Kampf um Aufmerksamkeit

Social Networks: Selbstvermarktung und Narzissmus

Laut einer US-amerikanischen Studie fördern Social Networks die selbstzentrierten Charaktereigenschaften. Viele Nutzer würden die Netzwerke zur Selbstvermarktung oder aus Gründen der Aufmerksamkeitssuche verwenden.

Social-Networking-Sites bringen bei ihren Mitgliedern vermehrt narzisstische Züge zum Vorschein. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die von Wissenschaftern der San Diego State University (SDSU) unter mehr als 1.000 College-Studenten aus den gesamten USA durchgeführt wurde. 57 Prozent davon gaben an, dass die Personen in ihrer Altersgruppe Social-Networking-Sites wie Facebook, Twitter oder MySpace vorwiegend für Selbstvermarktung, Narzissmus und Aufmerksamkeitssuche verwenden. Die Wissenschafter wollen außerdem herausgefunden haben, dass die "Generation Y" der nach 1980 Geborenen generell mehr Wert auf Selbstvermarktung, Narzissmus, erhöhtes Selbstbewusstsein und Aufmerksamkeitssuche legt als vorherige Generationen. Zwei Drittel der Befragten stimmten dieser Aussage jedenfalls zu.

"College-Studenten haben klar festgestellt, dass ihre gleichaltrigen Kollegen vermehrt selbstzentrierte Charaktereigenschaften an den Tag legen. Es ist faszinierend, welch ehrliche Diagnose sie über die Kehrseite ihrer Generation abgeben", sagt Jean Twenge, Koautor der Studie "The Narcissism Epidemic: Living in the Age of Entitlement". 40 Prozent der Befragten sind sogar der Meinung, dass solche Charaktereigenschaften hilfreich sind, um in einer konkurrenzbetonten Welt bestehen zu können.

Rolf Haubl, geschäftsführender Direktor des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt, bestätigt auf Nachfrage von pressetext, dass der Kampf um Aufmerksamkeit im medialen Zeitalter zugenommen hat: "Kinder und Jugendliche sind heute einer Reizüberflutung ausgesetzt, an der Medien natürlich einen großen Anteil haben. Sie müssen immer mehr dafür tun, um beachtet und anerkannt zu werden und geraten dadurch unter gesellschaftlichen Druck." Zudem hätten sich die traditionellen Vorstellungen über Kindheit und Jugend in der Gesellschaft verändert, argumentiert Haubl. "Das Idealbild von der Kindheit am Land ist schon lange nicht mehr haltbar. Die Bindung zwischen Eltern und Kindern hat gesamtgesellschaftlich nachgelassen, was dazu führt, dass sich die Kinder selbst behaupten müssen", so der Psychoanalytiker.

Der narzisstische Charakter ist von der Wissenschaft bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren intensiv untersucht worden. "Narzissten sind übersteigert selbstbezogen und sehen soziale Kontakte zum Großteil instrumentell. Allerdings nicht aus einer egoistischen, selbstverliebten Perspektive, sondern eher aus einer Perspektive des Selbsthasses", erklärt Haubl. In Bezug auf die heutige Generation haben selbstdarstellerische und aufmerksamkeitssuchende Persönlichkeitszüge durchaus zugenommen. Jedoch legt die "Generation Y" bei der Charakterbildung mehr Flexibilität an den Tag. "Ein flexibler Charakter, der es gewohnt ist, um Aufmerksamkeit und Anerkennung zu kämpfen, ist in der heutigen Arbeitswelt in der Tat eher förderlich als hinderlich", resümiert Haubl. (pte/mje)