Marketing-Tricks
So ziehen Hersteller Sie aufs Glatteis
2. Erst unterbieten, dann übertreiben
Hersteller von Unternehmens-Software bieten den Kunden extrem verlockende Preise an - aber nur, um ihre Verluste später durch überhöhte Gebühren wieder reinzuholen, sobald der Vertrag in trockenen Tüchern ist. Forrester-Analystin Petouhoff erlebte dieses Vorgehen schon früh in ihrer Karriere, als für einen Systemintegrator arbeitete. Bei zahlreichen Telefongesprächen mit den Softwareherstellern und Service-Providern stellte sie fest, dass die Verkaufsabteilungen zu jedem Anwenderwunsch nur eine Antwort parat hatten: "Das können wir." Petouhoff erzählt: "Ein Dienstleister befand sich im Bieterkampf zum Aufbau eines großen Callcenters in Südkalifornien, Kostenpunkt rund 2,5 Millionen Dollar. Das Unternehmen behauptete, das Projekt für nur 250.000 Dollar stemmen zu können. Und obwohl diese Summe nach meiner Auffassung nicht einmal für die Möbel ausreichen würde, stand ich in unserer Firma ziemlich alleine da. Mein Partner wollte nur den Verkaufsabschluss und trug mir auf, den Fehlbetrag durch Änderungsaufträge auszugleichen und dem Kunden den schwarzen Peter für die falsche Kalkulation zuzuschieben."
- 1. Fokus auf Kernfunktionen
Konzentrieren Sie sich bei der Definition der Anforderungen auf die Kernfunktionen der umzusetzenden Anwendung. Das Pareto-Prinzip gilt in der Regel auch in der Softwareentwicklung. Demnach sollten 80 Prozent der Funktionalität einer Anwendung durch 20 Prozent des Funktionsumfangs erbracht werden. - 2. Defensiver Technikeinsatz
Vermeiden Sie technische Spielereien. Es muss nicht immer jedes neueste Feature genutzt werden. Wägen Sie den Einsatz neuer Techniken sorgfältig ab, auch wenn diese eine höhere Entwicklereffizienz und schnelle Ergebnisse versprechen. Grundsätzlich gilt: Je mehr Funktionen, desto komplexer und damit aufwändiger und teurer wird die Anwendungsentwicklung. - 3. Einsatz vorgefertigter Komponenten
Prüfen Sie, ob Sie verfügbare Komponenten, Plattformen und Produkte nutzen können. Wenn es sich um nicht allzu komplexe Teillösungen handelt, kann das viel Aufwand ersparen. Allerdings ist eine "Buy"-Entscheidung nicht in jedem Fall der richtige Weg. Wenn die Komponenten erst "hingebogen" werden müssen, bis sie allen Anforderungen gerecht werden, ist das aufwändig und birgt Folgerisiken - etwa den Verlust der Release-Fähigkeit. - 6. Nutzung von Erfahrungen
Frühe Fehler können sich zu einem späteren Zeitpunkt zu Kostentreibern entwickeln. Unerfahrene Mitarbeiter sind daher ein Projektrisiko. Zumindest an den neuralgischen Punkten eines Projektes - etwa dem Architekturdesign oder der Projektplanung - sollten Sie den Projektbeteiligten daher erfahrene Mitarbeiter oder externe Berater zur Seite stellen. - 7. Stabile Anforderungen und verbindliche Absprachen
Sorgen Sie für stabile Anforderungen und klare Erwartungen an das Softwaresystem sowie für verbindliche Absprachen zwischen den Projektbeteiligten und strukturierte Change-Request-Verfahren. Dieses Vorgehen wirkt auf den ersten Blick etwas bürokratisch, letztlich hilft es aber, häufige Kurswechsel im Projektverlauf und daraus resultierende arbeitsintensive Nacharbeiten zu vermeiden. - 8. Kalkulation interner Ressourcen
Bewerten Sie die Verfügbarkeiten und Kapazitäten der internen Projektbeteiligten realistisch. Mitarbeiter, die beispielsweise zusätzlich zu ihrem Tagesgeschäft "nebenbei" im Projekt mitarbeiten, verursachen oft versteckte Mehrkosten, Terminverschiebungen und vor allem Qualitätsprobleme. - 10. Realistische Aufwandsplanung
Planen Sie die Aufwände eher vorsichtig. Zu optimistische Einschätzungen - "das ist schnell gemacht", "das ist ja fast fertig" - verfälschen die Kalkulation. Hektisches Nacharbeiten und Terminverzüge verursachen letztlich meist mehr Kosten als sauber geplante Projekte.
Die Analystin stellt ein plastischen Vergleich auf: "Es ist ungefähr so, als wenn Sie jemandem ein Auto ohne Räder verkaufen. Wenn der Kunde merkt, dass Sie ihn betrogen haben, stellen Sie ihm die Räder gesondert in Rechnung. Das eigentliche Problem hat der Kunde später, wenn er seinem Vorgesetzten die finanzielle Mehrbelastung (und seine Inkompetenz beim Geschäftsabschluss) schmackhaft machen muss - dann haben Sie Ihre Verträge aber bereits unter Dach und Fach."
Sobald die Hersteller alles auf die Implementierung setzen, um ihren Profit zu steigern, können sie ungemütlich werden, wie Connie Elliott, die Geschäftsführerin von Data Net, einem kleinen Hersteller von Barcode- und RFID-Datenverwaltungs-Software, leidvoll erfahren musste. Elliott kaufte für 5.500 Dollar ein CRM-System, um es in die firmeneigene Rechnungssoftware zu integrieren. "Eine unsere Anforderungen war, dass das System auf einer SQL-Datenbank aufsetzte, die wir frei bearbeiten und verändern konnten." Der Hersteller war unzufrieden über die geringe Implementierungsarbeit, die er bei uns leisten sollte und in Rechnung stellen konnte. Also versuchte der CRM-Software-Hersteller Data Net Serviceverträge anzudrehen. Nachdem das nicht funktionierte, versuchte man Elliott in neue SaaS-Angebote (Software as a Service) zu drängen. Die Geschäftsführerin aber blieb hart und lehnte ab. Dann folgte der richtig schmutzige Teil des Geschäfts: "Nachdem wir den Datenimport gemeinsam mit dem Hersteller gestemmt hatten, mussten wir feststellen, dass alle SQL-Tabellen passwortgeschützt waren", so Elliott. "Wir sollten die Passwörter nur bekommen, wenn wir mehrere Tausend Dollar für ein Software-Upgrade bezahlten, was wir aber nicht getan haben." Mittlerweile nutzt Data Net die Software nicht als CRM- und Rechnungssystem, sondern als einfachen Kontakt-Manager. Eine perfekte Lösung für die originären Probleme mit der Datenverwaltung hat Data Net bis heute - vier Jahre nach dem Vorfall - noch nicht gefunden.