10-Gigabit-Ethernet wird Realität

20.04.2000
Die Projektgruppe 802, beim IEEE verantwortlich für die Entwicklung von LAN- und MAN-Standards, traf sich Anfang März in Albuquerque (USA). Rund 600 Teilnehmer versammelten sich beim Plenary Meeting. Das zentrale Thema war 10-Gigabit-Ethernet.

Von: Dirk S. Mohl, Thomas Schramm

Schneller als bisher angenommen könnte es in Sachen 10-Gigabit-Ethernet ernst werden. Denn die Arbeitsgruppe "802.3ae 10 Gigabit Ethernet" des Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) arbeitet mit Hochdruck an dem neuen Standard. Vor einem Jahr klang das Ganze noch realitätsfern, zumal die Gruppe 802.3 damals gerade erst die 1000Base-X-Norm verabschiedet hatte.

Eine Untersuchung des Marktforschungsinstitutes Dataquest vom Dezember 1999 sagt bereits für 2001 erste Umsätze mit 10-Gigabit-Ethernet voraus, mit 1,8 Milliarden Dollar ab 2003 ein signifikantes Marktvolumen. Die Studie prognostiziert allerdings auch, dass der Hauptbedarf in den ersten Jahren hauptsächlich aus dem Lager der Telefongesellschaften und Serviceprovider kommen wird, die ihre landesweiten oder weltweiten Backbone-Netze ausbauen möchten.

Der Zeitplan sieht vor, dass die Working Group 802.3ae den Standard 2002 verabschiedet. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Hersteller bereits Produkte auf den Markt bringen, bevor die Norm vorliegt.

Die Gruppe IEEE 802.3ae erhielt beim Meeting in Albuquerque vom "New Standards Committee" (Nescom) den Status einer "Task Force". Nescom, das für neue Standards verantwortlich ist, untermauerte auf diese Weise, dass ein Standard für 10-Gigabit-Ethernet erstellt werden soll.

Details zur physikalischen Schicht von 10GE

Die Mitglieder von 802.3ae haben inzwischen die Phase des Ideensammelns abgeschlossen und beginnen, Alternativen zur konkreten Umsetzung zu prüfen. Dieses Stadium ist besonders für die Chiphersteller kritisch. Sie müssen abschätzen, welche Vorschläge sich durchsetzen werden und bereits jetzt mit der Entwicklung entsprechender ICs beginnen. Mehrere Halbleiterhersteller, große Firmen wie auch Startups, arbeiten mit Hochdruck an optischen Komponenten und den Vermittlungs-ICs. Erste Exemplare könnten bereits Ende des Jahres vorliegen. Die Task Force hat zwar eine wichtige Schnittstelle noch nicht festgelegt, aber relativ konkrete Vorschläge für das XGMII-Interface erarbeitet, also die Schnittstelle zwischen MAC (Media Access Controller) und Physical Layer.

Die physikalische Schicht (Physical Layer oder PHY) von 10- Gigabit-Ethernet entspricht nahezu der von Fast- und Gigabit-Ethernet. Die Chiphersteller integrieren heute alle entsprechenden Funktionen in einen IC, den Physical-Layer-Baustein. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Vorschlägen hat die IEEE-Gruppe das Schnittstellenmodell für 10GE nochmals überarbeitet. So fügten die Spezialisten die beiden XGXS-Schichten hinzu. Sie definierten hier zum einen das bereits erwähnte XGMII-Interface, eine Schnittstelle mit 32 Bit pro Datenrichtung. Sie erlaubt nur eine kurze Entfernung zwischen den Bausteinen, kommt aber noch mit herkömmlichen CMOS/TTL-Pegeln aus. Zum anderen legten sie das XAUI-Interface fest, eine serielle Schnittstelle auf ECL-Basis, mit vier Leitungspaaren pro Datenrichtung, die bis zu 50 Zentimeter auf einer Platine überbrücken kann. Die Datenrate beträgt dabei etwas über 3 GBaud pro Paar.

Somit hat die Gruppe ein Schnittstellenmodell vorgelegt, das es den Herstellern der MAC-Chips ermöglicht, ihre Bausteine auf Basis herkömmlicher CMOS-Technik zu de-signen, weil die serielle Übertragung in die XGXS-Schicht verlagert wurde. Das ist auch für die Firmen akzeptabel, die Bausteine für die restlichen Ebenen liefern sollen. Denn die müssen sich in jedem Fall mit einer Technik für die schnelle serielle Datenübermittlung auseinandersetzen, und hier ist nach wie vor Silizium-Germanium in Gespräch. Natürlich lässt sich das XAUI-Interface einsparen, wenn keine langen Übertragungswege auf den Platinen erforderlich sind.

Für die Hersteller von Netzwerkkomponenten und eventuell auch für den Endanwender ist von Vorteil, wenn in einem Halbleiterbaustein sowohl die LAN- als auch die WAN-Funktionen angeboten werden. Aus diesem Grunde versucht die 10GE-Gruppe, den für die Weitverkehrsfunktionen notwendigen Sonet-Wandler als Zwischenebene (WIS = WAN Interface Sublayer) in den Physical-Layer-Baustein zu integrieren. Der Anwender nutzt dann bei Bedarf diese Ebene, je nachdem, ob WAN- oder LAN-Betrieb gewünscht wird. In der Zwischenebene werden dann Ethernet-Pakete in Sonet-Rahmen umgepackt.

Aufschlussreich war eine Umfrage unter den Teilnehmern der Tagung bezüglich der Übertragung auf der physikalischen Ebene. Wie bereits beschlossen, soll es bei 10-Gigabit-Ethernet (10GE) zwei Datenraten geben: 10 GBit/s für den LAN-Bereich und 9,58464 GBit/s für Weitverkehrsnetze. Die Mehrzahl der Teilnehmer vertrat die Meinung, dass ein Baustein zu bevorzugen ist, der beide Modi unterstützt, auch wenn dieser im Gegensatz zu zwei ICs um bis zu zehn Prozent kostspieliger sein dürfte.

Problematisch: Zwei Übertragungsraten für LAN und WAN

Keine Lösung konnte die Gruppe bisher für das Problem anbieten, wie die unterschiedlichen Datenraten zwischen MAC-Schicht und Physical Layer zu behandeln sind. Die Frage ist konkret, was ein Media Access Controller, der ja mit 10 GBit/s arbeitet, tun soll, wenn er Daten über ein Medium mit WAN-Geschwindigkeit übertragen muss. Experten von Sun Microsystems machten den Vorschlag, dass der MAC in diesem Fall den Raum zwischen den Pakten dynamisch vergrößert und so die Geschwindigkeitsunterschiede ausgleicht.

In einer ähnlichen Situation wie die Halbleiterfirmen befinden sich die Hersteller von Kabeln. Die Anwender erwarten, dass die Verkabelung, die sie heute installieren, auch für die nächste Geschwindigkeitsstufe gerüstet ist. 10-Gigabit-Ethernet ist bei Singlemode-Glasfasern aus technischer Sicht relativ unkritisch. Allerdings ist es aus Kostengründen nicht praktikabel, das gesamte Netz mit diesem Kabeltyp auszurüsten.

Bei Multimode-Lichtwellenleitern muss sich der Installateur dagegen Gedanken machen. Denn hier ist die modale Bandbreite ein wesentliches Kriterium. Während es bei Gigabit-Ethernet möglich ist, Daten über Entfernungen von bis zu 550 Meter (50-µm-Faser) zu übertragen, ist das bei 10GE nur mit hohem finanziellen Aufwand zu bewerkstelligen, nämlich mit Hilfe teurer optischer Komponenten für "Wave Length Division Multiplexing" (WDM). Die Alternative: eine deutlich kürzere Übertragungsstrecke. In diesem Zusammenhang sind die neuen Fasertypen interessant (New Fiber Cable). Es handelt sich dabei um hochreine Multimodefasern mit einem deutlich besseren Bandbreiten/Wellenlängenprodukt. (re)

Zur Person

Dirk S. Mohl

ist bei Richard Hirschmann im Geschäftsbereich Automatisierungs- und Netzwerksysteme tätig und dort für Systemkonzeption und Hardware-Entwicklung zuständig.

Thomas Schramm

ist ebenfalls Mitarbeiter der Firma Hirschmann. Er ist dort für die Project-Consulting-Abteilung verantwortlich.