Microsoft-Chef Bill Gates zurückgetreten

Am Donnerstagabend hat der 44-jährige Microsoft CEO Bill Gates überraschend seinen Rücktritt als Vorstandsvorsitzender von Microsoft bekannt gegeben. Nachfolger wird Steve Ballmer (43).

Damit zieht sich Bill Gates jedoch nicht aus dem Konzern zurück, den er 1975 zusammen mit Paul Allen gegründet hat. Vielmehr hat sich Gates als Chief Software Architect einen neuen Posten geschaffen. Damit will Gates einen Großteil seiner Zeit zusammen mit den vier Vizepräsidenten der technischen Abteilung, Paul Maritz, Jim Allchin, Bub Muglia und Rick Belluzo in die Entwicklungsbetreuung der nächsten Generation von Windows-Internet-Services (NGWS) stecken. Die hierbei geplante Strategie und deren Umsetzung hat er bereits in seiner Keynote, tecChannel berichtete, auf der Comdex im letzten Jahr preisgegeben. Zudem bleibt er Aufsichtsratsvorsitzender.

Die Gründe für die Entscheidung liegen laut Microsoft an den Umstrukturierungen, die mit der Neupositionierung von Windows gemäß der Gatesschen Vision erforderlich sind. Auch die in dieser Woche ausgesprochene Forderung des amerikanischen Justizministeriums, die die Aufteilung des Softwaregiganten Microsoft in drei neue Firmen beinhaltet, dürfte die Entscheidung für den Rücktritt zu diesem Zeitpunkt mit bestimmt haben.

Steve Ballmer ist seit 1980 bei Microsoft und seit 1998 Präsident des Unternehmens. Laut Microsoft soll Ballmer ab 27. Januar zudem Mitglied des Verwaltungsrates werden. Die Bestrebungen des amerikanischen Justizministeriums, Microsoft aufzuteilen, lehnte Ballmer auf der Pressekonferenz mit der Begründung ab, dass dies "rücksichtslos und unverantwortlich" sei.

Eine Richtungsänderung in der gesamten Microsoft-Unternehmensphilosophie ist mit Ballmer nicht zu erwarten. Gates und Ballmer kennen sich seit ihrer Studentenzeit an der Harvard Universität und sind angeblich beste Freunde. Zudem ist Ballmer als eher gemeinschaftlich orientierter Manager mit starkem Wetteifer bekannt. Dies schließt jedoch keine der anstehenden Umstrukturierungen aus.

Rücktritt als strategischer Schachzug?

Wenn Microsoft im Zuge des Antitrust-Prozesses zerschlagen wird, könnte sich Bill Gates Rückzug aus dem offiziellen Tagesgeschäft nach Einschätzung von Branchenkennern als vorausblickender Schachzug entpuppen. In seiner neuen Rolle als Chef-Softwarearchitekt wäre Gates in der Lage, übergangslos den Vorsitz von mehreren Microsoft-Firmen zu übernehmen.

Microsoft dementiert unterdessen eine Verbindung zwischen dem Verlauf des Prozesses und Gates Rücktritt. Ein MS-Verkaufs-Direktor, Jeff Raikes, sagte, dass Bill Gates den Schritt schon vor einigen Monaten im Verwaltungsrat angedeutet habe. Bill Gates selbst betonte in einem Interview, dass er nun etwas mehr Zeit für seine Familie haben werde. Von Gates geplanter Zeiteinteilung hat der neue Chief Executive Officer (CEO) Steve Ballmer anscheinend noch nichts erfahren: "Bill Gates wird 100 Prozent seiner Zeit und Energie für künftige Microsoft-Projekte aufwenden", sagte Ballmer. Nach Ballmers Worten würde die Aufspaltung Microsofts für die Verbraucher große Nachteile mit sich bringen.

Justiznahe Kreise rechnen jetzt damit, dass sich der neue CEO persönlich in die Gespräche einmischen wird. Bill Gates hatte sich aus den Schlichtungsgesprächen herausgehalten. Möglicher Grund: Sein teils flapsigen Kommentare während der Vorverhandlung hatten die Stimmung gegen Microsoft aufgeheizt.

Die Finanzmärkte zeigten sich bislang vom Führungswechsel beim Softwareriesen unbeeindruckt. Im Nachhandel des elektronischen Brokermarktes Island stieg die Microsoft-Aktie zwischenzeitlich auf 109 Dollar an, nachdem sie beim Börsenschluss mit 107,8 Dollar gehandelt wurde. An den deutschen Börsen war bis zum Vormittag ein Anstieg um bis zu fünf Prozent zu beobachten. Allerdings wird in Deutschland nur ein Bruchteil der Microsoft-Aktien gehandelt.

Analysten sehen Rücktritt gelassen

"Noch vor zwei Jahren hätte diese Meldung die Leute ausflippen lassen", sagten Analysten übereinstimmend. Nachdem Ballmer aber bereits seit zwei Jahren erfolgreich die Geschäfte von Microsoft leitet, gilt er als Kronprinz vom Softwarekönig Bill Gates. Zu einem Erdrutsch werde es deshalb nicht kommen, glauben die Experten. "Außer der Tatsache, dass Ballmer etwas weniger Geld hat als Gates, sind die beiden siamesische Zwillinge", sagte ein Branchenkenner. Gates und Ballmer sind in der Forbes-Rangliste der reichsten Männer Amerikas unter den ersten Fünf. Bill Gates, der 15 Prozent der Microsoft-Aktien hält, gilt als reichster Mann. Allein am Tag des Produktionsbeginns des neuen Betriebssystems Windows 2000 stieg der Wert der fast 800 Millionen Aktien von Gates um rund 8 Milliarden Dollar auf über 85 Milliarden an. Steve Ballmer rangiert mit fünf Prozent Aktienanteilen auf Rang vier der Forbes-Liste. Microsoft hat 1999 einen Umsatz von knapp 20 Milliarden Dollar erzielt.

In der Computerbranche betrachtet man den Schritt von Bill Gates neutral. Gates Erzrivale, der Gründer von Netscape, Mark Andreessen konnte sich in einer ersten Reaktion einen bissigen Kommentar nicht verkneifen: "Sollte Gates vorhaben, jetzt CEO bei einer Start-up-Firma zu werden, würde ich nicht zögern, darin zu investieren." US-Präsident Bill Clinton lobte Ballmer als fähigen Manager und bezeichnete Gates als technisches Genie. Er sei gespannt auf künftige Entwicklungen. (fkh/uba)