Mit 64 Bit Unix im Visier

Die Akzeptanz der Anwender wird zeigen, ob Intel bereits mit der ersten IA-64-Generation in der oberen Liga mitspielen kann. Nach der langen Anlaufzeit sind Itanium-Rechner nun bereit, ihre Trümpfe auszuspielen.

Von: Otto Klusch

Die ersten Server und Workstations mit der 64-Bit-Itanium-CPU stehen seit Ende Mai zur Verfügung. Sie basieren auf der "Explicitly-Parallel-Instruction-Computing"-Technik (EPIC) von Intel. Dieses Hardwaredesign erlaubt es, Anwendungen aufzusplitten und die einzelnen Teile in parallelen Prozessen zu verarbeiten - mit deutlich schnelleren Resultaten als bei herkömmlichen Prozessoren. Die Itanium-CPU kann bis zu 2,1 GBit/s verarbeiten: genug, um eine komplette Bibliothek wissenschaftlicher Fachzeitschriften in weniger als einer Minute zu transferieren.

Als Hauptvorteile von EPIC nennen die Itanium-Entwickler unter anderem die große Anzahl an Registern (128) sowie die parallelen Anweisungsebenen, die Highend-Transaktionsverarbeitungen beispielsweise von Decision-Support-Systemen sehr gut unterstützen. Durch die hohe Gleitkommaperformance eignen sich diese CPUs für komplexe Berechnungen und die schnelle Ausführung wissenschaftlicher Anwendungen wie Simulation oder Modellierung.

Der 64-Bit-Prozessor soll Anwendungen unter Unix, Windows oder Linux mit einer erheblich höheren Geschwindigkeit laufen lassen. Trotz des neuen Chipdesigns und Befehlssatzes unterstützt die Itanium CPU nach wie vor existierende 32-Bit-Anwendungen - allerdings nur im langsameren Emulationsmodus. Das EPIC-Konzept erlaubt die gleichzeitige Abarbeitung von 20 Rechenoperationen, deutlich mehr als andere 64-Bit-Prozessoren.

Heutige 32-Bit-Prozessoren können im Arbeitsspeicher bis zu 4 GByte an Daten adressieren. Einige Betriebssysteme beanspruchen davon schon die Hälfte für sich. Die IA-64-Architektur bietet Anwendungen einen weitaus größeren Spielraum: Sie adressiert bis zu 18 Exabyte (18 Milliarden GByte) über den 266 MHz schnellen Front-Side-Bus. Die Prozessoren verwenden nicht nur 64-Bit-Adressen, sie können auch 64 Bit gleichzeitig bearbeiten. Diese Fähigkeit ist eng mit der Systembus-Struktur verknüpft, die aber erst die zweite 64-Bit-CPU-Generation ab dem McKinley besser ausnutzt. Er soll Mitte 2002 auf den Markt kommen.

IA-64 unterstützt "Very Long Instruction Words" (VLIW), die sich aus einer Kombination von mehreren Befehlen zusammensetzen. Bisher wurde diese Technik nur in speziellen Prozessoren für Einzelanwendungen eingesetzt. Da sich Intel mit den IA-64-Chips endgültig von der x86-Architektur verabschiedet hat, entfallen auch die Schwächen im Fließkommabereich. Für einen zusätzlichen Leistungsschub sorgt die Parallelbearbeitung von Befehlen. Die EPIC-Technik ist dem Risc-Ansatz deutlich überlegen, denn sie kann Programmverzweigungen im voraus bestimmen und Programmschritte spekulativ durchführen.

Intel sieht den Itanium-Chip auch als Entwicklungsplattform für die nächste IA-64-Generation "McKinley". Größere Marktanteile für die IA-64-Plattform sind erst zu erwarten, wenn Hard- und Software in ausreichender Zahl verfügbar sind. Analysten rechnen damit, dass dies erst mit McKinley eintreten wird. Viele der heute schon lieferbaren 800 Anwendungen für die Itanium-Rechner benötigen weitere Optimierungsschritte, um die Feinheiten der neuen Chiparchitektur besser zu nutzen. Sun hat hier mit 12 000 ausgereiften Applikationen für Sparc einen deutlichen Vorsprung.

Paul Ottelini, Executive Vice President und General Manager der Intel Architecture Group, bezeichnet die Geburtsstunde der neuen Prozessorgeneration als kritisches Ereignis für Intel, denn das Unternehmen rechnet mit einer bis zu zwanzigjährigen "Lebenserwartung" dieser Chip-Architektur. Ottelini sagt eine bevorstehende Lernkurve für die Entwicklung von Itanium zu McKinley voraus, die durch Funktionen der zweiten IA-64-Generation wie Infiniband-Unterstützung, beträchtlich höhere Taktraten, mehr parallele Funktionseinheiten und größere Cache-Bereiche auf der CPU getragen werde. Intel erwartet, dass in diesem Jahr 25 Hersteller 35 Itanium-gestützte Rechner auf den Markt bringen werden.

Mit Preisen von 80 000 Mark liegen Itanium-Server mit zwei CPUs aus der "Poweredge"-Familie von Dell etwa in der Preiskategorie von Pentium-4-Acht-Prozessor-Systemen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis der IA-64-Generation könnte eine ähnliche Auswirkung auf die Preisgestaltung von Highend-Systemen haben, wie vor einigen Jahren die Einführung Intel-basierender Workstations. Damals erreichten Wintel-Rechner die Performance von Unix-Workstations und führten zu sinkenden Hard- und Softwarepreisen in diesem Marktsegment.

Unternehmen, die mit ihren IT-Systemen bereits am Ende der Skalierbarkeit angelangt sind und für Anwendungen mehr als 64 GByte Arbeitsspeicher benötigen, sollten eine Anschaffung von Itanium-Systemen in Erwägung ziehen. Die großen Serverhersteller bringen pünktlich zur Itanium-Freigabe IA-64-Systeme auf den Markt.