Wie bitte?

Während die einen noch ihren jeweiligen politischen Gegner für die Technikfeindlichkeit in diesem unseren Lande verantwortlich machen und 96 Prozent des Mittelstands nichts mit Electronic Mail und anderen Internet-Diensten anfangen können, sprechen andere bereits über Telefonie in TCP/IP-Netzen. Anfangs noch als Spielerei belächelt, wuchs in den letzten Monaten ein Pflänzchen heran, das inzwischen auch im professionellen Bereich Beachtung findet. Nach Schätzungen von IDC generierten bereits 1995 rund 500 000 Internet-Telefonie-Anwender 3,5 Millionen Dollar Umsatz - bis zur Jahrtausendwende rechnen die Marktforscher mit einem Volumen von mehr als einer halben Milliarde Dollar. Wer glaubt, daß es sich dabei weiterhin um einen reinen Consumer-Markt handeln wird, der scheint sich zu täuschen. Schon in diesem Jahr sollen professionelle User 50 Prozent Anteil erreichen und bereits 1999 mit zehn Millionen gegenüber sechs Millionen Heimanwendern deutlich dominieren.

Doch es sind bislang nicht die großen Carrier, sondern eher kleine innovative Gesellschaften und vor allem Hard- und Softwarehersteller, die das enorme Potential der Telefonie über TCP/IP-Netze erkannt haben. Unter den klassischen Telefongesellschaften bildet vor allem die Telecom Finland eine rühmliche Ausnahme. Seit Dezember 1996 gibt es in Finnland einen regulären Internet-Telefonie-Dienst - unter dem Motto "Wenn wir nicht jetzt Erfahrungen mit Einsatz und Akzeptanz dieser neuen Technik machen, sind wir als Telefongesellschaft bald aus dem Geschäft".

Freilich sind noch lange nicht alle technischen Probleme gelöst. Schließlich ist Telefonieren eine Echtzeitanwendung, und die Aufgabe von IP ist nicht die Garantie bestimmter Laufzeiten, sondern nur das Weiterleiten der Datenpakete an die richtige Adresse. Trotz aller Anstrengungen der Softwareentwickler führen also Paketverluste noch immer zu deutlich hörbaren Aussetzern bei der Sprachübertragung. Aber selbst bei "guten Verbindungen" bleibt das Problem des Delays. Solche durch lange Paketlaufzeiten und Pufferung bedingten Verzögerungen sind vergleichbar mit denen bei Satellitenferngesprächen. Und wer telefoniert schon gerne über Satellit - nur, wenn es unbedingt sein muß, oder?

Daß mit H.323 bereits ein internationaler Standard existiert, an den sich alle namhaften Hersteller halten, ist sicherlich hilfreich für eine weitere schnelle Verbreitung der Technik. Auf der CeBIT waren jedenfalls schon eine ganze Reihe sinnvoller professioneller Anwendungen zu sehen. Das Spektrum reichte von der PC-gestützten TK-Anlage mit Gateway-Funktion zwischen Internet und Telefonnetz bis hin zu sogenannten Internet-Call-Centern, also um Telefonfunktionen erweiterte WWW-Server. Und die Distributoren von ISDN-Router-Lösungen träumen davon, alle TCP/IP-LAN-Kopplungen ab 64 kBit/s aufwärts mit Telefonie-Funktionen hochzurüsten - ein Corporate Network für den "kleinen Mann" also.

Was sagt die Telekom dazu? Ron Sommer freut sich bekanntlich auf den Wettbewerb, aber auch auf die Internet-Telefonie. Schließlich sei es ein Zusatzgeschäft - für die Telekom als Ortsnetzbetreiber sowie als größten deutschen Internet-Provider. Ob es allerdings im Sinne der Telefongesellschaft Telekom ist, T-Online zur idealen Auffahrt auf die internationale Sprach-/Datenautobahn auszubauen, darf sicherlich bezweifelt werden. Denn jedes Internet-/Intranet-Gespräch generiert zwar Datenverkehr, geht den Carriern aber im lukrativen nationalen und internationalen Telefongeschäft verloren.

Wir werden das Thema jedenfalls aufmerksam verfolgen. Wenn Sie bereits Erfahrungen in Ihrem Unternehmen mit Internet- beziehungsweise Intranet-Telefonie gesammelt haben, dann beteiligen Sie sich bitte an unserer Leseraktion (S. 122). Die interessantesten Beiträge veröffenlichen wir in den nächsten Ausgaben.

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