Gerüst für ATM

Um für den Client-Server-Einsatz und bandbreitenhungrige Anwendungen wie Videokonferenzen gerüstet zu sein, modernisierte der Spezialchemiehersteller SKW Trostberg AG sein Netzwerk mittels strukturierter Verkabelung und baute es per Switching in Richtung ATM aus. An oberster Stelle stand die Forderung, Token-Ring-, IBM-3270- und X.21-Anwendungen in einem Backbone auf einem Medium zu integrieren.

Von: Claudia E. Petrik

Der Auslöser für die Erneuerung des Netzwerkes war der Umstand, daß Siemens-Nixdorf Ende 1994 den Service für bestimmte Nixdorf-Terminals (BA 11 et cetera) und Drucker (ND 25 et cetera) einstellte. Rund 280 solcher Endgeräte waren zum damaligen Zeitpunkt in den Werken der SKW AG in Trostberg, Hart, Schalchen und Münchsmünster im Einsatz. Die Planung sah vor, die Terminals sukzessive gegen Personalcomputer oder modernere Terminals auszutauschen.

Auch in der Hauptverwaltung in Trostberg wurden neben den vorhandenen IBM-3270-Terminals zunehmend PCs eingesetzt. Dies führte zu Engpässen im Token-Ring-Netz und brachte die IBM-Brücken an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Das Netz mußte dringend erweitert und zukunftsfähig gemacht werden. Der Auftrag an die Abteilung ITK (Informatik-Telekommunikation) lautete, die nötige Infrastruktur bereitzustellen.

Für den ITK-Leiter Erich Obersteiner stand fest, daß die Lösung tragfähig für die Zukunft sein mußte. Klar war auch, daß Token-Ring als Technik beibehalten wird. "Wir achten darauf, daß unser Netz homogen ist, denn wir machen den Service rund um die Uhr selbst", betont Obersteiner. "Token-Ring ist zwar aufwendiger in der Administration als Ethernet, aber weitaus zuverlässiger in puncto Ausfallsicherheit" ergänzt Werner Thiele, der maßgeblich an der Realisierung mitgearbeitet hat. Eine wichtige Vorgabe dabei war, daß die IBM-3270-Welt in das Netzwerk eingebunden werden konnte, denn die vorhandenen 200 Terminals bleiben auch weiterhin im Einsatz. Und die Lösung mußte einen Migrationspfad von Token-Ring zu ATM bieten, denn schon damals war der Einsatz von Video geplant.

Migrationspfad zu ATM

Nachdem definiert war, was das künftige Netz leisten sollte, mußte ein Hersteller gefunden werden, der die entsprechende Technik für den Backbone bot. "Die Entscheidung für das LWL-Backbone-System "Premnet" von Racal Datacom fiel ziemlich schnell, weil wir kaum Alternativen fanden, die unseren Forderungen entsprochen hätten", erklärt Obersteiner. Außerdem hatten die beiden Unternehmen schon früher zusammengearbeitet.

Die Planung des Netzwerkausbaus umfaßte vier Standorte: den Hauptsitz in Trostberg und die Produktionsstätten in Schalchen, Hart und Münchsmünster. 1995/1996 wurden die Mittel dafür in zwei Teilschritten genehmigt: Insgesamt über vier Millionen Mark waren veranschlagt, was weit über die bisherigen Investitionen für Netzwerktechnik hinausging. Aus diesem Grund waren an dem Entscheidungsprozeß nicht nur die Geschäftsführung, sondern auch die Werks- und Betriebsleiter beteiligt.

Den Anfang machte der Standort Trostberg. Insgesamt waren 8000 Meter Glasfaserkabel nötig, um die 32 Werksgebäude miteinander zu vernetzen. Parallel dazu lief die Verkabelung innerhalb der Gebäude, wobei sich die TK-Verantwortlichen standardmäßig für achtaderige Kupferkabel nach Kategorie 5 entschieden. "Das ist ausreichend für die nächsten fünf Jahre", ist sich Obersteiner sicher. Die Vorteile der strukturierten Verkabelung liegen seiner Meinung nach auf der Hand: Der Service für Endgeräte ist einfacher, und Umzüge von Mitarbeitern oder Abteilungen können weitaus schneller abgewickelt werden. Ein heftig diskutierter Punkt war die Art und Anzahl der Steckdosen. Entscheidend war für die TK-Verantwortlichen, daß eine einzige Steckdosenart für alle Kommunikationsgeräte verwendet werden kann. Schließlich einigte man sich auf vier RJ-45-Steckdosen bei einem Einzelarbeitsplatz und sechs bei Doppelarbeitsplätzen.

Das Netzwerk in Trostberg ist aufgeteilt in sechs Glasfaserringe, an denen bis jetzt insgesamt 30 Netzknoten hängen. Ein Ring dient als Backbone, die Sub-Ringe sind mittels Linkmodulen an den Ringschnittstellen angeschlossen. Zwar lassen sich theoretisch an jedem Ring 16 Knoten betreiben, aber wegen der 3270-Terminals war es notwendig, die Anzahl auf sechs Knoten pro Ring zu begrenzen, um ein akzeptables Antwortzeitverhalten für die Anwender zu erreichen. Um das Risiko eines Netzausfalls auf ein Minimum zu reduzieren, sind alle wichtigen Komponenten redundant ausgelegt.

"Wir gehen davon aus, daß das Netz nicht komplett ausfallen kann", antwortet Obersteiner auf die Frage nach der strategischen Bedeutung des Netzwerkes. Ein Ausfall könne nur einzelne Knoten oder einen Ring betreffen. Premnet arbeitet nach dem Prinzip der gegenläufigen Ringstruktur: Tritt eine Störung bei einem Modul oder einer Leitung auf, dann wird der Ring automatisch rekonfiguriert, was innerhalb von 50 bis 500 Millisekunden geschieht. "Um auszuprobieren, ob das funktioniert, haben wir Knoten einfach abgeschaltet und Stecker gezogen", so Thiele. "Das klappt gut." Die Devise von Thiele ist, daß die restlichen Anwender nichts bemerken sollen, wenn eine Störung auftritt. Wichtig ist für die TK-Verantwortlichen auch, daß man die Anzahl der Knoten im laufenden Betrieb erweitern kann, indem man Systemmodule austauscht oder neu installiert.

Austausch im laufenen Betrieb

Die Verwaltung von Premnet erfolgt mit dem Managementwerkzeug "CMS", das eine grafische Abbildung des Netzes, der Ringe, der Komponenten und der unterbrechungsfreien Stromversorgungen ermöglicht. Von einem PC aus hat der Netzwerkverwalter einen Überblick über alle Netzwerkverbindungen. Er kann sich die Linkmodule und Switches genau anschauen, die Hard- und Softwarestände sowie Seriennummern feststellen und umkonfigurieren. Auch bei einer 3270-Verbindung sieht der Administrator, welche Komponenten beteiligt sind. Außerdem kann er Messungen von Token-Ring-Karten vornehmen und die Auslastung von Ringen feststellen. "Da kann man sich leicht einarbeiten", sagt Thiele. Das ist von Erich Obersteiner ohnehin gewünscht, denn seine ganze Mannschaft soll mit dem Netzwerk arbeiten können. Da CMS aber begrenzt ist auf reines Komponentenmanagement, kann es eingebunden werden in Openview von Hewlett-Packard oder TME 10 von IBM.

"Mit dem Netzwerkmanagement ist das so eine Sache", meint Obersteiner. Jeder Hersteller verspreche eine ganze Menge, bloß erfüllten die Systeme das meist nicht. Erschwerend komme dazu, daß sich die Netze, die Strukturen und die Endgeräte laufend veränderten und dementsprechend auch das Netzmanagement ständig aufgerüstet werden müsse. "Ideal wäre, wenn man dem Netzmanagementsystem einfach Module hinzufügen könnte", so sein Vorschlag.

Während des Netzausbaus stand auch die Renovierung der Verwaltung in Trostberg an: Ein günstiger Anlaß, um das Gebäude ebenfalls mit strukturierter Verkabelung zu versorgen. Nachdem das Netzwerk in Trostberg stand, war der Standort Hart an der Reihe. "Dort haben wir von vornherein drei Ringe geplant. Innerhalb von wenigen Stunden stand das Netz mit 15 Knoten, das lief phantastisch", erzählt Obersteiner rückblickend. Inzwischen hatten die ITK-Mitarbeiter gelernt, auf welche Stolpersteine sie achten mußten. "In Trostberg haben wir zuviel auf einmal gemacht: die Anzahl der Knoten pro Ring stimmte nicht, und es wäre besser gewesen, das Netzwerkmanagement später zu installieren", erklärt er. In Hart gehen die ITK-Mitarbeiter deshalb schrittweise vor. Erst nachdem das Netzwerk einige Zeit läuft, wird CMS implementiert.

Von den Erfahrungen profitieren auch die anderen Standorte, die es jetzt noch zu vernetzen gilt. Die Installationen in Münchsmünster bei Ingolstadt wurden Ende August abgeschlossen. Sie umfassen einen Token-Ring-Knoten mit 50 Anschlüssen. Der Ausbau des Netzwerkes in Schalchen ist geplant. Für die Datenkommunikation zwischen den Standorten und dem IBM-Mainframe in Trostberg nutzt die SKW Trostberg AG als Tochter der Viag-Gruppe das Frame-Relay-Netz der Viag Interkom, und zwar zu günstigeren Preisen als bei der Deutschen Telekom.

Entlastung der Token-Rings

Da das Unternehmen als Betreiber von drei Kraftwerken seit vielen Jahrzehnten über ein eigenes Corporate Network verfügt, ist sie in Teilbereichen nicht auf die Telekom beziehungsweise Viag Interkom angewiesen. Der Standort Trostberg ist seit März dieses Jahres über eine Zwei-MBit/s-Leitung mit dem Frame-Relay-Netz der Viag Interkom verbunden. Nach Auflösung des Telekom-Monopols kommt der Sprachverkehr dazu.

Anfang dieses Jahres wurde das Problem mit dem Flaschenhals im Backbone des Token-Ring-Netzes gelöst. Die überlasteten IBM-Brücken waren gelegentlich ausgefallen und hatten nicht mehr den erforderlichen Durchsatz gebracht. Sie wurden ersetzt durch zwei Centillion-100-Switches (155 MBit/s) von Bay Networks, die für ATM, Token-Ring und Ethernet ausgelegt sind (3,2-GBit/s-Backplane). "Das war ein spürbarer Leistungssprung für die Mitarbeiter und hat den Token-Ring deutlich entlastet", freut sich Thiele. "Ein wichtiger Punkt ist für uns, daß wir ATM jederzeit weiter ausbauen können", nennt Obersteiner eine Forderung.

An dem Netzwerk hängen mittlerweile rund 600 Endgeräte. Außer den 280 IBM-Terminals und rund 20 CAD-Stationen in der Produktion sind derzeit knapp 250 PCs in der Verwaltung im Einsatz, Tendenz steigend. Der weitere Ausbau der DV-Infrastruktur sieht vor, an dezentralen Stellen Server aufzustellen. Das Backbone-System wurde auch unter dem Aspekt ausgewählt, Videobilder nach dem PAL-Standard zu übertragen. Als Einsatzbereiche für Video nennt Obersteiner die Überwachung der Werkstore oder Produktionsanlagen.

Das Fazit von Obersteiner zur neuen Netzwerkinfrastruktur ist positiv: "Wir haben die richtige Entscheidung getroffen. Bis dato läuft es gut."