Mit 50 abgeschrieben? Von wegen!

Alte IT-Profis auf dem Vormarsch

22.04.2011 von Alexandra Mesmer
Hauptsache jung. Jahrelang schien das Alter das wichtigste Kriterium bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter zu sein. IT-Firmen erkennen jedoch zunehmend, dass sie auch ältere IT-Profis einstellen müssen. Den Jungspunden fehlt es meist an Erfahrung und Übersicht.

Mit 50 abgeschrieben? Ein Blick in aktuelle Stellenanzeigen für IT-Berufe zeigt, dass es für über 40-Jährige auf dem IT-Arbeitsmarkt eng wird, trotz des proklamierten Fachkräftemangels und 20.000 offenen Stellen laut Branchenverband Bitkom. Gefragt sind offenbar überwiegend junge Hochschulabgänger der so genannten Generation Y. Auch die öffentliche Diskussion ist geprägt von den Ansprüchen, die diese nach 1980 Geborenen an ihre künftigen Arbeitgeber stellen: Instant Messaging, Twitter, Facebook, flexible Arbeitszeiten und flache Hierarchien stehen auf dem Wunschprogramm dieser "always-on" Generation. Wer als Arbeitgeber nicht die notwendigen technischen Voraussetzungen bieten kann, so scheint es, hat schlechte Karten bei der Bewerbersuche.

Auf den Punkt gebracht: "Die jungen Mitarbeiter sind die treibende Kraft, der ältere Mitarbeiter mit seiner Erfahrung und Übersicht das Korrektiv", sagt Peter Heinemann von Interxion.

Doch sieht die Realität in den Unternehmen tatsächlich so aus? Können es sich Arbeitgeber leisten, auf das Potenzial älterer Bewerber zu verzichten? Die demografische Entwicklung der Gesellschaft beeinflusst zunehmend die Altersstruktur der Belegschaften. Auf dem IT-Stellenmarkt müssen Bewerber über 40 oft gegen stereotype Vorstellungen kämpfen: Ältere Mitarbeiter seien teuer, unflexibel und weniger leistungsstark.

Mit 57 Jahren einen Job gefunden

Mittlerweile scheint sich eine Kehrtwende abzuzeichnen: Immer mehr IT-Unternehmen setzen auf ältere Mitarbeiter: So auch Computacenter im Falle von Rainer Curth. Im Alter von 57 Jahren trat er 2007 die Stelle als Senior Projekt Manager bei dem IT-Dienstleister an. "Ich hatte von Anfang an das Gefühl, hier wird nicht das Alter, sondern die Erfahrung gemessen", erinnert sich Curth. "Zuvor war ich selbständig und habe mich während dieser Zeit kontinuierlich weitergebildet, eine Projektmanagement-Ausbildung gemacht und IT-Zertifizierungen erworben. Das war meine Eintrittskarte, denn so war ich sofort einsatzbereit."

Rainer Curth, Computacenter: "Ich werde jetzt 60, aber niemand sagt, dass es sich nicht mehr lohnt in mich zu investieren."

Computacenter legt Wert auf Weiterbildung, unabhängig vom Alter. Der IT-Dienstleister ist auf die Zielgruppe 40plus eingestellt und mit verschiedenen Aktivitäten und Programmen aktiv. Eine Initiative mit dem Namen LEO (Lebensereignisorientierte Personalentwicklung) versucht, die berufliche Entwicklung mit den persönlichen Lebensereignissen in Einklang zu bringen; Unterstützung durch eine Beratungshotline für persönliche oder familiäre Probleme, Gesundheitstraining und Trainings zur Stressprävention runden das Angebot ab.

Rainer Curth schätzt diese Möglichkeiten sehr: "Ich werde jetzt 60 - aber niemand sagt, dass es sich nun nicht mehr lohnt, in mich zu investieren. Im Gegenteil: Ich wurde gerade in ein neues Förderungsprogramm aufgenommen." Die so genannte Proton-Initiative startete Anfang dieses Jahres. Über drei Jahre werden zehn Projekt-Manager weitergebildet. Unter anderem auch, um später als Mentoren fungieren zu können und andere Mitarbeiter zu coachen. "Das ist nicht selbstverständlich für ein Unternehmen, hier auch auf Mitarbeiter zu setzen, die nur noch fünf bis sechs Jahre im Unternehmen sind", ist Curth überzeugt.

Hohes Alter strahlt Kompetenz aus

Thomas Leibfried, Computacenter: Ältere Bewerber punkten im Vergleich zu jüngeren Konkurrenten mit Kompetenzen, die man nur im Laufe vieler Berufsjahre erwerben kann.

"Unsere Mitarbeiter sind inzwischen im Durchschnitt knapp über vierzig Jahre alt. Das Verhältnis zwischen jung und alt ist bei uns ausgeglichen. Wir setzen auf die Kompetenzen all unserer Mitarbeiter. Im Alter von vierzig Jahren stehen unseren Arbeitnehmern ja noch mindestens zwanzig Arbeitsjahre bevor, die sie hoffentlich bei uns verbringen," erklärt Thomas Leibfried, Prokurist und verantwortlich für das Recruiting und die Mitarbeiterentwicklung bei Computacenter. "Und der Großteil unserer offenen Stellen richtet sich heute an Bewerber mit ausreichend langer Berufserfahrung."

Ältere Bewerber punkten im Vergleich zu jüngeren Konkurrenten mit Kompetenzen, die man nur im Laufe vieler Berufsjahre erwerben kann. "Erfahrung und Wissen sind Schätze, die man behält, auch wenn man sie weitergibt. Und die Generation, zu der ich zähle, ist ein Schlüssel dazu", weiß Senior Projekt Manager Curth.

Gerade in Beratungsunternehmen seien erfahrene, kompetente Mitarbeiter gefragt. "Aber die bekommen sie eben nicht direkt von der Hochschule. Firmen brauchen beides: die jungen dynamischen und die Erfahrenen, die Seniorität und Seriosität ausstrahlen. Ich selbst erlebe das immer wieder in Sitzungen, wenn von Kundenseite die Frage aufkommt ‚Sind Sie wirklich in der Lage, das zu leisten?’ Da wandert der Blick ganz schnell zum älteren Projekt-Manager - und wenn der dann nickt, sind alle beruhigt."

Jung und Alt: Der Mix machts

Auf das ausgewogene Verhältnis aus Jung und Alt setzt man auch bei Interxion. Peter Heinemann, 51, arbeitet als Security Manager für den Anbieter von Rechenzentrumsdienstleistungen: "Mir ist vor ungefähr zehn Jahren zum ersten Mal aufgefallen, dass ich zum ,alten Eisen’ gehöre. Schlimm war das nicht, denn ich hatte das Gefühl, dass sich meine Stellung und mein Stellenwert langsam wandeln. Der Jugend gehören Innovationskraft, Progressivität, Wagnis und Mut. Sie ist die treibende Kraft, läuft aber von Zeit zu Zeit Gefahr, sich auch einmal die Finger zu verbrennen. Der ältere Arbeitnehmer wirkt hierzu mit seiner Erfahrung, seiner Ruhe und seiner Übersicht als Korrektiv. Ihm obliegt es in der einen oder anderen Situation, die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Daraus ergibt sich, dass erst die richtige Mischung aus jung und alt ein Unternehmen nach vorne bringt. Meiner Erfahrung nach liegt sie bei einem Verhältnis von fünf zu eins - fünf jugendliche Treiber und ein routiniertes, stabilisierendes Element."

Um erfahrene Führungskräfte an das Unternehmen zu binden, setzt Hilke Steffens, Manager Human Resources bei Interxion, vor allem auf flexible Arbeitsmodelle: "Im Gegensatz zu jüngeren Arbeitskräften sind die Ansprüche älterer Mitarbeiter von festen Familienstrukturen geprägt, sodass hier andere Freiräume notwendig werden können," sagt sie. "Grundsätzlich ist es aber so, dass wir ältere Arbeitnehmer nicht bevorzugen und auf die Lebensplanung all unserer Mitarbeiter eingehen."

Die Kunden altern mit den Beratern

Vor allem im Kontakt mit den Kunden wirke sich Berufserfahrung positiv aus, erklärt Security Manager Heinemann. "Unsere Kunden altern ja mit uns. Ich habe erkannt, dass sie das Gespräch auf Augenhöhe sehr schätzen und mir von Zeit zu Zeit doch eher Glauben schenken, als einem ganz jungen Kollegen."

Dies bestätigt auch Stefan Kozole, Mitglied der Geschäftsführung von Exact Software Deutschland, einem Anbieter für HR- und Gehaltslösungen. "Erfahrene Führungskräfte haben einen sehr hohen Stellenwert, aus einem einfachen Grund: Es ist als Manager notwendig, eine gewisse Lebens- und Berufserfahrung zu haben, um schwierige oder auch stressige Situationen bestmöglich zu meistern. Erfahrene Mitarbeiter können so mit einer reflektierten Handlungsweise überzeugen", erklärt er. "Im Bereich Lohn- und Gehaltsabrechnungslösungen sind rund achtzig Prozent unserer Ansprechpartner über vierzig Jahre alt. Dies erfordert ein Gegenüber auf Augenhöhe und eine notwendige Seniorität. Ein Trainee kann diese nicht mitbringen."

Hubertus Stegemann, GAD: "Wir sind auf ein vertieftes Spezialwissen angewiesen, das man sich oft erst in jahrelanger Berufserfahrung aneignen kann."

Auch Hubertus Stegemann, Personalverantwortlicher bei der GAD eG, erlebt dies so. "Als IT-Dienstleister für Volks- und Raiffeisenbanken sowie Privatinstituten sind wir auf ein vertieftes Spezialwissen angewiesen, das man sich oft erst in jahrelanger Berufserfahrung aneignen kann." Aus seiner Sicht zählen geringere Einarbeitungszeit, klare Vorstellungen und auch eine realistische Einschätzung der eigenen Stärken und Schwächen zu den Faktoren, die erfahrenen IT’lern gezielt Chancen im Unternehmen zu eröffnen.

Einer dieser Fachkräfte ist Horst-Günter Michalzik, der seit Anfang 2009 bei der GAD eG arbeitet. Seit Ende der siebziger Jahre ist der gelernte Kfz-Mechaniker im IT-Umfeld tätig. "Man könnte sagen, dass ich in den vergangenen Jahren mit der IT immer mitgewachsen bin", sagt Michalzik. "Ob die Zeiten der Großrechner, die Einführung von SAP in vielen Organisationen Anfang der Neunziger oder der Einzug der Web-Technologie - ich habe in meinem Berufsleben schon das ein oder andere mitbekommen und mitgestaltet", sagt der 53-Jährige.

Qualifizierte Mitarbeiter schwer zu bekommen

Die Herausforderungen, denen Personalabteilungen heute schon bei der Suche nach qualifizierten Mitarbeitern begegnen, werden sich noch verschärfen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) beklagten im Juli 2009 rund 61.000 fehlende Experten in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT).

Die alternde Gesellschaft, ein gravierender Lehrermangel für die entsprechenden Fächer und die unklare Aussicht während der Wirtschaftskrise, werden die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern künftig erschweren. Personalabteilungen in IT-Unternehmen müssen sich deshalb Einiges einfallen lassen, um sich als attraktive Arbeitgeber zu positionieren und erfahrene Fach- und Führungskräfte weiter zu entwickeln und an das Unternehmen zu binden.

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer Schwesterpublikation Computerwoche. Wir bei TecChannel widmen diesen Artikel den 50+ Kollegen in unserem Medienhaus. Denn egal ob Redaktion, Sales oder Geschäftsführung, der Erfahrungsschatz der älteren Kollegen ist gerade in der schnelllebigen IT-Branche unverzichtbar. (cvi)