Web 2.0 im Unternehmen

Warum ignorante Führungskräfte ein Risiko sind

Was taugt MediaWiki? Muss ein Manager das wissen? Und was tun, wenn Mitarbeiter an den Unternehmensleitlinien herumfummeln?Von Wikis und Blogs ist die Rede, von Social Networks und Collaboration. Die entsprechenden Werkzeuge zu benutzen, ist aber nur die eine Seite der Medaille.

Unternehmen, die von diesen Trends profitieren wollen, müssen mehr tun. Es geht um Ehrlichkeit, das Zurückstellen von Eitelkeiten, das Teilen von Wissen und den Abbau von Hierarchien.

Was Führungskräfte über Enterprise 2.0 wirklich wissen müssen: Manfred Leisenberg und Frank Roebers klären unterhaltsam auf.
Was Führungskräfte über Enterprise 2.0 wirklich wissen müssen: Manfred Leisenberg und Frank Roebers klären unterhaltsam auf.

Unsere Schwesterpublikation Computerwoche veröffentlich zu diesen Themen das Buch "Web 2.0 im Unternehmen" von Manfred Leisenberg, Professor für Wirtschaftsinformatik in Bielefeld, und Frank Roebers, Vorstandsvorsitzender der ebenfalls in Bielefeld ansässigen Sxnaxon AG, herausgeben zu dürfen (siehe Computerwoche Online-Shop). Darin werden nicht nur die Werkzeuge des Web 2.0 ausführlich vorgestellt. Die Autoren beschreiben anhand von Beispielen ganz praxisnah, was in einem Unternehmen wirklich passiert, wenn es die Geheimniskrämerei abschafft und Mauern einreißt.

Angesprochen werden Führungskräfte, die ahnen, dass die Enterprise-2.0-Welle Kraft genug hat, um Unternehmen von Grund auf umzuwälzen. Entsprechend geißeln die Experten in ihrem "Kursbuch für Führungskräfte" auch all jene Manager, die noch immer meinen, sich mit Technik nicht befassen zu müssen. Ein Auszug:

"Ich habe einige Unternehmen kennengelernt, bei denen die Einführung eines Wikis bis zu dem Zeitpunkt, in dem man das erste Dokument einfügen konnte, länger als zwölf Monate gedauert hat. Meiner Meinung nach hat das auch damit zu tun, dass es bei Führungskräften bis heute als hinnehmbar gilt, über keinerlei technische Kompetenz zu verfügen. Oft und gern wird damit sogar kokettiert. Dies führt dazu, dass auch der offensichtlichste Blödsinn des technischen Personals widerspruchslos hingenommen wird."

Frank Roebers, der diese Zeilen geschrieben hat, weiß als Vorstandsvorsitzender der SYNAXON AG, wovon er spricht. Sein Unternehmen ist mit 2800 Anschlussbetrieben und einem Außenumsatz von drei Milliarden Euro Europas größte IT-Verbundgruppe - unter anderem gehört die Handelskette PC-Spezialist zum Konzern. Bei SYNAXON hat Roebers durchgängig Social Software eingeführt und damit die Unternehmenskultur entscheidend verändert. Das Unternehmen entschied sich für die quelloffene MediaWiki-Software, die auch Wikipedia zugrunde liegt. Allein die Wahl dieser Software löste heftige Diskussionen aus.

Roebers beschreibt die Vorbehalte seiner IT-Abteilung: "Unsere ITler rieten dringend davon ab, MediaWiki zu installieren. Sie empfahlen, erst einmal eine saubere Anforderung in ein Pflichtenheft zu schreiben, dann alle existierenden Wikis zu evaluieren und anschließend zu entscheiden, ob man ein bestehendes Wiki nimmt oder lieber ein neues schreibt. Das war im September 2006. Ich bin mir sicher, wären wir diesen Weg gegangen, hätten wir bis heute kein laufendes Wiki."

Doch auch die anderen Abteilungen, nicht zuletzt die Rechts- und Marketing-Leute, waren zunächst skeptisch. Sie fragten sich, wie offen in einem solchen Wiki wirklich kommuniziert werden kann.

"Eine sehr anstrengende Diskussion wurde in Gang gesetzt - darüber, was eigentlich als Betriebsgeheimnis zu gelten hat und was nicht. Die etwas überraschende Erkenntnis war, dass auch wir häufig viel zu leichtfertig Informationen als Betriebsgeheimnis deklarierten. Dies geschah meist ohne größeres Nachdenken. Wir haben uns nur sehr selten die Frage gestellt, ob wir nicht möglicherweise deutliche Vorteile dadurch erzielen könnten, viel mehr Informationen mit unseren Mitarbeitern, unseren Partnern und sogar mit der ganzen Welt zu teilen." (…)

Als börsennotierte Gesellschaft kann SYNAXON natürlich weder kursrelevanten Informationen noch personenbezogene Daten der Mitarbeiter und Kunden im Wiki veröffentlichen. "Ansonsten haben wir eine sehr weitreichende Offenlegung der Informationen für alle Mitarbeiter beschlossen. Jeder sollte alle laufenden Projekte, Stellenbeschreibungen, Regeln und Prozessbeschreibungen sehen können. Sogar die strategischen Konzeptionen und Abstimmungen zu den aktuellen Finanzplanungen wurden allen zur Verfügung gestellt", schreibt Roebers.

Die Offenheit und Ehrlichkeit des Autors bereitet viel Lesevergnügen. Die Startphase der Wiki-Einführung, so gesteht er, verlief äußerst zäh. Weil sie den Sinn der Plattform nicht erkannten oder Angst davor hatten, für ihre Kommentare sanktioniert zu werden, machten die Mitarbeiter zunächst kaum mit. Doch dann kam es zum großen Testfall:

"Ein neuer Mitarbeiter in der Einarbeitung wurde vorgeschickt, um eine ungeheuerliche Änderung im Wiki vorzunehmen. Er sollte eine Passage aus dem Unternehmensleitbild löschen, die außer mit niemand gut fand. Aber alle wussten, dass mir diese Passage enorm wichtig war. (…) Ich bekam also nun diese Änderungsmail und sah, was man meinem Unternehmensleitbild angetan hatte. Nachdem sich langsam meine Schnappatmung etwas beruhigt hatte, beschloss ich, erst einmal nichts zu tun. Ich wollte mindestens eine Nacht darüber schlafen, bevor ich die Änderung wieder zurücknahm. Am nächsten Tag habe ich mich mit meinen beiden Vorstandskollegen beraten. Wir kamen sehr schnell zu dem Entschluss, gar nichts zu tun. Es war uns klar, das gesamte Unternehmen würde diesen Vorgang genau beobachten. Außerdem spürten wir, dass sich schon nach wenigen Wochen unser Unternehmen durch die Einführung des Wikis so verändert haben würde, dass wir schon sehr bald ein vollständig neues Unternehmensleitbild brauchen würden."

"Web 2.0 im Unternehmen" will kein wissenschaftliches Werk sein. Den Autoren geht es darum, Führungskräften und anderen Interessierten weiterzuhelfen, wenn Social Software eingeführt werden soll. Unternehmen, die auf Dauer wettbewerbsfähig sein wollen, sollten nach Meinung der Autoren die große Chance nutzen und Web-2.0-Techniken zum eigenen Vorteil und dem ihrer Kunden adaptieren. "Stay hungry, stay foolish!" schließen Leisenberg und Roebers ihr lesenwertes Buch mit den Worten von Steve Jobs. Dass die Autoren nach diesem Motto leben, ist in jeder Zeile zu spüren. (mec)