Alles Ethernet, oder was?

02.02.2001
Die Analysten und Fachleute von Carriern und Internet-Dienstleistern sind sich in einem Punkt einig: Nicht nur in den Kernnetzen, sondern auch im Access-Bereich wird der Bedarf an Bandbreite in die Höhe schnellen. Eine Studiengruppe des IEEE-Komitees 802.3 sieht in "Ethernet auf der Ersten Meile" die Lösung aller Probleme.

Von: Bernd Reder

Anfang November vergangenen Jahres formierte sich innerhalb der für Ethernet zuständigen Arbeitsgruppe 802.3 CSMA/CD des Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) die "Ethernet in the First Mile Study Group", kurz 802.3 EFM. Ihr Ziel: Die vom LAN her bekannte Technik auch im Access-Bereich als Standardübertragungsverfahren zu etablieren und dafür Spezifikationen zu erarbeiten.

Die Mitglieder der 802.3-EFM-Gruppe führen mehrere Gründe dafür an, weshalb gerade Ethernet auf der "Ersten Meile" eine ernst zu nehmende Alternative ist. Der erste ist der rasant wachsende Bedarf an Bandbreite, und zwar nicht nur in den Kernnetzen der Carrier und Internet-Serviceprovider, sondern auch im Teilnehmeranschlussbereich. So nutzen Privatleute verstärkt das Internet, um Multimediadaten herunterzuladen, Streaming-Media-Angebote zu nutzen oder um einen Teil der Sprachkommunikation abzuwickeln. Auch Geschäftskunden greifen auf bandbreitenhungrige Applikationen zurück, etwa Videokonferenzen, oder bauen virtuelle LANs auf.

Dieselbe Technik vom Citynetz bis ins Haus

Zwar werden etliche dieser neuen Anwendungen, etwa das Herunterladen von Spielfilmen über das Internet, erst in Monaten oder gar Jahren eine wesentliche Rolle spielen. Dennoch ist bereits heute abzusehen, dass der stark wachsende Datenverkehr die "Erste Meile" zum Flaschenhals werden lässt. Ethernet mit Übertragungsraten von 100 oder 1000 MBit/s bieten, so zumindest die EFM-Gruppe, genügend Bandbreite für paketbasierte Sprach- und Datenservices.

Ein weiterer Punkt, der Ethernet so attraktiv erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass diese Technik in Form von 10-Gigabit-Ethernet aller Voraussicht nach auch in Citynetzen (Metropolitan Area Networks) Einzug halten wird. Damit ergebe sich die Chance, eine durchgängige Kommunikationsstruktur auf Basis von IP und Ethernet ("Ende zu Ende") aufzubauen, so David Closs von ADC auf der ersten Sitzung der EFM Study Group, die Anfang Januar in Irvine (Kalifornien) stattfand. Für "Ethernet in the First Mile" sprechen laut Closs zudem folgende Faktoren:

- Der FSAN/PON-Standard für "Full Service Access Networks" auf Grundlage passiver optischer Netze ist bereits zehn Jahre alt;

- Glasfaserleitungen ersetzen im Zugangsbereich Kupferleitungen;

- Anbieter, vor allem in den USA, starten mit Ethernet-to-theHome-Diensten auf Basis von Lichtwellenleitern.

Allerdings gibt es eine Reihe von kritischen Stimmen, die davor warnen, allzu früh den Sieg von Ethernet auf der Letzten beziehungsweise Ersten Meile zu feiern. Selbst der amerikanische MAN-Carrier Yipes Communications, dessen Netz ausschließlich auf Lichtwellenleitern und IP basiert, räumt ein, dass es einige Haken gibt. So sei es teilweise schwierig, von den Eigentümern die Erlaubnis zu erhalten, Geschäfts- oder Privathäuser über Glasfaserleitungen anzubinden. Hinzu kommt, dass sich nicht jedes Gebäude über Lichtwellenleiter an das Netz anbinden lässt oder dass dort bereits eine Kupferverkabelung vorhanden ist, etwa für das Kabelfernsehen. Mit Zugangssystemen, die mit Richtfunk arbeiten (Wireless Local Loop), wird in Zukunft eine dritte Technik zu berücksichtigen sein.

Yipes hat vor diesem Hintergrund eine "Wunschliste" zusammengestellt, in der die Minimalanforderungen an Ethernet im Access-Bereich zusammengefasst sind. So sollte das Übertragungsmedium eine Datenrate von mindestens 10 MBit/s unterstützen, besser 100 MBit/s. Andere Hersteller fordern sogar 1 GBit/s, um mehr Spielraum nach oben zu haben.

Ethernet als Zugangssystem nicht automatisch ein Renner

Die Reichweite kann zwischen zwei und zehn Kilometern betragen. Weitere Wünsche: EFM soll Vollduplex-Übertragung unterstützen, möglichst preiswert und einfach zu handhaben sein sowie andere IEEE-Standards wie 802.1p, 802.1q und Link Aggregation mit einbeziehen. Den größten Nutzen sieht Yipes darin, dass Ethernet auf der Ersten Meile die Protokollvielfalt eliminieren könnte, die gegenwärtig in diesem Bereich herrscht. Eine eher nüchterne Sichtweise in Bezug auf EFM herrscht bei British Telecom vor. "Wenn man ein Zugangssystem ´Ethernet´ nennt, heißt das noch lange nicht, dass es automatisch preiswerter ist oder sich am Markt durchsetzen wird", monierte David Thorne von BT Exact. Er führte ins Feld, dass die Anbieter von Telekommunikationsdiensten viel Geld in den Ausbau von Digital-Subscriber-Line- (DSL) und Mobilfunkdiensten, Stichwort UMTS, investiert haben. Daher sei es eher unwahrscheinlich, dass sie Glasfaserkabel bis zum Endkunden (Fiber to the Home = FTTH) verlegen und darüber neue Dienste auf Basis von Ethernet anbieten. EMF muss seiner Ansicht nach unterschiedliche Übertragungsmedien berücksichtigen, etwa Satellitenstrecken, Kupfer, DSL und Kabel-TV-Netze.

Aus Sicht eines Carriers ist es Thorpe zufolge ein "Muss", dass EFM einen erheblichen Zusatznutzen und neue Verdienstmöglichkeiten bietet, nicht nur geringfügig geringere Kosten. Gute Chancen räumte er Ethernet über DSL ein. Thorpes Fazit: EFM wird sich harter Konkurrenz durch xDSL ausgesetzt sehen. Außerdem ist es notwendig, nicht alleine auf Lichtwellenleiter zu setzen, sondern auch eine Version für Kupferkabel zu entwickeln.

Ähnlich argumentierte Marty Staszak vom Technology Development Center von 3Com. Dank der wachsenden Verbreitung von DSL läge es auf der Hand, Ethernet mit VDSL (Very High Speed Digital Subscriber Line) mit bis zu 52 MBit/s zu kombinieren. Neben Streaming-Audio und -Video ließen sich darüber auch hochauflösendes Fernsehen (HDTV) und Sprachdienste anbieten. Der Haken dabei: Gegenwärtig stehen beispielsweise in Deutschland "nur" ADSL- und SDSL-Dienste zur Verfügung, und die noch lange nicht flächende-ckend. VDSL ist zudem noch nicht über das Versuchsstadium hinausgekommen.

Staszak kam zu dem Schluss, dass "Ethernet in the First Mile" vor allem für große Geschäfts- und Privatgebäude in Frage kommt. Allerdings sei es unumgänglich, eine Lösung für Kupferkabel zu entwickeln. Als kritisch betrachtet er, dass die Definition von EFM sehr breit ausgelegt ist. Deshalb wird seiner Ansicht nach ein einziger Standard für Ethernet im Zugangsbereich möglicherweise nicht ausreichen, um die diversen Übertragungsmedien und Anwendungsfelder abzudecken. Abschließend rief er dazu auf, quasi als Einstieg in EFM eine Norm für Ethernet über VDSL zu erarbeiten.

Netz für Ethernet-Dienste oder Ethernet-Zugangsnetz

Eine pointierte Sichtweise vertrat in der EFM-Diskussion der Switch-Hersteller Extreme Networks. Sein Vertreter Stephen Haddock wies darauf hin, dass sich EFM unter zwei Gesichtspunkten betrachten lässt. Die grundlegende Frage sei,

- ob ein Ethernet-Zugangsnetz auf Basis einer völlig neuen Infrastruktur aufgebaut werden solle oder

- ob ein Netz das Ziel sei, das über die vorhandene Infrastruktur den End-User mit Ethernet-"Diensten" versorgt.

Im ersten Fall sind Modifikationen oder Ergänzungen des Physical Layer erforderlich, die unter anderem unterschiedliche Übertragungsmedien berücksichtigen. Im zweiten Fall, wenn also Dienste auf Basis von Ethernet angeboten werden, kommt es darauf an, pures Ethernet an den Endpunkten bereit zu stellen, sprich die entsprechenden Frame-Formate oder Adressierungsschemata. Das Netz selbst sei unabhängig davon zu betrachten. Die Ethernet-Pakete könnten ebenso gut über leitungsvermittelnde Strecken, Tunnel oder in Zellen verpackt transportiert werden. Das EFM-Komitee müsse sich auf folgende Aufgaben konzentrieren: Normen für den Betrieb und die Überwachung solcher Netze zu entwickeln, außerdem Regelungen für den Datentransport.

Abschließend stimmten die Mitglieder der EMF Study Group darüber ab, welche Arbeiten bis zum nächsten Treffen im März zuerst angepackt werden sollen. Zunächst sollen Regelungen für die Bereitstellung, den Betrieb und die Wartung von EFM-Lösungen erarbeitet werden, außerdem Vorschläge zum Thema passive optische Netze auf Grundlage von Ethernet (EPONs). Eine weitere "Hausaufgabe" betrifft die Übertragungsmedien: Gesucht wird eine Physical-Medium-Dependent-Teilschicht (PMD), mit der sich Daten mit 1 GBit/s über eine einzelne Single-Mode-Glasfaser über Distanzen von bis zu zehn Kilometern übertragen lassen.