Klaus Seidl, ein Beyhartinger Mitstreiter Englharts, die Referenten. "Wer schützt uns vor Elektrosmog?", will er wissen, "wer entschädigt Eigentümer, wenn Haus- und Grundstückspreise sinken, weil der Sender nebenan die Preise drückt?"

Der Aufstand im Rosenheimer Kreis ist kein Einzelfall. Gegen den vermehrten Mastenbau meutern nach einer Schätzung des Bayerischen Umweltministeriums derzeit rund 600 Bürgerinitiativen. Über alle Parteibindungen, Altersgruppen und soziale Schichten hinweg sammeln sie Unterschriften, blockieren Baustellenzufahrten, fordern Mitsprache und verschärfte Grenzwerte, bringen Sand ins Getriebe der Ausbaumaschinerie. Dabei sind die Mobilfunker gerade jetzt auf die rasche Verdichtung ihrer Sendernetze angewiesen. Nachdem sich alleine im letzten Jahr die Zahl der Handynutzer verdoppelt hat, ist die Leistungsgrenze der bestehenden Anlagen erreicht. Ohne zusätzliche Standorte drohen Kapazitätsengpässe und Wachstumseinbußen. Alleine in Bayern müssen die Anbieter in den kommenden Jahren etwa 1000 Standorte mit voraussichtlich 4500 Antennen errichten.

Das könnte schwierig werden, denn nicht nur im Volk, auch bei den Bürgermeistern gärt es gewaltig. Kein Wunder. Sie stehen im Mastenkrieg an vorderster Front, dort, wo zornige Bürger Dampf ablassen, Hilfe suchen, Taten fordern. Meist vergeblich: Denn rechtlich sind den Gemeindechefs die Hände gebunden. Anlagen unter zehn Metern müssen nicht genehmigt werden; sofern der Betreiber die Immissionsschutzauflagen und geltendes Baurecht einhält, können sie den Antennenbau kaum verhindern.

"Juristisch sind wir hilflos", bestätigt Lorenz Kebinger, Bürgermeister von Soyen, "gegen Panikmacher kommen wir mit Sachargumenten nicht an." Unruhe wegen der vier Sender in seiner Gemeinde habe es schon immer gegeben, sagt Kebinger, "doch seit ein paar Wochen ist der Teufel los." Entfesselt hat ihn Hans-Christoph Scheiner, ein Münchner Arzt, der als charismatischer Wanderprediger mit krausen Elektrosmog-Thesen und verquaster Esoterik durch die Lande tingelt. Seit Scheiner gegen einen Obulus von 800 Mark im gerammelt vollen "Fischerwirt" den Strahlenhammer ausgepackt hat, "sind die Leute wie ausgewechselt, vielen steht die blanke Angst ins Gesicht geschrieben". Scheiners pseudowissenschaftliche Tiraden zeigten prompte Wirkung. Am Tag nach seinem Auftritt marschierten aufgebrachte Dorfbewohner vor dem Hof eines Nachbarn auf und verlangten, dass er die ruchbar gewordene Standortvermietung an einen Netzbetreiber rückgängig macht. "Jetzt will er prozessieren, und wir haben den Zank im Dorf."

Während Ministerpräsident Stoiber das weißblaue Hightech-Image unverdrossen auf Hochglanz wienert, schießt die Parteibasis auf der Suche nach Stimmenpotenzial im Kommunalwahlkampf zunehmend quer. "Das ist natürlich eine Gratwanderung", räumt CSU-Sprecherin Dorothee Erpenstein ein.

Klares Bekenntnis der Staatsregierung gefordert

Bei den betroffenen Unternehmen sorgt der Spagat zwischen programmatischer Bürgernähe und Industriefreundlichkeit "für einige Irritationen", sagt Susanne Satzer-Spree, Sprecherin der Mannesmann-Niederlassung Süd. Bereits im April hatten alle vier Betreiber die Staatsregierung angeschrieben und ihr "Erstaunen darüber bekundet, dass sich verschiedenste CSU-Kader vor Ort ganz anders äußern, als die politische Spitze das bislang getan hat". Die Antwort der Staatskanzlei fiel ernüchternd aus. "Die Betreiber sollten ihre Aufklärungsarbeit verstärken", hieß es lapidar. Damit geben sich die Abgewatschten nicht zufrieden: "Was wir vermissen, ist ein klares Bekenntnis der Staatsregierung zum Ausbau der GSM- und UMTS-Infrastruktur", klagt Satzer-Spree.

Angesichts der drohenden Eskalation bemühen sich die lizenzierten UMTS-Betreiber T-Mobil, Mannesmann Mobilfunk, Viag Interkom, E-Plus, Group 3G und Mobilcom um Schadensbegrenzung. Bereits im Vorfeld der rechtlichen Klärung einigten sie sich mit dem Deutschen Städtetag auf eine verbesserte Informationspolitik. Künftig sollen Gemeinden in die Standortsuche eingebunden werden.

Trotz aller Konsensbestrebungen der Netzanbieter sieht es so aus, als sei die Absenkung der Grenzwerte zumindest in Bayern nur noch eine Frage der Zeit. So dürfen beispielsweise in München Mobilfunksender nur noch dann auf städtischen Gebäuden errichtet werden, wenn sie den weitaus härteren Grenzwerten, wie sie in der Schweiz gelten, entsprechen. "Damit gefährdet die Stadt ihren Ruf als boomendes Hightech-Zentrum", meint Dieter Vogelhuber, Technischer Direktor der D2-Niederlassung Süd.

"Der Münchner Vorstoß erschwert den UMTS-Ausbau im Stadtgebiet", glaubt auch Viag-Interkom-Sprecher Roland Kuntze. Aber nicht nur das. Durch die politisch gestützte Mastenphobie könnte letztlich ganz Bayern ins Hintertreffen geraten. "Am schnellsten bauen wir dort aus, wo wir die besten Bedingungen haben."

In Brandenburg etwa, wo sich Ministerpräsident Manfred Stolpe nicht nur verbal, sondern tatkräftig für UMTS stark macht. "Das Land unterstützt den Aufbau von Mastneubauten, und ermöglicht es auch, öffentliche Liegenschaften als Mobilfunkstandorte zu nutzen", berichtet Jürgen Hegemann, Direktor Regionalbetrieb Ost von Viag Interkom.

"Wir erwarten ein klares Ja zu UMTS", verlangt Susanne Westphal (siehe Interview), Sprecherin der Group 3G. "Ansonsten könnte sich der Ausbau zumindest punktuell massiv verzögern." Sollte dabei beispielsweise in Norddeutschland ein Kostenfaktor von 100 gegen einen Kostenfaktor von 10 000 in einigen bayerischen Städten stehen, "können Sie sich selbst ausrechnen, wohin die Netzbetreiber zuerst mit der Zukunftstechnologie UMTS gehen werden." (hr)