Kooperative Kommunikation

Die bisher auf dem Markt existierenden Videokonferenzlösungen erfüllen höhere Ansprüche an die Bildqualität nur unzureichend, um Videobilder mit Echtfarben zu übertragen. Deshalb entwickelt die Industrie ATM-basierende Produkte, die dank höherer Bandbreite bessere Ergebnisse liefern.

Von: Kai-Oliver Detken

Miteinander arbeiten steht in den Wunschlisten der Unternehmen ganz oben, die Netzwerke einrichten. Als Anwendungen kristallisieren sich neben den klassischen Workgroup-Applikationen immer mehr die Videokonferenzen heraus. Solche Produkte fallen unter die Rubrik Computer Supported Cooperative Work (CSCW), die ein breites Spektrum von Ansätzen für kooperatives Arbeiten umfaßt. Schließlich lassen sich mit CSCW-Anwendungen Videokonferenzen und gemeinsam benutzte Anwendungen (Application-Sharing) realisieren. Dadurch können dezentralisierte Unternehmen Reisekosten einsparen und Geschäftsprozesse effizienter gestalten. Immerhin gibt es solche CSCW-Systeme in breiter Auswahl. Sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich Übertragungsart, Protokollstruktur, Videoqualität und Mehrpunktunterstützung.

Das Potential dieses Marktes hat Alcatel SEL (http://www.alcatel.de) erkannt und nutzt seine TK-Anlagen für unterschiedliche Medien. Für diese Aufgaben entwickelte das deutsch-französische Unternehmen die TK-Anlage "4400", die mittlere und hohe Kapazitäten erlaubt. Zugangsmöglichkeiten bietet die Anlage über ISDN, Datenserver und öffentliche sowie private ATM-Netze. Dadurch wird die Integration von Sprach-, Bild- und Datentransfer ermöglicht. Endgeräte können mit der TK-Anlage über 25,6 MBit/s verbunden werden. Auf diese Weise lassen sich bestehende Verkabelungen wie UTP Kategorie 3 bis 5 und STP weiter nutzen. PC-Endgeräte mit PCI-Bus benötigen folgende Karten:

Netzwerkkarte mit 25,6 MBit/s-Übertragungsrate, Audiokarte (ITU-T: G.711, G.722, G.728 und MPEG-1/2 für Audio) sowie Videokarte (Formate: CIF, 8 MBit/s, H.261-Kodierung, JPEG).

Weitere Merkmale sind PVC/SVC-Verbindungen, LANEv1.0-Unterstützung zur Anbindung lokaler Netzwerke, Verwaltungssoftware UNIv3.1, Netzwerkmanagement sowie Statistiken und Alarmanzeigen über Remote Control. Zusätzlich wurde eine API (Application Programming Interface) entwickelt, über die interne Anwendungen wie beispielsweise LAN-Emulation eigene ATM-Verbindungen aufbauen können.

Tags vor der ATM-Zelle

Die Hardware der TK-Anlage 4400 setzt sich aus den Karten ATM Main Switch (AMS), Input Output Broadband (IOBB) und Broadband Coupler (BBC) zusammen. Die AMS-Vermittlungsmatrix (8x8x155 MBit/s) ist selbständig vermittelnd. Das heißt, der ATM-Zelle wird ein Routing Tag vorangestellt. In diesem sind die Ausgänge der Matrix enthalten, an welche die jeweilige Zelle vermittelt werden soll. Dadurch ist die Auswertung des ATM-Zellenkopfes nicht nötig. Die 3 Byte langen Routing-Tags werden in der Schnittstellenkarte erzeugt und vor der ATM-Zelle eingefügt. Prioritäten ordnet der Controller den jeweiligen Datenströmen zu, wodurch sich der Echtzeitverkehr reduziert. Die Datenströme können dann an sämtliche Ausgänge verteilt werden, ohne den Zellenkopf zu verändern.

Die Aufgaben der IOBB-Karte sind Zeichengabefunktionen, lokale Verwaltung, LANE und P-NNI-Leitwegeparamtervergabe sowie Segmentierung beziehungsweise Wiederzusammensetzen der Datenströme. Die Karte ist mit der CPU des PC-Rechners über einen ISA-Bus verbunden. Sechs ATM-Teilnehmer werden von der BBC-Karte mit 25,6 MBit/s unterstützt. Physikalische Schicht und ATM-Schicht werden von ihr abgedeckt. Die 6x25,6 MBit/s-Datenströme lassen sich durch diese Karte auf 155 MBit/s multiplexen. Es sind auch BBC-Karten mit 155-MBit/s-Anschlüssen vorhanden. Diese unterstützen allerdings nur Monomode- oder verdrillte UTP-5-Verkabelung. Optional wird die Emulation von Schaltkreisen nach den CES-Normen des ATM-Forums unterstützt. Bei Koaxialverkabelung kommt die BBC34-Karte mit 34 MBit/s zum Einsatz. In Planung sind weitere Schnittstellen wie beispielsweise ein ATM/ISDN-Gateway, das es erlaubt, die ATM-Qualität der Audio/Videoübertragung auf den ISDN-Standard H.261 umzusetzen. Dadurch werden auch schmalbandige Arbeitsplätze erreichbar.

Komplettes System für individuelle Anforderungen

Einen Schritt weiter geht das Unternehmen First Virtual Cooperation (FVC) (http://www.fvc.com). In Zusammenarbeit mit Picturetel wird ein CSCW-System angeboten, das sich unterschiedlich konfigurieren läßt. Handelsübliche Videokonferenzsysteme, die auf dem H.320-Standard basieren, arbeiten mit dem System zusammen. Ein H.320/323-Gateway ermöglicht zusätzlich ein transparentes Bridging zwischen diesen beiden Standards. H.323 ist ein transportunabhängiges Protokoll, das die Implementierung von CSCW-Anwendungen auf unterschiedlichen Transportmedien erleichtert. Videokonferenzen über Ethernet- und Token-Ring LANs sind auch mit anderen Systemen möglich. Im Angebot enthalten sind:

Multimedia-Operation-Software (MOS), Multimedia-Gateway-Server (ATM-ISDN-Gateway), Multimedia Switch (ATM-Switch), Multimedia-Storage-Server in RAID-5-Technik (Mediaserver) sowie ATM-Adapter mit 25,6 MBit/s.

Diese Lösung basiert auf ATM und ermöglicht Anwendungen wie Video-on-Demand (VoD), Live-TV (MPEG-Codierung), Shared-High-Speed-Datenapplikationen sowie Videokonferenzen nach H.320 über ATM und ISDN. Durch das ISDN/ATM-Gateway können alle ISDN-Arbeitsplätze problemlos mit Mitarbeitern außerhalb des Unternehmens kommunizieren. Dabei ist das ISDN/ATM-Gateway in der Lage, bis zu 30 ISDN-Leitungen zu bündeln. Der Datenstrom wird über das ATM-Protokoll direkt an die Endstationen verteilt, wodurch nicht jede Station separat mit dem ISDN-Netz verbunden sein muß. Das heißt, eine Bandbreite bis zu 384 kBit/s wird direkt über das ATM-Netz gesendet. Dadurch läßt sich der Bandbreitenbedarf dynamisch aufteilen (128 bis 384 kBit/s). Es findet eine Konvertierung der ATM-Zellen in den synchronen ISDN-Datenstrom statt. Das Unternehmen bietet die Schnittstellen Primary Rate Interface (PRI/S2M) und Basic Rate Interface (BRI/S0) an. Damit lassen sich vier BRI-Karten und eine PRI-Karte oder eine Kombination beider Karten konfigurieren.

MOS unterstützt Windows-Anwendungen über ATM

Das Kernstück des FVC-Systems ist die Multimedia Operating Software (MOS), die es Windows-3.11 -95- und -NT-Anwendern ermöglicht, über ATM Datenströme zu transportieren. Dabei sollen sich die Quality-of-Service-(QoS)-Merkmale von ATM auf die ISDN-Systeme übertragen lassen. Native ATM-Dienstklassen und Komprimierungsverfahren (MPEG-1/2) werden ebenfalls unterstützt.

Um die Datenströme zu verarbeiten, wird ein zusätzlicher ATM-Switch benötigt. Dieser stellt garantierte Bandbreiten mit einer minimalen Verzögerung für Echtzeitanwendungen zur Verfügung. Im Fall von Überbelastung wird der Algorithmus Early Packet Discard verwendet, der Bursty Traffic ermöglicht. Gleichzeitiges Umschalten zwischen ISDN-, Audio/Video- und LAN-Daten wird ebenfalls vom Switch vorgenommen. Durch die integrierte LAN-Emulation kann er auf traditionelle LANs wie Ethernet, Token-Ring und Fast-Ethernet angepaßt werden. 155-MBit/s-Verbindungen baut er zum nächsten ATM-Switch auf, während 25,6 MBit/s zum Destop durchgereicht werden. Der ATM-Switch stellt exklusive Pfade mit garantierter Dienstgüte für Echtzeitanwendungen zur Verfügung. Die ATM-Dienstklassen ABR, CBR, VBR und UBR können für die Übertragung ausgewählt werden.

Eine weitere MOS-Version widmet sich dem reinen TCP/IP-Datenverkehr. So läßt sich in TCP/IP-Netzwerkumgebungen MOS_IP einsetzen, ohne auf ISDN-Systeme zurückzugreifen. Hierbei wird das Realtime Transfer Protocol (RTP) verwendet. Eine erste Implementierung des Resource Reservation Protocols (RSVP) wurde im Switch bereits vorgenommen, so daß hohe IP-Datenströme bei garantierter Bandbreite fließen. Eine RSVP/ATM-Anpassung findet statt, um die Antwortzeiten aus der Internet-Umgebung in ATM zu übertragen. ATM wird bei dieser Lösung als Backbone verwendet.

Die ATM-Netzwerkkarte kann zwischen PCI-Bus, ATM-Netzwerk und optional H.320-MVIP-Modul umschalten. Dadurch werden drei Pipes für die Audio-, Video- und Datenübertragung verwendet. Als Folge kommt es nicht mehr zu gegenseitigen Störungen zwischen diesen unterschiedlichen Übertragungsarten. Application Sharing verwendet so exklusiv bis zu 10 MBit/s, während die Videoübertragung auf maximal 384 kBit/s begrenzt wird. Das optionale Multivendor Interface Protocol (MVIP) ermöglicht direkte Verbindungen zwischen ATM-Adapter und Videokarte. Der RISC-Prozessor auf der ATM-Karte entlastet den PC durch die Middleware-Software MOS. Aus diesem Grund sind die Flaschenhälse, wie sie bei einer ISDN-Konferenz auftreten, weitgehend ausgeschaltet worden.

Die Nachteile der Shared-Medium-LANs (keine Echtzeitunterstützung, zu geringe Bandbreite, keine Skalierbarkeit) führen sehr schnell zur Überlastung. Beide Systeme von Alcatel und FVC beseitigen diese Flaschenhälse durch die Integration der ATM-Technik in bestehende Netzarchitekturen. Während das Alcatel-System die Bandbreite durch eine universelle Vermittlungsstelle erhöht, geht FVC noch einen Schritt weiter und bietet die ATM-Vorzüge Skalierbarkeit und QoS an.

Native ATM-Anwendungen für Videokonferenzen

Native ATM-Anwendungen sind wegen fehlender ATM-Infrastruktur und zu hohe Kosten bisher kaum anzutreffen. Seit kurzem existiert jedoch ein natives ATM-System auf dem Markt. Sican (http://www.sican-micro.com) entwickelte zusammen mit Siemens das Produkt "Provision Multinet". Dieses System arbeitet mit ISDN- und TCP/IP-Applikationen zusammen. CSCW-Anwendungen lassen sich in heutigen LANs genauso über LAN-Emulation einsetzen, wie über 64-kBit/s-ISDN-Leitungen. Eine Telekooperation zwischen Teilnehmern mit N-ISDN- und ATM-Anschluß ist somit auch bei diesem System möglich.

Die Bildwiederholrate (Frame Rate) beläuft sich auf 7,5 bis 30 Bilder pro Sekunde. Die ITU-Empfehlungen H.320 und T.120 werden beide unterstützt. H.320 ist dabei auf der Multinet-Karte integriert, so daß sich über ISDN-Verbindungen höhere Übertragungsqualitäten erreichen lassen. Die Endstationen werden zusätzlich durch die H.261-Komprimierung auf der Karte entlastet. Für die Audiocodierung sind G.711, G.722 und G.728 zuständig. Weiterhin lassen sich ATM-Verbindungen von 2,4 MBit/s bis 155 MBit/s skalieren. Segmentierung und Wiedervereinigung der Datenströme erfolgt nach der ITU-Empfehlung TI.363 für die Anpassungsschichten AAL-Typ-3/4 und AAL-Typ-5. Bei Verbindungen der verschiedenen Teilnehmer lassen sich 16 Gruppen mit jeweils 512 aufeinanderfolgenden VPI/ VCI-Adressen (Virtual Path Identifier/Virtual Channel Identifier) ansprechen.

Als Endgeräte sind Standard-PCs vorgesehen, die folgende Komponenten enthalten:

einen Anschluß des Multimedia-Desktops mit LWL-Kabel an ein ATM-Vermittlungssystem, das Video/Grafiksystem zur unabhängigen Verarbeitung von vier Videoströmen mit der Videokompression MPEG/JPEG und optional ein H.320-Modul für das Video-Interworking mit ISDN-Teilnehmern sowie Kamera, Mikrofon und Lautsprecher.

Als Betriebssysteme werden Windows 95 und NT unterstützt. Für die native ATM-Schnittstelle wurde ein Application Programming Interface (API) programmiert, da bisher noch keine standardisierten Lösungen verfügbar sind. Zusätzlich ist eine Softwareschnittstelle vorhanden, die für schnelle Übertragungsraten sowie hohe Audio- und Videoqualität über ATM entwickelt wurde. Vorhandene NDIS-Schnittstellen oder Winsock 2.0 können den geforderten Quality-of-Service (QoS) sowie die hohen Übertragungsraten nicht effektiv bereitstellen. Das kompensieren die Entwickler durch die zusätzlichen Softwareschnittstellen. Die Network Driver Interface Specification (NDIS) ermöglicht das Betreiben einer oder mehrerer Netzwerkkarten und Protokollstacks zur gleichen Zeit. Dabei beschreibt die NDIS-Architektur zwei unterschiedliche Treiberarten: Protocol Manager Driver (PMD) und Media Access Control (MAC). Der Protokollmanager wird von den MAC-Treibern verwendet, um Konfigurationsinformationen zu bekommen. Enthalten sind diese Informationen in der Datei protocol.ini. Dadurch können Informationen an die MAC-Schicht weitergeleitet und die Protokollstacks verbunden werden. Die MAC-Treiber verschicken und empfangen die Pakete auf der unteren Schicht. Sie sind die eigentlichen NDIS-Treiber, welche für die unterschiedlichen Netzwerkkarten angeboten werden.

Native ATM-Lösung mit ATM-Switch

Die Siemens AG bietet ein natives ATM-System unter dem Namen "Group Win", das aus dem ATM-Switch "Hicom Xpress" besteht. Zusätzlich ist das Gerät mit einer Interworking Unit (IWU) ausgestattet. Dadurch sind auch hier Querverbindungen zum schmalbandigen ISDN-Netz über "Hicom300" vorhanden. Telefonieren direkt über die Hicom Xpress ist ebenfalls durch die IWU möglich. Weiterhin lassen sich reine IP-Anwendungen wie Joint Viewing, Application Sharing, Joint Working und Telepointing durchführen.

ATM-Endgeräte wie zum Beispiel Standard-Pentium-PCs müssen für den Datenaustausch mit einem ATM-Adapter für Lichtwellenleiteranschluß (STM-1: Singlemode und Multimode) ausgestattet werden. Das Video/Grafiksystem Computer Integrated Video on ATM (CIVA) ist ebenfalls für die Verarbeitung von vier unabhängigen Videoströmen notwendig. Die Videokompression geschieht nach dem MJPEG-(Motion Joint Photographics Expert Group)-Verfahren. Ein bidirektionales Audio-Subsystem synchronisiert den Ton zur Videoübertragung. Als Betriebssystem wird Windows 95/NT eingesetzt.

Die Kommunikationssoftware erlaubt es, über Fest- oder Wählverbindungen den Anschluß an die Hicom Xpress herzustellen und unterstützt IP-over-ATM. Weiterhin wird das CIVA-Audio-Video-Steuermodul zur Ansteuerung der Hardware und Groupwin-Software benötigt, die bis zu 16 Konferenzen unterstützt. Alle Windows-Anwendungen lassen sich gemeinsam bearbeiten und wichtige TCP/IP-Dienste wie Telnet, FTP und SMTP ebenfalls weiter verwenden. Das Interworking für Sprache und Video zwischen ATM und ISDN erlaubt das Anrufen von Telefonteilnehmern über das ATM-Endgerät durch die angeschlossene Hicom. Darüber hinaus läßt sich das öffentliche Netz während einer Videokonferenz mitbenutzen. Weitere Merkmale der ATM-Adapterkarte sind:

Datenrate einstellbar von 2,4 MBit/s bis 155 MBit/s, Datenspeicherung durch 1-MByte-Pufferspeicher (Bursty Traffic Handling), Datenrate 155MBit/s, Segmentierung/Zusammensetzung nach AAL-3/4 oder AAL-5, Paketverzögerung ist kleiner als 10 ms sowie 16 Gruppen mit jeweils 512 aufeinanderfolgenden VPI/VCI-Adressen lassen sich konfigurieren.

Das CIVA-System unterstützt darüber hinaus PAL/NTSC-Auflösung, stufenlos veränderbares Bildformat, CD-Audioqualität sowie Echtzeitdarstellung mit 25 bis 30 Bildern pro Sekunde. Die anfallende Datenrate bei der Videoübertragung erreicht 27 MBit/s, die Audioübertragung benötigt 880 kBit/s. Dadurch bleibt die restliche Bandbreite für den reinen Datentransport übrig.

(hjs)