Experten diskutieren Intelligent Process Automation

Ist das ein Prozess – oder kann das weg?

09.02.2024
Von 
Florian Stocker ist Inhaber der Kommunikationsagentur "Medienstürmer".
Das Potenzial für intelligente Automatisierung ist – theoretisch – enorm. Praktisch gesehen fehlt es Unternehmen aber noch an den Grundlagen dafür.

In der Automatisierungsdebatte steckt Dynamik drin - das merkt man nicht zuletzt am Vokabular. Während früher vor allem das Duo RPA (Robotic Process Automation) und Process Mining die Gespräche dominierte, öffnen Business Process Modeling (BPM) und die verschiedenen Ansätze der künstlichen Intelligenz (insbesondere Large Language Models) den Blick auf neue Wege jenseits der Automatisierung kleiner, repetitiver Prozesse, also der "klassischen" RPA.

Theorie vs. Praxis: Viele Unternehmen sind nach wie vor nicht dazu bereit, im großen Stil zu automatisieren.
Theorie vs. Praxis: Viele Unternehmen sind nach wie vor nicht dazu bereit, im großen Stil zu automatisieren.
Foto: Chaosamran_Studio - shutterstock.com

In der Theorie ist also ein enormes Innovationspotenzial vorhanden - wenn nur die Praxis nicht wäre. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass viele Unternehmen noch nicht bereit sind, in großem Stil zu automatisieren. Das kann einerseits völlig legitime "natürliche" Gründe haben - zum Beispiel einen hohen Anteil an komplexen, analogen Prozessen etwa in der Produktion -, andererseits aber auch an aufgeschobener Digitalisierung liegen. Die anfängliche Euphorie weicht in vielen Automatisierungsprojekten dadurch später gerne einer gewissen Ernüchterung. Das liegt häufig auch an unrealistischen Erwartungen, geschürt durch die vielen - theoretisch vorhandenen - Möglichkeiten von Process Mining und Co..

Rudy Kuhn vom Process-Mining-Pionier Celonis sieht darin eine der Hauptursachen für das Scheitern von Projekten: "Enttäuschte Erwartungen an die Kombination von Process Mining und RPA wurzeln sehr oft in der fehlenden Definition von 'Prozess'. Process Mining bezieht sich in der Regel auf einen End-to-End-Prozess, während RPA auch schon das Kopieren von Daten aus einem Excel-Sheet in eine SAP-Maske meint."

Aus seiner Sicht sei es für Unternehmen essenziell, zu wissen, in welchem Bereich der Automatisierung sie sich befinden und welche Technologie wann Sinn ergebe: "Process Mining ist perfekt für die Aufdeckung von Ineffizienzen und Risiken geeignet - aber es ist nicht der Zauberstab, der auf magische Art und Weise aufzeigen kann, was wie automatisiert werden kann."

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Von welchem Ende zu welchem Ende?

Die Frage nach den beiden Enden ist auch insgesamt eine der wichtigsten, wie die Diskussion im Rahmen der Foundry-Expertenrunde "Intelligent Process Automation" zeigt. Fazit: Es ist viel wichtiger, die Prozesslandschaft angemessen zu erfassen und zu analysieren, bevor sich überhaupt an Automatisierung denken lässt.

"Auf C-Level sind Ziele wie 'Purchase to Pay automatisieren' schnell formuliert", sagt Marc Stromberg von GBTEC. "Wenn ich aber in den Maschinenraum schaue, sieht man die Hürden auf dem Weg dorthin: Excel- und PDF-Templates, ausgedruckt und händisch ausgefüllt, wieder eingescannt, per Outlook verschickt. Solche Szenarien gehören an der Basis zum Alltag und das ist den Leuten dort auch bewusst. Ich kann der Geschäftsleitung daher nur empfehlen, den Dialog mit dieser Ebene zu suchen."

"Echtes E2E habe ich nur, wenn ich wirklich überall die Prozesse erfasse - also auch dort, wo überhaupt keine Technologie involviert ist", findet auch Perry Krol vom Data-Streaming-Anbieter Confluent. Seiner Ansicht nach seien in den meisten Unternehmensprozessen nicht nur verschiedene Tools und Plattformen, sondern auch unterschiedliche Fachbereiche und damit Kulturen involviert, die erst einmal nur schwer zu verknüpfen seien. "Viele Prozesse sind nicht E2E sondern domainbasiert. Dieses Domain-Know-How muss sich in den Competence Centern wiederfinden, sonst werde ich diese Prozesse nie verstehen."

Um Automatisierung systematisch anzugehen, brauche es jemanden, der sich dafür zuständig fühle. Automatisierung unterscheide sich hier nicht von anderen IT-Querschnittsthemen und es liege nahe, ein eigenes "Center of Excellence" zu bilden, das sich dieses Themas annehme. Doch auch hier gebe es Besonderheiten. Ein Automatisierungs-COE sollte für Perry Krol immer beide Komponenten integrieren: Prozess- und Software-Know-How. "Echte Automatisierung bekommen wir nur hin, wenn 'Prozessleute' und 'Integrationsleute' miteinander reden."

Automatisierung solle generell auch gar nicht die anfängliche Hauptmotivation sein: Es gehe laut Kuhn eigentlich gar nicht um die Frage "Was kann man automatisieren?", sondern um die Frage "Was kann man eliminieren, vereinfachen und standardisieren?". Der Celonis-Vertreter meint: "Am Ende will ich eine ganzheitliche Transformation erreichen. Ich würde darum auch niemandem ein reines Center of Excellence (CoE) für Automatisierung empfehlen, sondern eines für Transformation, wovon Automatisierung ein Teil ist."

Mit Transparenz Ängste adressieren

Automatisierungsprojekte werden traditionell von großen Erwartungen begleitet, aber auch von Vorbehalten. Vor allem die Sorge, dass menschliche Arbeit durch Bots oder - seit ChatGPT sehr konkret - durch KI ersetzt wird, gehört schon immer zur Debatte. Diese Ängste sollten weder ignoriert oder kleingeredet werden, denn sie sind in bestimmten Tätigkeitsbereichen durchaus real. Gerade das "Task Mining", das als Vorstufe des Process Mining Interaktionsdaten von Mitarbeitern auf dem Desktop analysiert, schafft ein derart hohes Maß an Transparenz, das ohne die richtige Kommunikation das Gefühl von Überwachung vermittelt. Es wird schließlich jede einzelne Aktion aufgezeichnet, die Mitarbeiter zur Bearbeitung eines Prozessschrittes auf ihrem Desktop ausführen: das Ausfüllen eines Formulars, Änderungen in einer Excel-Tabelle, aber auch der kurze Besuch auf Linkedin.

Dass das kein kleines Thema ist, bestätigt auch Lars Lochmann von Lufthansa Industry Solutions: "Die Sorge der Fachabteilungen vor Überwachung muss unbedingt adressiert werden. Sobald sich jemand von Automatisierung bedroht fühlt, ist Innovation kaum mehr möglich. Es hat sich deswegen als wertvoll erwiesen, wenn Fachabteilungen mit technischen und finanziellen Ressourcen ausgestattet werden, sie jedoch das Projekt als "Satellit" selbst durchführen. Wir als Berater sollten es lediglich von außen begleiten."

Auch für Antje Donner von Eviden liegt der Schlüssel in der Kommunikation: "HR und Betriebsrat verweigern sich in der Regel nicht der Innovation. Das Problem liegt eher in der Unkenntnis der Materie. Es hilft nur eines: alle Akteure früh genug ins Boot holen und aktiv kommunizieren. Letztendlich erkennen die Beteiligten, dass sie durch mehr Transparenz in Prozessen und sorgfältig platzierte Automatisierung und KI nur gewinnen können."

Studie "Intelligent Process Automation & Process Mining 2024": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema Intelligent Process Autmation & Process Mining führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Verantwortlichen durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (regina.hermann@foundryco.com, Telefon: 089 36086 161) und Manuela Rädler (manuela.raedler@foundryco.com, Telefon: 089 36086 271) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Über den digitalen Tellerrand schauen

Trotz der großen Dynamik, die in der Automatisierungsdiskussion steckt, scheint also der Satz "Wenn ich einen Sch***prozess digitalisiere, dann habe ich einen digitalen Sch***prozess" noch immer eine gewisse universelle Anwendbarkeit zu besitzen. Denn auch wenn die Potenziale immer weiter wachsen, bleibt das größte Hemmnis immer noch die kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Prozessen und die Einbindung aller Abteilungen und Menschen. Und auch wenn künstliche Intelligenz dabei helfen kann, die Prozess- und Systemlandschaft zu analysieren, liegt die "echte" Wahrheit immer noch jenseits des digitalen Tellerrandes.

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