Überleben in der Digitalen Transformation

Fünf Prinzipien die Unternehmen von Google lernen können

Die digitale Transformation ändert nicht nur Märkte und Produkte, sondern auch die strukturellen Rahmenbedingungen für Unternehmen. Google sollte deshalb für deutsche Unternehmen ein Vorbild sein.

Deutschland ist ein Land der Ingenieure. Und genau das könnte uns in Zukunft auf die Füße fallen. Denn bisher wird beim großen Thema der digitalen Transformation nur über technische Lösungen diskutiert. Dabei ist die digitale Transformation weit mehr als eine Frage nach innovativen Produkten.

Wie die Unternehmen im US-amerikanischen Silicon Valley zeigen, welche die Digitalisierung der letzten 20 Jahre angeführt haben, bedeutet sie vor allem ein Neudenken unserer Arbeitswelt und unseres Verhältnisses zu unseren Kunden. Das umfasst sowohl Geschäftsprozesse als auch grundlegende Unternehmensstrukturen. Thomas Sattelberger, ehemaliges Vorstandsmitglied bei Lufthansa, Continental und Telekom, kommentierte kürzlich in dem Film "Augenhöhe" die Arbeitslage in Deutschland mit den Worten: "Natürlich wissen wir alle, dass die Gesellschaft und auch viele Unternehmen sich da noch sehr schwer tun, über ihre mentalen Blockaden hinweg zu kommen." Er ruft die Unternehmen sowohl dazu auf "ihre Arbeitswelt der Komplexität anzupassen", als auch "die Brüche nicht zu groß werden zu lassen und […] Schneisen zu schlagen für eine souveränere, diversere, offenere Arbeitswelt."

Als Blaupause gilt seit Jahren Google, das seine Unternehmensstruktur stets konsequent auf die Zukunft ausrichtet. Ich möchte fünf Prinzipien vorstellen, wie auch deutsche Unternehmen dies erreichen können.

Entrepreneure statt Manager einsetzen

Um Google besser verstehen zu können, muss man das Umfeld des Silicon Valley betrachten. Auf nur wenigen Quadratkilometern sitzen hier Facebook, Apple, Google, Evernote, Intel, Ebay, Tesla und HP. Diese Nähe hat dazu beigetragen, dass sich eine ganz eigene Mischung aus Technikjüngern, Intellektuellen, Software-Entwicklern und Kapitalgebern etablieren konnte. Entstanden ist diese Community aus der 1968er Bewegung, die als oberste Maxime hatte, alte Strukturen und Denkweise zu durchbrechen. Der Begriff 'disruptiv' fungiert deshalb auch im digitalen Denken als zentrales Leitmotiv und Glaubensbekenntnis. Disruptiv bedeutet, stigmafrei ganze Branchen und bestehende Abläufe über den Haufen zu werfen und neu zu denken. Sämtliche Ineffizienzen, die im alltäglichen Leben und Arbeiten entdeckt werden, sollen durch digitale Services beseitigt werden.

Wo in Deutschland noch in Hierarchien gearbeitet wird, wird bei Google längst in Netzwerken gedacht.
Wo in Deutschland noch in Hierarchien gearbeitet wird, wird bei Google längst in Netzwerken gedacht.
Foto: Stephan Preuss

Das disruptive Prinzip bedeutet jedoch auch, bewusst Risiken einzugehen und für diese einzustehen. Das Management funktioniert deshalb selbst als kompromissloser Anführer einer zukunftsweisenden Vision und Mission, um sowohl Risikokapitalgeber als auch die eigenen Mitarbeiter zu überzeugen und zu führen. Die Unsicherheit von Neuland wird bei Google als Chance begriffen. Aus diesem Grund schaut Google auch nicht darauf, wo sie heute stehen und in zwanzig Jahren sein wollen. Viel relevanter ist für Google-CEO Eric Schmidt, wo die Welt - also die Nutzer und Kunden - in fünf Jahren sein werden, wie er im WIRED erklärt. Darauf wird alles Handeln von Google ausgerichtet. Für deutsche Unternehmen bedeutet dies, weniger den Bestand zu managen und viel stärker auf Intrapreneurship zu setzen. Dazu gehört, eine neue Fehlerkultur zu entwickeln, die fördert statt abzustrafen oder zu reglementieren.

Das Unternehmen als Netzwerk Gleichgesinnter entwickeln

Die Unternehmenskultur ist vielleicht der wichtigste Punkt, warum sich deutsche Unternehmen in der digitalen Welt so schwer tun. Es gibt noch zu viele Abteilungen, die als Content Silos gegeneinander arbeiten und hierachisch orientierte Führungskräfte, die "die da unten" kontrollieren. Hinzu kommt eine eingeschliffene 9-to-5-Arbeitskultur seitens der Belegschaft.

Modelle wie das Digital Innovation Model helfen digitalen Unternehmen, ihre Kunden zu verstehen und die Produkte an ihren Bedürfnissen auszurichten.
Modelle wie das Digital Innovation Model helfen digitalen Unternehmen, ihre Kunden zu verstehen und die Produkte an ihren Bedürfnissen auszurichten.
Foto: Stephan Preuss

Google setzt dagegen auf eine Netzwerkkultur und ein sorgenfreies Leben seiner Mitarbeiter. Von kostenlosem Essen und Ruhezonen über Parks und kreative Räume bis zum Abschließen von Versicherungen - es wird grundsätzlich versucht, den Mitarbeitern alltägliche Belange abzunehmen. Diese sollen sich dadurch voll und ganz und 24 Stunden am Tag auf ihre Arbeit bei Google konzentrieren. Das klingt in erster Linie äußerst vereinnahmend, erschafft jedoch genau die Grundbedingung für Googles Erfolg: ein Netzwerk-Unternehmen, in dem jeder Mitarbeiter hoch motiviert und auf Augenhöhe aktiv neue Ideen voranbringen kann. Bei Google gilt weniger eine Unternehmenskultur als eine Lösungskultur für die reale Welt dort draußen. Die Organisation als Ganzes wird "empowered", um maximale Ergebnisse zu liefern.

So radikal und sicherlich auch kostenintensiv muss ein Unternehmen noch nicht einmal seine Mitarbeiter zu binden versuchen. Wie der Film "Augenhöhe" zeigt, haben deutsche Firmen wie hppberlin, Jungfalk GmbH und Unilever Deutschland ebenfalls Wege gefunden, versteckte Energien in ihren Unternehmen zu entfesseln, indem sie ihren Mitarbeitern stets auf Augenhöhe begegnen.

Die Nutzer in den Mittelpunkt stellen

Bei vielen digitalen Innovationen geht es in erster Linie darum, die eigenen Probleme oder die des Unternehmens zu lösen. Es sind quasi "selfish solutions". Für den Nutzer sind diese Lösungen meist irrelevant. Dabei hilft auch nicht, sich ausschließlich auf Usability oder User Experience zu konzentrieren. Es geht darum, die Interessen der Nutzer und des Unternehmens zu verknüpfen. Und das beginnt damit, den erfolgversprechendsten Nutzer zu identifizieren und seine wahrgenommene Problemwelt zu verstehen. Löst man für den Nutzer ein relevantes Problem, lässt sich darauf basierend ein zwischen dem Nutzer und dem Unternehmen vermittelndes Geschäftsmodell aufbauen. Werkzeuge wie das Business Canvas oder The Digital Innovation Model können dabei helfen, die relevanten Erfolgsfaktoren zu identifizieren.

Google entwickelt keine Produkte sondern Instanzen. Diese existieren nur so lange, wie der Nutzer sie benötigt.
Google entwickelt keine Produkte sondern Instanzen. Diese existieren nur so lange, wie der Nutzer sie benötigt.
Foto: Stephan Preuss

Genau mit diesem Drang nach einer allgemeingültigen Lösung ging Google 1998 an den Start: Relevante Suchergebnisse in einer Zeit zu liefern, in der dies für die Nutzer immer schwieriger wurde. Das Geschäftsmodell hat sich dann mehr oder weniger beiläufig im Bereich der Werbeanzeigen ergeben. Dieses amerikanische Urvertrauen oder auch Urverständnis scheint in Deutschland abhanden gekommen zu sein. Google hat es damit geschafft, bei der Digitalisierung so nah wie möglich am Nutzer zu sein und einen Zielgruppenbesitz bis in den letzten Winkel aufzubauen. Die Suchmaschine und Android waren dabei erst der Anfang.