Agiles Führen

In agilen Projekten müssen Führungskräfte loslassen

Viele agile Projekte scheitern daran, dass sie nicht mit Unternehmensstrukturen, die auf Befehl und Kontrolle basieren, vereinbar sind. Wer die Vorteile von Scrum für seine Organisation nutzen will, muss Führung neu denken.

Fingerspitzengefühl nennt Martin Sturzenhecker als wichtigste Kompetenz, die eine Führungskraft in agilen Projekten braucht. Sturzenhecker befasst sich seit sechs Jahren mit Scrum und anderen agilen Entwicklungsmethoden und leitet bei der Münchner IT-Beratung MaibornWolff den Bereich ­Agile Consulting und Engineering.

15 Minuten täglich tauschen sich Martin Sturzenhecker (rechts im Bild) und sein Scrum-Team über den Projektstatus aus: Was haben wir gestern geschafft? Was steht heute an? Wo braucht jemand Hilfe?
15 Minuten täglich tauschen sich Martin Sturzenhecker (rechts im Bild) und sein Scrum-Team über den Projektstatus aus: Was haben wir gestern geschafft? Was steht heute an? Wo braucht jemand Hilfe?
Foto: MaibornWolff

Ob beim täglichen Meeting (Daily Standup) oder bei der Retrospektive am Ende eines jeden Sprints, in agilen Projekten tauschen sich die Teammitglieder ständig aus. Fortschritt und letztlich Erfolg eines Projekts hängen auch davon ab, ob die Teammitglieder offen sagen können, was schiefläuft oder wo sie Hilfe brauchen. Gemeinsam gilt es zu überlegen, was im Projekt besser gemacht werden kann. "Als Moderator braucht der Scrum Master viel Fingerspitzengefühl. Er muss auch mal Aussagen entschärfen und positiv ummünzen", sagt Sturzenhecker. Ein Scrum Master steuert das Gespräch weniger durch Vorgaben als durch Moderation, er stellt die Sache in den Vordergrund und nimmt jedes Feedback ernst.

Programmieren im Doppelpack

Aber nicht nur hinsichtlich der Kommunikationskultur funktionieren agile Entwicklungsprojekte anders, auch die Herangehensweise und die Arbeitsauffassung der Teammitglieder unterscheiden sich deutlich von herkömmlichen Vorgehensweisen. Statt einer stark arbeitsteiligen Organisation, in der Spezialisten nur ihr Teilgebiet im Blick haben, schauen die Mitglieder agiler Teams nach links und rechts, sprechen mit Fachabteilungen oder programmieren sogar zu zweit, um bessere Lösungen zu erreichen und voneinander zu lernen. Dazu Sturzenhecker: "Mit einer agilen Organisation opfert man einen Teil der Effizienz der Arbeitsteiligkeit. Stattdessen verteilt man das Wissen auf viele Köpfe und erreicht kürzere Durchlaufzeiten und Time-to-Market."

Martin Sturzenhecker, MaibornWolff: „In einer agilen Organisation müssen Führungskräfte nicht mehr jede Kleinigkeit selbst steuern. Stattdessen ver­trauen sie dem Team, dass es die Auf­gabe hinbekommt.“
Martin Sturzenhecker, MaibornWolff: „In einer agilen Organisation müssen Führungskräfte nicht mehr jede Kleinigkeit selbst steuern. Stattdessen ver­trauen sie dem Team, dass es die Auf­gabe hinbekommt.“
Foto: MaibornWolff

Schon oft hat der Manager im Einsatz bei Kunden erlebt, dass Menschen hinter arbeitsteiligen Strukturen verschwinden, nicht greifbar sind und sich dadurch die Prozesse verlang­samen. Noch zäher wird die Angelegenheit, wenn die Spezialisten in Indien oder anderswo sitzen und Ticket-Systeme jede persönliche Abstimmung verhindern. "In agilen Projekten haben alle nicht nur ihre Aufgabe, sondern auch das große Ganze im Blick. Sie fühlen sich verantwortlich für das Ziel und brennen dafür. Dadurch, dass wirklich alle Spezialisten zusammenarbeiten, entsteht echte Teamleistung", sagt Sturzenhecker. "Man ärgert sich schon auch mal, aber man wirft die Aufgabe nicht zum Nächsten über den Zaun, sondern packt mit an, um ­Ärgernisse ­gemeinsam aus dem Weg zu schaffen."

Für die Führungskraft ergeben sich daraus mehrere Aufgaben. Zunächst gelte es, inter­disziplinäre Teams zusammenzustellen, in ­denen Entwickler mit Architekten, Testern, Konzeptern, Designern oder Redakteuren zusammenarbeiten. Zudem müssen Führungskräfte ­Freiräume schaffen, damit das Team sich eigenverantwortlich organisieren kann. Es steckt sich selbst kurzfristige Ziele, etwa für die nächsten zwei Wochen, und entscheidet, wer was in welcher Reihenfolge tut und ob zum Beispiel das neue Formular für die Web-Anwendung im Pair Programming entwickelt wird. Komplett zurückziehen darf sich die ­Führungskraft dennoch nicht, betont Sturzenhecker: "Manchmal muss ich als Scrum Master die Mitarbeiter auch vor sich selbst schützen, damit sie nicht zu viel arbeiten. ­Zumal auch der Code schlechter wird, wenn man regelmäßig 14 Stunden programmiert."