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Die Übertragungsgeräte für Videokonferenzen müssen hohen Ansprüchen genügen. Alle Testkandidaten glänzten durch eine gute Bildqualität, Zuverlässigkeit und einfache Handhabung.

Von: Robert Schoblick

Moderne Videokonferenz-Systeme sind international standardisiert. Die Genfer International Telecommunication Union (ITU) hat dafür eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen, an die sich die Hersteller der Geräte auch halten. Nur betrachten sie die Normen als "kleinsten gemeinsamen Nenner" und lassen sich nicht davon abhalten, proprietäre "Codecs" in ihre Endgeräte zu integrieren. Ein Beispiel dafür ist Picturetel, einer der Marktführer der Branche, der neben den aktuellen Standards auch ein eigenes Audio-Codec-Verfahren mit einer effektiven Übertragungsbandbreite von 14 kHz verwendet und damit ein beinahe natürliches Klangbild erreicht. Zum Vergleich: Die Grenze der hörbaren Frequenzen liegt bei ungefähr 20 kHz. Auch Polyspan hat neben den gängigen Audio-Codecs die proprietäre Technik "Acoustic Plus 716" eingebaut.

Die Spezifikationen für Videokonferenz-Systeme sind sehr komplex. Sie sehen Definitionen für Audio- und Video-Codecs sowie für die Zeichengabe und das Multiplexing der Kanäle vor. Dabei gibt es Videokonferenz-Geräte für verschiedene Transportmedien. So haben sich Lösungen für ISDN- und für IP-Infrastrukturen etabliert. Darüber hinaus wurden Standards für die Nutzung analoger Übertragungswege, für ATM-Netze und für Netzwerke mit garantierter Dienstgüte festgelegt und in den "Recommendations" der ITU verankert. Von praktischer Bedeutung sind allerdings vorrangig Systeme für die Kommunikation via ISDN (ITU-Empfehlung H.320) und für die Nutzung von IP-Netzwerken (ITU-Empfehlung H.323). Die entscheidenden Unterschiede liegen in der Adaption an die verschiedenen Transportwege für die Audio- und Video-Streams. So erfordert die Übertragung via ISDN die passenden Funktionen zur Signalisierung und zum Management der Bandbreite, denn es können bei Bedarf mehrere ISDN-B-Kanäle parallel (gebündelt) genutzt werden. Dabei müssen die Geräte mit verschiedenen Laufzeiten zurecht kommen und Verbindungen bedarfsgerecht auf- und abbauen können.

Unkritisch ist bei ISDN die Quality of Service der Übertragung, weil das Medium stets eine feste Bandbreite mit definierten Laufzeiteigenschaften zur Verfügung stellt. Im Gegensatz dazu können H.323-Systeme oder IP-Netze die Laufzeiten der einzelnen Datenpakete nicht garantieren. Auch sind die Pakete eines einzelnen Streams unterschiedlich lang unterwegs. Im Extremfall kann es sogar passieren, dass Pakete von den nachfolgenden überholt werden. Solche Laufzeitschwankungen oder "Jitter" sind extrem problematisch für die zeitkritischen Audio- und Video-Streams.

Ob Videokonferenzen über ISDN oder IP übertragen werden, ist für die Audio- und Video-Codecs nicht entscheidend. So muss ein System, das den Empfehlungen H.320 oder H.323 entspricht, in jedem Fall den Video-Codec nach ITU H.261 unterstützen. Bessere Systeme arbeiten darüber hinaus mit dem aktuellen Codec nach H.263. Bei den Audio-Techniken verhält es sich ähnlich. Neben dem Codec nach G.711, der eine Audio-Bandbreite von 3,1 kHz bei einem Bandbreitebedarf von 64 kBit/s vorsieht, erscheinen auch die etwas sparsameren Codecs nach G.722, G.723.1, G.728 und G.729 auf den Datenblättern.

Die gemeinsamen Codecs ermöglichen es, die ansonsten inkompa-tiblen Videokonferenz-Techniken für IP und ISDN über ein Gateway zusammenzuführen. Innerhalb des IP-Netzwerkes erfordert dies jedoch einen speziellen Gatekeeper, der einerseits die verfügbare Bandbreite überwacht und auf der anderen Seite für die Verbindungssteuerung und das Routing zuständig ist. Dabei sollten Anwender der H.323-Variante generell ihr IP-Netz um Funktionen für ein Load Balancing erweitern - mithilfe von Switches, einer gut geplanten Segmentierung des Netzwerkes und Bandbreiten-Managern, die die höheren Protokollebenen untersuchen und Voice- und Video-Streams bevorrechtigt transportieren.

Neben den reinen Codecs spielen noch andere Teilstandards eine wichtige Rolle. So regelt beispielsweise der ITU-Standard H.281 die Remote-Steuerung der Kamera auf der Gegenseite (FECC = Far End Camera Control). Der ITU-Standard H.221 definiert den Verbindungsaufbau über verschiedene ISDN-Basisanschlüsse, wobei heute jedoch wegen des wesentlich geringeren Administrationsaufwandes das "Bonding-Verfahren" favorisiert und von nahezu allen Herstellern von Raum- und Gruppen-Videokonferenz-Systemen benutzt wird. Mit Bonding erfolgt der Verbindungsaufbau zunächst nur über einen ISDN-Kanal. Ein internes Protokoll erfragt dann zwischen den Videokonferenz-Geräten die übrigen möglichen Rufnummern, die somit am rufenden Gerät ohne manuelle Eingaben zur Verfügung stehen. Die anrufende Seite baut nun nacheinander die übrigen ISDN-Kanäle auf, bis die gewünschte Bandbreite für die Videokonferenz erreicht ist. Bonding macht den mehrkanaligen Verbindungsaufbau sehr einfach. Ein kleiner Wermutstropfen ist allerdings, dass die ganze Konferenz scheitern kann, wenn einer der erforderlichen Basiskanäle gestört oder besetzt ist und damit die vereinbarte Bandbreite nicht zur Verfügung steht.

Insbesondere bei angemieteten MCU-Kapazitäten kann dies sehr ärgerlich werden. Riskant sind auch plötzliche Ausfälle eines oder mehrerer Kanäle. Unter Umständen bricht damit die gesamte Konferenz zusammen. Die Hersteller haben das Problem erkannt und versuchen in ihren Systemen eine gewisse Fehlertoleranz zu implementieren, wodurch die Verbindung im Störungsfall nach einer kurzen Neusynchronisation mit reduzierter Bandbreite fortgesetzt werden kann. Bei den neuen Picturetel-Serien setzt die Konferenz nach einem Ausfall nur fünf bis zehn Sekunden lang aus. Auch andere Hersteller haben Lösungen zur Absicherung der Verbindung bei einem Kanalverlust.