Telefon und Webverschmelzen

Obwohl Produkte und Dienstleistungen rund um das Callcenter bereits boomen, steckt noch jede Menge Potential im Geschäft mit der Kundenbetreuung. Professor J. Felix Hampe erklärt, wie Internet und E-Busineß die Telefonservicezentralen revolutionieren.

Von: Konrad Buck

gateway: Welches sind gegenwärtig die neuesten technischen Entwicklungen auf dem Callcenter-Markt?

J. Felix Hampe: Zwei Trends sind besonders wichtig: Erstens findet gegenwärtig der Übergang vom Callcenter zum Communication Center statt, also einem Web-enabled Callcenter mit der Integration von Sprache, Fax und Mail in einem IP-Netz. Erreicht werden soll die Kopplung mit Electronic-Commerce-Lösungen - eine wirkliche Herausforderung. Zweite Neuerung ist das Pre-Routing, die Verlagerung von klassischer ACD-Funktion (ACD = Automatic Call Distribution) ins intelligente Netz.

gateway: Was heißt das: Pre-Routing?

Hampe: Ein "normal" abgesetzter Call wird stur vom Anrufer zum Agenten durchgeschaltet. Bei Pre-Routing in intelligenten Netzen dagegen "weiß" das angerufene System bereits, wer der Anrufer ist und vielleicht auch, was er will. Entsprechende Technik, beispielsweise von Geotel (jüngst von Cisco übernommen, Anmerkung der Redaktion), greift die Information innerhalb von Millisekunden ab, wertet sie in einem IP-basierten Netz aus, spielt sie dem Agenten zu und läßt beim Anrufer erst dann das Klingelzeichen ertönen.

gateway: Was sind die Vorteile? Welche neuen Services kann man damit aufsetzen?

Hampe: Durch die intelligente Wegewahl ist die Verweilzeit des Anrufers im Callcenter geringer und damit lassen sich auch die Kosten reduzieren. Außerdem sind entsprechende Systeme in der Lage, einen Kunden anhand seiner Rufnummer zu identifizieren und direkt an die nächstgelegene Filiale zu routen. Das funktioniert übrigens auch bei einer Service-Rufnummer. Oder aber die Software lokalisiert beim Pannenservice eines Automobilclubs den Kunden anhand der Vorwahl und schaltet aus mehreren im Bundesgebiet verteilten Standorten einen Agenten mit regionalen Kenntnissen zu. Grundsätzlich gilt bei gelungener Vorqualifikation eines Anrufers: Eine vertraute, immer wiederkehrende Person erweckt in ihm das Gefühl, einfach besser bedient zu sein.

gateway: Wie werden diese neueren Ansätze bisher genutzt?

Hampe: Noch viel zu wenig! Einer Marktstudie von Data Monitor zufolge haben wir in Deutschland und Europa gegenwärtig eine Penetration von gerade mal 1,5 Prozent für Web-enabled Callcenter. Allerdings prognostizieren die Marktforscher in diesen Bereichen gigantische Steigerungsraten.

gateway: Wie stellt sich der Callcenter-Markt heute insgesamt dar?

Hampe: Die klassischen Callcenter mit kaum erklärungsbedürftigen Produkten und Primitivauskünften sind weitgehend ausgereizt. Sie erfahren höchstens durch ein bißchen mehr Automatisierung, etwa die stärkere Nutzung verbesserter Sprachcomputer, einen weiteren Schub. Bekanntlich sind bei den sogenannten Interactive-Voice-Response-Systemen, bei denen eine mehr oder weniger freundliche Computerstimme den Anrufer entweder zum gewünschten Ziel oder zur Verzweiflung bringt, noch stark verbesserungswürdig. Viel Potential dagegen sehe ich in der sogenannten "dritten Phase" des Electronic Commerce. Dazu muß in der Abwicklung von Geschäftstransaktionen von bloßer asynchroner Web-Kommunikation auf eine Online-Kommunikation umgeschaltet werden, um aus den diversen Instrumenten für interaktives Verkaufen noch mehr herauszuholen. Hiermit ließen sich die Wünsche der Kunden noch genauer analysieren. Brachland ist derzeit neben der mangelnden Akzeptanz leider auch das Fehlen gesicherter Erkenntnisse über die Vermarktbarkeit solcher neuen Callcenter-Services. Fragen wie "Gibt das Produkt oder der Service überhaupt genug Marge her, um sich ein derartiges Callcenter leisten zu können?" wären dann leichter zu beantworten. Darüber wissen wir in Deutschland heute fast noch nichts.

gateway: Und wie stehen die Dinge bei der Business-to-Business-Kommunikation?

Hampe: Auch das ist ein nach wie vor kaum transparenter Markt. Die Firmen könnten ihre Kommunikation untereinander mit Callcentern wesentlich verbessern: Ist dieses oder jenes technische Teil an dieser Stelle tatsächlich einsetzbar? Geben Sie mir für diesen Reifen auf diesem Motorrad tatsächlich eine Garantie? Solche Fragen müssen nicht von den Sachbearbeitern der beteiligten Unternehmen geklärt werden. Wir brauchen Callcenter, wo ein Auftraggeber beispielsweise auch mal zurückgerufen wird und die Auskunft erhält, daß er in der Rabattstaffel eins höher rutscht, wenn er vom georderten Artikel gleich fünf weitere bestellt.

gateway: Da liegt ja offenbar in Sachen Umsetzung noch viel im argen. An welchem Punkt der Durchdringung im Bereich Callcenter-Anwendung stehen wir heute eigentlich?

Hampe: Gegenwärtig erleben wir eine Übergangsphase. Das Bewußtsein für Prozeß- und Service-Orientierung bildet sich gerade erst, genauso wie die Einsicht, daß wir die Electronic-Commerce-Integration in irgendeiner Form leisten müssen. Auch der Auftritt in Richtung Kunde muß noch harmonisiert werden. Daher gibt es eine Menge an Altbeständen, und die Anbieter müssen hart kämpfen, um diese zu restrukturieren. Nicht zuletzt brauchen wir eine neue Form der Personalqualifizierung, insbesondere im Communication Center. Die Anpassung fällt vielen Unternehmen sehr schwer.

gateway: Ist denn wenigstens die Computer-Telefonie-Integration (CTI) einigermaßen vorangeschritten?

Hampe: Teils, teils. Viele Anbieter haben CTI-Applikationen. Allerdings hat das Thema eine enorme Bandbreite. Das einfache Öffnen eines zusätzlichen Bildschirmfensters mit Kundenprofilen auf Basis der Anruferidentifikation ist ja mittlerweile das rudimentärste, was CTI zu bieten hat. Darum sind die Potentiale durch Middleware wie beispielsweise das Framework von Genesis enorm groß. Zu beobachten ist, daß dort im Moment viele Unternehmen daran arbeiten, noch eine Menge mehr rauszuholen. Genesis bietet heute schon im Standardpaket die Aufrufe, um alle Nachrichten, die über einen Zeitstempel verfügen zusammenzuführen - inklusive E-Mail und Fax.

gateway: Hauptsache, die Betreiber setzen das alles auch wirklich um!

Hampe: Richtig! Der Punkt ist, daß Anwender, die solche Produkte im Einsatz haben, auf der Applikationsebene nicht so leicht nachziehen können. Geschweige denn, daß sie den nächsten großen Schritt vollziehen und Software für das Management der Interaktion zwischen Kunde und Agenten integrieren. Anbieter sind etwa Siebel, Vantive oder Point. Hier schließt sich übrigens wieder der Kreis zum oben genannten Pre-Routing. Denn um die Produkte der genannten Firmen wirklich zu nutzen, wird die Integrationsanforderung einfach zwingend.

gateway: Die Integration von Bewegtbildern ist auch nicht ohne. Was halten Sie von Videokonferenztechnik im Callcenter?

Hampe: Ich glaube, daß wir über das kleine Videobild des Gegenübers weder Aura noch irgend etwas anderes übertragen. Das "Application Sharing" hingegen hat in den verschiedensten Marktsegmenten meiner Ansicht nach eine große Zukunft, insbesondere im Business-to-Business-Bereich. Allerdings muß das gesamte Prozedere wesentlich einfacher werden. Die Frage ist: Wieviel gemeinsame Aktion kann über statische oder dynamische Web-Seiten produziert werden? Und wieviel muß dann tatsächlich ad hoc generiert werden? Zunächst muß der Transfer mit vernünftiger Performance laufen. Erstrebenswert ist, daß das Ganze im Web-Browser läuft und der Anwender nicht irgendein weiteres Tool wie etwa Netmeeting starten muß. Wir werden das in künftigen mächtigeren Web-Browsern so integriert haben, daß das ganz nahtlos läuft.

gateway: Von wem kommen die neuen Browser?

Hampe (lacht): Die kommen mit Sicherheit entweder weiterhin von Microsoft und Netscape oder als Java-basierte Version von Sun.

gateway: Welches sind die nächsten Schritte im Callcenter?

Hampe: Die Auftraggeber werden von den Callcenter-Betreibern sehr viel mehr qualifizierteren Service haben wollen. Um den Kunden wirk-lich adäquat ansprechen zu können, müssen die Anbieter wesentlich einfachere Verfahren aufsetzen. Kein Kunde wird mehr hören wollen, daß er zur Bestätigung eines Auftrages bitte noch ein Fax schicken muß. Außerdem ist das bisherige Preisniveau für Projekte nicht mehr zu halten. Die Hersteller müssen heute mehr Hard- und Software für den gleichen Preis liefern, ähnlich wie im PC-Geschäft. Somit wird auch im Callcenter das Lösungsgeschäft zum wesentlichen Bereich, in dem zusätzliches Geld verdient werden kann.