Prozessbeginn gegen CompuServe-Chef

In München begann heute das Berufungsverfahren gegen Felix Somm. Der Ex-Chef von CompuServe war in erster Instanz wegen Verbreitung von Kinderpornografie verurteilt worden. Die Verteidigung rechnet diesmal mit einem Freispruch.

Wie bereits berichtet, war Somm im Mai 1998 wegen Verbreitung pornografischer Schriften zu zwei Jahren auf Bewährung und 100.000 Mark Geldstrafe verurteilt worden. Das Urteil hatte international Aufsehen erregt, und die Rechtsunsicherheit für Diensteanbieter im Internet weiter erhöht. Somms Rechtsanwalt Wilhelm Dingfelder kommentierte heute in München den Spruch als "sehr mutig, aber gleichzeitig auch fanatisch". Landrichter Ember, der die aktuelle Verhandlung führt, soll sich laut Dingfelder wochenlang in die Materie eingearbeitet haben. Dennoch gab er heute an "meine technischen Kenntnisse sind sehr begrenzt".

Großes Medieninteresse beim CompuServe-Prozess. Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Sieber zählt zu Somms Verteidigern.

Im Verfahren geht es vor allem um die Frage, ob Somm als Geschäftsführer der deutschen Tochter von CompuServe direkt den Zugang zu Newsgroups sperren konnte, in denen bayrische Ermittler Kinder- und Tierpornografische Bilder sowie Darstellungen sexueller Gewalt gefunden hatten. Auch drei in Deutschland indizierte Spiele waren den Fahndern zwischen 1995 und 1996 via CompuServe zugänglich. Physikalisch befanden sich all diese Inhalte aber in den USA, sodass Richter Ember zufolge auch von einer Mittäterschaft nicht die Rede sein kann. Laut einer eidesstattlichen Versicherung von Somms damaliger Chefin, der CompuServe-Vizepräsidentin Paulette White, hatte Somm die Sperrung der betroffenen Newsgroups "absolut und klar verlangt".

Felix Somm, hier in der Mitte, blickt heute wesentlich hoffnungsvoller drein als vor 18 Monaten, als er verurteilt wurde.

Rechtsanwalt Dingfelder kommentierte die Urteilsfindung in der ersten Instanz folglich auch als "Verschwörungstheorie" und sagte im Gespräch mit tecChannel über den Ausgang des Prozesses: "Da brauchen Sie nicht überrascht sein". Somm selbst sagte gegenüber der Redaktion, dass er vor allem die persönliche Last endlich abschütteln wolle. Er hätte unzähligen Freunden und Geschäftspartnern in den letzten Monaten immer wieder erklären müssen, warum er eigentlich verurteilt worden war.

Allgemein wird damit gerechnet, dass Somm am Mittwoch freigesprochen wird. Schon in der ersten Instanz hatten Verteidigung und schließlich auch der Staatsanwalt einen Freispruch gefordert. Die Entscheidung von Amtsrichter Hubbert kam völlig überraschend. (nie)