Tech and the City

Deutsche IT-Experten in England

London bietet IT-Managern beste Karrierechancen. Wer es richtig anstellt, kann in James Bonds Heimatstadt seine Deutschen-Karte clever ausspielen – vorausgesetzt er beherrscht zugleich die britischen Spielregeln zwischen Konferenzraum und Kneipe.

Alle zwei Jahre ein Arbeitgeberwechsel? T-Systems-Manager Daniel Giebel staunte nicht schlecht, als er die Lebensläufe seiner britischen Kollegen las. So viel Jobhopping kam dem Deutschen reichlich verdächtig vor. Er selbst hat 15 Jahre Konzerntreue bewiesen, sich bei T-Systems in Deutschland hochgearbeitet, bis er 2011 zum Vice President Delivery bei der britischen Firmentochter befördert wurde. Doch in London angekommen lernte er schnell, dass die Uhren rund um Big Ben anders ticken. "Jobhopping ist hier gang und gäbe", berichtet Giebel. "Der Arbeitsmarkt ist wesentlich dynamischer und flexibler als in Deutschland. Man verlässt sich nicht auf eine Entwicklung im Konzern, sondern strickt sich die Karriere selber."

London als Paradies für ITler - vor allem Deutsche

Gut so. Denn Jobchancen im Vereinigten Königreich gibt es zuhauf. "London ist für ITler ein europäisches Mekka", sagt Sven Petersen, Leiter der CIO-Praxisgruppe in UK bei der Personalberatung Egon Zehnder: "Durch die wachsende Startup- und Fintech-Szene und durch den digitalen Wandel der traditionellen Industrien hat sich die Stadt zu einem attraktiven Karrieresprungbrett entwickelt." Für multinationale Firmen aus den USA oder Asien gilt London zudem als erste Standortwahl in Europa. Gesucht wird in allen Bereichen: CIOs, CTOs, IT-Architekten, IT-Sicherheitsexperten, Data Manager. "Zudem fühlen sich viele Unternehmen in UK zu britisch und wollen sich kulturell diversifizieren. Das öffnet Inhabern anderer Nationalitäten die Türen", weiß Gavin Colman, Partner im Global Technology & Services-Team des Personalberaterhauses Heidrick & Struggles in London.

Gavin Colman, Heidrick Struggles: "Viele Unternehmen fühlen sich in UK zu britisch und wollen sich kulturell diversifizieren. Das öffnet Inhabern anderer Nationalitäten die Türen."
Gavin Colman, Heidrick Struggles: "Viele Unternehmen fühlen sich in UK zu britisch und wollen sich kulturell diversifizieren. Das öffnet Inhabern anderer Nationalitäten die Türen."
Foto: Heidrick Struggles

Deutsche sind an der Themse besonders willkommen. Vor allem wegen ihrer strukturierten Vorgehensweise, die dort hoch im Kurs steht. "Die deutsche Denkweise kann zum Beispiel wachsenden, jedoch leicht chaotischen Startups helfen, Unternehmensstrukturen zu etablieren", schlägt Colman vor.

Die Deutschen-Karte kann nur ausspielen, wer preußische Tugenden mit kultureller Flexibilität kombiniert. Georg Maikler nennt das "mit dem flow gehen". Der Potsdamer Informatiker arbeitet in London als Sales Executive bei der zu Microsoft gehörenden Kooperationsplattform Yammer. Deutsche Gründlichkeit und Verlässlichkeit seien hier sehr angesehen. "Aber um hier wirklich Erfolg zu haben, braucht man das Gegenteil von einer deutschen Beamtenmentalität", ist Maikler überzeugt. In London sei alles viel offener: Arbeitsstil, Arbeitsumfeld und die ganze Art zu denken. In seinem Team führt er 70 Leute aus aller Herren Länder: Amerikaner, Araber, Bulgaren, Inder. "Wer da nicht offen ist", so Maikler, "hat schon verloren".

Die Londoner Arbeitswelt tickt anders als die deutsche

Das gilt insbesondere auch für die transnationale Kommunikation, wie auch T-Systems-Manager Giebel gelernt hat. Sein Tipp: In Geschäftsgesprächen die Ohren spitzen! "Das Wichtigste wird hier oft zwischen den Zeilen erwähnt." Fällt etwa die Bemerkung "Very interesting", will der höfliche und Small-Talk-gestählte Brite damit nicht etwa sein Interesse zum Ausdruck bringen - sondern ganz im Gegenteil eher sein Missfallen oder gar sein Desinteresse (siehe "Anglo-EU Translation Guide").

Grundsätzlich gilt: Der Ärmelkanal trennt nicht nur Landmasse, sondern auch Gepflogenheiten und Umgangsformen. "Erst hier in London habe ich gemerkt, wie deutsch ich doch bin", sagt Giebel schmunzelnd. Auf der Insel werde wesentlich mehr diskutiert als bei uns, aber nicht unbedingt alles auch umgesetzt. "Dass bei Meetings etwa niemand wichtige Beschlüsse protokolliert, hat mich auf die Palme gebracht." In seinem Team hat er das nun geändert. Außerdem pocht er auf das tatsächliche Einhalten von Deadlines.

EU hin, Europa her: Das Leben im Ausland erfordert ein stetes Hinterfragen tradierter Gewohnheiten und ein Feinjustieren mit viel Fingerspitzengefühl. Wer in Großbritannien arbeitet, sollte ausführliche Planungen vergessen und starre Dienstwege verlassen. Stattdessen heißt es, Tempo und Agilität an den Tag zu legen. "In London vibriert das Arbeitsleben mehr als in Deutschland", sagt auch Mirko Brinker, Teamleiter Customer Experience (CX) Applications bei Oracle in der City. Vieles laufe auf Zuruf, ohne große Vorankündigungen. "Man muss schwer auf Zack sein, um mithalten zu können."

An Eigeninitiative und Offenheit für Neues hat Brinker früh bewiesen. Sein Elektrotechnik- und Informatikstudium hat er am Copenhagen University College of Engineering und am Imperial College London absolviert. Während des Studiums gründete er ein Beratungs-Startup, danach arbeitete er als Analyst, Kundenbetreuer und Projekt-Manager. Vom Arbeitsplatz London schwärmt er ("Um international arbeiten zu können, gibt es in ganz Europa keinen besseren Standort"). Dennoch muss er auch Abstriche machen. Etwa was das eigene Büro angeht, das in London eine Seltenheit ist. Hotdesking ist angesagt. Morgens sucht sich jeder Mitarbeiter einen freien Arbeitsplatz im Großraumbüro. Ein eigenes Büro müsste Brinker auf seiner Kostenstelle beantragen.

Am meisten vermisst der Deutsche eine firmeneigene Kantine. In England ist es Usus, mittags am Schreibtisch sein gekauftes Sandwich mit Chips zu mümmeln. Für Brinker ist das ein No-go, und er geht lieber mit ein paar Kollegen zum Lunch aus. Sein Fazit: "London ist zugleich spannend und anstrengend", so Brinker. "Wer hier zwei, drei Jahre Station macht, hat aber sicher genug Erfahrungen und Kontakte gesammelt, dass einer weiteren Karriere woanders nichts mehr im Wege steht."

Zunächst gilt es jedoch, hier bereits durchzustarten. Neben Tempo und Kreativität fordert Headhunter Petersen "Neugier und Agilität" und "wenn man den klaren Willen zeigt, zur neuen Organisation und zum neuen Land zu gehören".

Um das zu erreichen, rät er anglophilen ITlern, bei Bedarf ihren Lebenslauf zu pimpen. Ziel sollte es sein, potenziellen Arbeitgebern Ambition und Aufgeschlossenheit zu signalisieren. Sein Tipp: Wer zum Beispiel nicht alle drei Jahre den Arbeitgeber gewechselt hat, sollte seinen Werdegang anhand von Projekten darstellen. "Selbst wenn man vielleicht 15 Jahre bei ein und derselben Firma verbracht hat, kann man so zeigen, dass man in dieser Zeit tatsächlich mehrere Karrieren hingelegt hat", so Petersen.