Chance für den Mittelstand

Dem Mittelstand ins Internet verhelfen - das machen nicht nur über 1000 Provider in Deutschland mehr oder weniger professionell. Auch Ämter, Ministerien, die EU und jüngst auch die Bundesregierung ergreifen die Initiative. Doch die Subventionierung von Staats- oder Länderseite ist ein zweischneidiges Schwert: Denn sie bringt innovative kleine Internet-Dienstleister in Bedrängnis. Der Beitrag gibt einen Überblick über den Stand der Dinge.

Von: Claudia E. Petrik

Das Thema Mittelstand und Internet macht Schlagzeilen. Insbesondere wird ständig bejammert, daß nur ein Bruchteil der gut drei Millionen kleinen und mittleren Firmen (bis 500 Mitarbeiter) bisher das World Wide Web zu kommerziellen Zwecken nutzt (siehe auch Beitrag auf Seite 20). Doch ganz so düster sieht es nicht aus, wie eine Umfrage der Universität Marburg zeigt. Das Institut für Wirtschaftsinformatik befragte 100 deutsche Unternehmen (ab 10 Beschäftigte) beziehungsweise 60 Firmen (ab 500 Mitarbeiter) nach der Nutzung des Internet. Ergebnis: Derzeit sind zirka 38000 Unternehmen im Internet präsent. Diese Zahl soll sich bis Ende 1997 auf 107000 fast verdreifachen. Bei der Betrachtung nach Größenklassen zeigte sich, daß die großen Unternehmen führend sind, aber die mittelgroßen (20 bis 500 Beschäftigte) den kleineren Firmen (10 bis 19) hinterherhinken. Dabei geht die Initiative zum Einstieg in das Internet oft von der Geschäftsführung aus.

Dies ist auch dringend geboten, wie die Autoren der von Diebold und Bertelsmann Telemedia durchgeführten Studie "Business Digital" in ihrem Fazit schreiben. "Business Digital ist eine Managementaufgabe, der höchste Priorität eingeräumt werden muß und die nur begrenzt delegierbar ist", lautet die Botschaft von Axel Glanz (Diebold) und Jens Gutsche (Telemedia) an Führungskräfte in Wirtschaft und Verwaltungen. Die Marktforscher untersuchten in einer gemeinsamen Analyse detailliert die Multimedia-Aktivitäten von über 200 Unternehmen in verschiedenen Ländern. Sie kommen zu dem Ergebnis, daß der digitale Vertrieb die Unternehmen und Märkte verändern wird und die traditionellen Vertriebsformen bedroht.

Mittelstand richtig ansprechen

Die Triebfeder dafür ist das Internet. Zwar war 1996 der Warenumsatz über den digitalen Vertrieb in Deutschland mit 800 Millionen Mark noch unbedeutend. Doch soll sich dieser Wert bis 1998 auf 9,5 Milliarden steigern und bis zum Jahr 2000 auf 30 bis 50 Milliarden Mark wachsen. "Unternehmen, die diese Entwicklungen nicht aktiv mitgestalten, laufen Gefahr, existierende Vormachtstellungen zu verlieren", heißt es in der Zusammenfassung. Auf der anderen Seite böte der digitale Absatz besonders für kleinere und mittelständische Firmen sowie Neugründungen neue Chancen.

Sucht man nach Gründen für die bislang zaghafte Entscheidungsfreudigkeit der Mittelständler, dann wird man schnell fündig. "Der Mittelstand ist bisher von den meisten Providern falsch angesprochen worden", nennt Harald Summa, Geschäftsführer des ECO Forum e.V. (Electronic Commerce) in Bonn, eines der Hindernisse. Sein Vorwurf: "Sie sind zu technisch im Vokabular und gehen nicht auf die Bedürfnisse der Mittelständler ein." Summa zufolge fehlt in dieser Branche ein "Heinz Nixdorf", der das begreift und den Mittelstand in seiner Sprache anspricht.

Mit derartigen Kommunikationsproblemen zwischen Herstellern und Anwendern sah sich auch Professor Rudolf Haggenmüller konfrontiert, der das Projekt "Mittelstand ans Datennetz" des bayerischen Wirtschaftsministeriums koordinierte. Haggenmüller ist Geschäftsführer des 1993 von der Bayerischen Staatsregierung gegründeten Forschungsinstitutes für Angewandte Software-Technologie (FAST e.V.), das unter anderem Mittelständlern bei der Realisierung von Informations- und Kommunikationslösungen unterstützt. Das erwähnte Projekt wurde kürzlich in einer Abschlußveranstaltung in München präsentiert. Unter den Anwendungsbeispielen war eine interessante Internet-Lösung der Firma Burgmann aus Wolfratshausen. Sie besteht darin, daß der Hersteller von Spezialdichtungen seinen Mitarbeitern die Konstruktionsdatenbank per Internet an allen Orten der Welt zur Verfügung stellt und diese somit weniger reisen müssen.

Ganz ohne Anstoß der bayerischen Staatsregierung investiert das oberbayerische Unternehmen Convotherm (220 Mitarbeiter in Deutschland) mit Sitz in Eglfing rund 50000 Mark in seine Internet-Aktivitäten. Vorbildlich das Engagement des Geschäftsführers Werner Schwarzbäcker: "Er hat sich einen Tag lang intensiv mit dem Internet beschäftigt und dann strategisch entschieden, daß wir es nutzen, um die Kommunikation intern und mit den Kunden zu verbessern", freut sich DV-Leiter Arno Bachhofer. Mit einem Exportanteil von 65 Prozent und Partnern in 64 Ländern hat der Hersteller von Heißluftdämpfern für Großküchen das Problem, sich keine Auftragsabwicklung rund um die Uhr leisten zu können. Dies soll sich mit dem Internet ändern.

Weiter wird das Web dazu genutzt, Produktmanagement, Vertrieb und Technik neu zu orientieren. Vor allem soll der After-Sales-Service verbessert werden. Der Auftakt für die Online-Präsenz war im vergangenen Herbst die Exportkonferenz mit Fachhändlern aus bis zu 40 Ländern. In einer Blitzaktion baute der Internet-Presence-Provider "Oberland.Net" aus Penzberg kostenlos die Webseiten auf und half bei der Gestaltung der Präsentation. "Das war der ausschlaggebende Punkt, denn normalerweise ist ein Dienstleister vor Ort nicht so günstig wie ein großer Provider in München", begründet Bachhofer die Entscheidung für den regionalen Anbieter.

Berührungsängste abbauen

Ein anderes Beispiel für die Aktivitäten regionaler Betreiber ist die WWL GmbH mit Sitz in Nürnberg. Sie kooperiert mit fünf regionalen Partnern in Ober- und Mittelfranken sowie in der Oberpfalz (siehe auch Gateway 1/97, Seite 76 ff.: "Bereitstellung von Internet-Diensten" von A. Böttcher und K. Weiss). Einer der Kunden, die International Marketing Partner GmbH, rief im Herbst 1996 die Messe "Online im Park" ins Leben, die sich speziell an Entscheidungsträger aus dem Mittelstand wendet. Damals regional ausgerichtet, soll die Messe dieses Jahr doppelt so groß werden und 20000 Fachbesucher anziehen. Ziel von Geschäftsführer Klaus Derbe ist es, rein nutzenbezogen an den Mittelstand ranzugehen. "Die Ansprache muß verständlich und ohne Fachchinesisch sein, um Berührungsängste der häufig über 50jährigen abzubauen."

Von dem Internet-Boom möchte künftig auch der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) in Bonn profitieren. Er gründete hierzu eine IT-Tochter, die kleinen und mittleren Firmen preiswerte Dienstleistungen anbietet (siehe Kasten). Als Geschäftsführer holte sich der Verband Christian Wöhlbier, der seit Anfang 1996 an einer ähnlichen Initiative in der Schweiz mitgearbeitet hat. "Der deutsche Mittelstand ist in Gefahr, ins Hintertreffen zu geraten", so Wöhlbier. "Schon der einfachste Dienst, nämlich EMail, hat Vorteile, die um Faktoren höher liegen als herkömmliche Methoden." Für die Internet-Präsentation eines Unternehmens werden heute von mehreren 100000 Mark jährlich bis zu mittelstandsfreundlichen Beträgen von 1500 bis 2500 Mark bezahlt, weiß der gebürtige Schweizer. Ein gutes Produkt in der 2000-Mark-Klasse könne einen besseren Return of Investment bringen als eine 100000-Mark-Page.

Ein massiver Nachteil in Deutschland sind Wöhlbier zufolge die hohen Telekommunikationskosten. "Der von uns in Deutschland eruierte Durchschnittspreis für ein mittleres Angebot liegt bei ungefähr 3 Mark pro MByte Transfer", so Wöhlbier. In den USA betrage er zirka 0,05 Dollar (0,08 Mark). Scharfe Kritik äußerte der Chef der BVMW-IT auch an der in Deutschland praktizierten Subventionierungs- und Zuschußpolitik. "Damit wird versucht, durch Eingriffe des Staates wieder gutzumachen, was in anderen Ländern durch Marktwirtschaft und weitestgehende Liberalisierung des Telekommunikationssektors erreicht wurde." Wenn der Bund oder die Länder gratis Web-Platz für Firmenpräsentationen zur Verfügung stellten, machten sie mittelständischen Internet-Providern Konkurrenz.

Auch die Kölner Unternehmensberatung BBE, ein Ableger des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels, will ihren Kunden den Weg ins digitale Zeitalter ebnen. Die BBE baut derzeit einen elektronischen Marktplatz im Internet auf und hat 4000 mittelständische Händler eingeladen, sich dort mit ihren Angeboten niederzulassen (http://www.bbe-online.de). Zu erwähnen ist schließlich noch die Initiative des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT), der im Februar erstmals die 1. Anwendertage für den Mittelstand in Köln veranstaltete. Aufgrund der positiven Resonanz werden diese Aktivitäten in Zukunft verstärkt.

Anfragen: EMail: bmarenba@bonn.diht.ihk.de, Fax: 0228/104699.

(cep)