Im Folgenden eine Auswahl der wichtigsten Missverständnisse zur elektronischen Rechnungsbearbeitung.
1. Elektronische Rechnungsbearbeitung = OCR
OCR wird fälschlicherweise häufig gleichgesetzt mit elektronischer Rechnungsbearbeitung. Richtigerweise muss man OCR jedoch als eine Vorstufe hierzu bezeichnen. Ein Großteil der Rechnungen erreicht die Unternehmen noch immer in Papierform. Um diese Rechnungen im IT-System weiterverarbeiten zu können, werden sie bei den meisten Firmen gescannt. Meist liest eine OCR-Erkennungskomponente die Rechnungsdaten aus und erspart so eine manuelle Eingabe in die Finanzbuchhaltungssoftware.
OCR bezeichnet demnach ausschließlich das maschinelle Verfahren, um Daten zu erfassen und diese in das ERP-System zu übertragen. OCR ist allerdings für die elektronische Rechnungsbearbeitung nicht zwingend nötig (Siehe Punkt 3).
2. OCR ist trivial
Viele Unternehmen unterschätzen die Komplexität der Rechnungsdatenerfassung über OCR. Dieser Prozess ist jedoch sehr vielschichtig, zeitaufwändig und erfordert viel Know-how. In den meisten Unternehmen muss für diese Aufgabe mindestens eine separate Stelle geschaffen werden, die sich nur mit der Datenerfassung beschäftigt. Die Anforderungen an diese Mitarbeiter sind hoch, denn die Aufgabe erfordert sowohl spezielles Know-how aus den Bereichen Buchhaltung und Steuerrecht als auch eine generelle Softwareaffinität.
Denn auch beim Einsatz einer OCR-Lösung entfällt die manuelle Eingabe nicht komplett: Zum einen lernt die Software erst nach und nach, zum anderen gibt es immer wieder Daten, welche die Software nicht eindeutig zuordnen kann. Die eingelesenen Daten müssen daher zunächst manuell bestätigt werden. Die zuständigen Mitarbeiter tragen dabei eine hohe Verantwortung, denn ihre Vorgaben an die Software sind entscheidend dafür, ob die Rechnungen auch künftig korrekt erfasst und gebucht werden.
Die Erfassung der Daten mittels OCR ist keineswegs trivial. Sie kann nicht, wie oftmals suggeriert, nebenbei von fachfremdem Personal erledigt werden und ermöglicht daher nur bedingt personelle Einsparungen.
3. Elektronische Rechnungsbearbeitung benötigt OCR
Viele Unternehmen entscheiden sich, die OCR-Erkennung von einem professionellen Dienstleister zu beziehen. Beste Datenqualität erzielen Lösungen auch über EDI oder durch den Einsatz von EBPP (Electronic Bill Presentment and Payment)-Portalen, welche die Rechnungsdaten von Beginn an elektronisch zur Verfügung stellen.
Eine OCR-Lösung oder ein OCR-Dienstleister ist aber nicht für jedes Unternehmen und jede Unternehmensgröße die richtige Wahl. Die elektronische Rechnungsbearbeitung ist in vielen Fällen auch ohne OCR möglich. Die Entscheidung, ob OCR generell benötigt wird, sollte individuell anhand folgender Kriterien gefällt werden:
Menge: Je mehr Lieferantenrechnungen in Papierform eingehen, desto eher wird eine OCR-Lösung benötigt. Die kritische Größe liegt bei circa 100 Rechnungen pro Tag. Sind es deutlich weniger Rechnungen, lohnt sich oftmals eine manuelle Eingabe.
Form: Entscheidend ist auch, wie viele Rechnungen bereits in elektronischer Form eingehen (Excel, EDI, PDF). Ein erster Schritt sollte daher immer sein, die Lieferanten um Zusendung von elektronischen Rechnungen direkt aus deren System zu bitten.
Komplexität: Wie umfangreich sind die eingehenden Rechnungen? Wenn sie einen Bestellbezug enthalten, muss dieser mit den Positionsdaten abgeglichen werden. Im OCR-Prozess ist hierbei häufig eine manuelle Nachbearbeitung nötig, da Bestellbezüge schwierig auszulesen sind.
Viele Unternehmen können bereits jetzt komplett auf OCR verzichten; eine interne Überprüfung lohnt sich in jedem Fall. Die Marktprognosen sind eindeutig: In Zukunft werden sich elektronische Rechnungsformate immer stärker durchsetzen.
4. Nur etwas für große Unternehmen
Die Vorteile einer elektronischen Rechnungsbearbeitung kann jedes Unternehmen unabhängig von seiner Größe nutzen. Alle beteiligten Mitarbeiter profitieren von einem deutlich beschleunigten und komfortableren Freigabeprozess und durchgängiger Transparenz der Abläufe. Die vorerfassten Rechnungen können von allen berechtigten Anwendern im Rechnungseingangsbuch betrachtet werden, auch wenn sie noch nicht abschließend gebucht sind. Rechnungskopien und die interne Weitergabe der Rechnungen werden durch die Workflow-Unterstützung überflüssig. Vom Rechnungseingangsbuch aus wird der Kontierungs- und Genehmigungs-Workflow - bis hin zur automatischen Buchung im System - gestartet. Eine Liquiditätsvorschau ist jederzeit auf Knopfdruck möglich. Moderne Lösungen lassen sich dabei punktgenau an individuelle Unternehmensprozesse anpassen.
Die Investition in eine Lösung zur elektronischen Rechnungsbearbeitung lohnt sich bereits ab einem Rechnungseingang von 7.500 Rechnungen pro Jahr. Ein Return on Investment (ROI) erfolgt in den meisten Fällen bereits innerhalb von 36 Monaten.
5. Ein Projekt nur für die Buchhaltung
Grundsätzlich sind neben dem Fachbereich Finanzbuchhaltung alle Stellen im Unternehmen in das Einführungsprojekt einbezogen, wo Rechnungen kontiert und freigegeben werden. Erfahrene Berater analysieren dabei gemeinsam mit der Finanzbuchhaltung die relevanten Unternehmensabläufe, um die bestehenden Prozesse optimal im System abzubilden. In vielen Fällen lassen sich dabei Verbesserungspotentiale erkennen, wie die Prozesse noch effizienter gestaltet werden können. Von einer Lösung zur automatischen Rechnungsbearbeitung profitiert natürlich die Buchhaltung, allerdings werden durch die Workflow-Funktionalitäten auch die Arbeitsabläufe in anderen Abteilungen vereinfacht.
Das Projekt ist nicht auf die Buchhaltung begrenzt, im Gegenteil, Erfolg und auch Misserfolg der Software-Einführung sind letztlich im gesamten Unternehmen spürbar.
6. Die rechtlichen Anforderungen sind hoch
Mit der Verabschiedung des Steuervereinfachungsgesetzes aus dem Jahr 2011 wurden die rechtlichen Hürden beim elektronischen Rechnungsaustausch deutlich gesenkt. In § 14 UStG ist definiert, welche Anforderungen an eine elektronisch übermittelte Rechnung gestellt werden, damit die Voraussetzungen zum Vorsteuerabzug erfüllt sind. Insbesondere die Echtheit der Herkunft (»Authentizität«) und die Unversehrtheit des Inhalts (»Integrität«) müssen im gesamten Prozess stets gewährleistet sein.
Ein innerbetriebliches Kontrollverfahren soll die Umsetzung dieser Anforderungen sicherstellen. Noch gibt es keine offiziellen Standards, sodass Best-Practices aus vergleichbaren Projekten, die das Know-how verschiedener Steuerexperten aus der Praxis bündeln, eine wichtige Absicherung darstellen.
Die rechtlichen Anforderungen wurden zwar gesenkt, es obliegt jedoch nach wie vor dem Steuerpflichtigen, die entsprechenden Nachweise zu erbringen.
7. Technological Readyness
Unsicherheiten gibt es oftmals auch hinsichtlich der für die elektronische Rechnungsbearbeitung notwendigen Technologie. Einige Unternehmen scheuen die Einführung zusätzlicher Softwarelösungen, um die externe und interne Kompatibilität nicht zu gefährden. Moderne Lösungen lassen sich jedoch problemlos an alle gängigen Vorsysteme sowie unterschiedliche Archivsysteme anbinden. In technischer Hinsicht stellt die Einführung in der Regel keine Herausforderung für die Unternehmen dar.
Eine deutlich größere Herausforderung ist der Prozesseinfluss eines solchen Projektes. Zu Beginn muss der Buchungsprozess in Zusammenarbeit mit allen beteiligten Abteilungen korrekt definiert werden. So sollte geklärt werden, wer Zugriff auf die Rechnungen hat, welche Berechtigungen an wen vergeben werden sollen und was die wichtigsten Suchkriterien zum Wiederauffinden einer Rechnung sind, um nur einige Beispiele zu nennen.
Die Herausforderung eines solchen Projektes liegt daher weniger im technischen Bereich, als vielmehr in der Definition der innerbetrieblichen Prozesse. (bw)