Billig kaufen statt teuer mieten

TK-Anlagen sind heutzutage dem technischen Verfall genauso ausgesetzt wie Personalcomputer. Dies spiegelt sich auch im Kaufverhalten der Anwender: Das attraktivste Preisangebot ist der ausschlaggebende Grund für die Wahl eines Anbieters. Was TK-Verantwortliche bei der Entscheidung für eine Nebenstellenanlage noch beachten sollten, erläutert der CTI-Spezialist Professor Günter-Ulrich Tolkiehn.

Von: Claudia E. Petrik

Gateway: Auf welche Punkte sollte ein Anwender besonders achten, der jetzt die Entscheidung für die Anschaffung einer neuen TK-Anlage treffen muß?

Günter-Ulrich Tolkiehn: Der Awendern sollte speziell auf den Preis achten. Es empfiehlt sich, mehrere Angebote einzuholen und mit den Herstellern zu verhandeln, dann lassen sich sehr gute Konditionen erzielen. Was den Funktionsumfang angeht, sind die heutigen TK-Anlagen in der Regel ausreichend. Die Auswahl ist sehr groß, und bei den bekannten Herstellern kann man gewöhnlich auch von guter Qualität ausgehen.

Gateway: Welche Schnittstellen müssen zu beschaffende Telefone und TK-Anlagen unbedingt bieten, um einem Anwender über die nächsten drei bis fünf Jahre Investitionssicherheit zu gewährleisten?

Tolkiehn: Eine TK-Anlage muß erlauben, an den Nebenstellen normal erhältliche ISDN-Geräte mit den Standardschnittstellen S0 und DSS1 zu betreiben, um bei der Wahl der Endgeräte wirklich unabhängig vom Hersteller zu sein. Vor allem, wenn man plant, irgendwann auch PCs oder integrierte Systeme zu verwenden. Weitaus wichtiger ist aber die Verkabelung und die Investitionen dafür, denn die TK-Anlage ist heute, ähnlich wie der PC, ein Produkt, das schnell veraltet. Wenn jemand eine neue Verkabelung braucht, sollte er mindestens UTP Kategorie 5 verwenden, um für Breitbandanwendungen gerüstet zu sein.

Gateway: Ist die Frage Miete oder Kauf einer TK-Anlage derzeit noch relevant? (Das Marktforschungsunternehmen Dataquest konstatiert seit drei Jahren einen Rückgang bei Miete, siehe Kasten.)

Tolkiehn: Sie haben recht. Das Thema Miete hat sich wegen der Schnellebigkeit der Technik im Grunde erledigt. Eine TK-Anlage sollte in vier Jahren abgeschrieben sein, weil der Anwender danach etwas anderes braucht. Bei einer Miete verlangen die Hersteller meist eine dreijährige Mindestlaufzeit, und darin sind noch nicht einmal technische Verbesserungen enthalten. Diese müssen extra bezahlt werden, und deswegen ist das für die meisten unattraktiv. Dazu kommt: Die Geschäftsprozesse ändern sich immer schneller und damit auch die Anforderungen an die TK-Technik. Also heißt die Devise: lieber billig kaufen als teuer mieten.

Gateway: Was können oder sollten Hersteller von TK-Anlagen und DV-Hersteller voneinander lernen?

Tolkiehn: Die TK-Anlagenhersteller müssen sich ernsthaft Gedanken machen über die Vorteile offener Systeme und über die Arbeitsteilung von Software und Hardware. Sie reden zwar darüber, aber sie tun nichts. Was in der DV-Industrie gang und gäbe ist, ist im Telefoniebereich völlig unüblich. Bisher hat die TK-Industrie noch gut verdient und war nicht darauf angewiesen, sich die Vorteile dieser Arbeitsteilung zu verschaffen. Offene Schnittstellen an der Hardware bieten die Möglichkeit, daß viele Softwarehersteller dafür Anwendungen programmieren können. Auch der Anwender würde profitieren, wenn er unterschiedliche interoperable Systemkomponenten auswählen könnte. Bisher war der Druck von Anwenderseite aber nicht groß genug, um die Hersteller zu aktivieren.

Die DV-Hersteller müssen vor allen Dingen lernen, daß sie die Benutzergewohnheiten und die Ansprüche von einer Milliarde Telefonbenutzern nicht einfach ignorieren können. Dazu gehört, daß die Benutzeroberfläche effizient und nicht etwa originell (das heißt, bei jedem Hersteller anders) gestaltet wird. Die Computertelefonie-Systeme müssen genauso zuverlässig und verfügbar sein wie heutige TK-Anlagen. Auch das Thema Gebühren haben die DV-Leute noch nicht ganz verstanden. Im LAN fallen keine Gebühren an, aber eine Weitverkehrsverbindung kostet fast immer Geld.

Gateway: Wie stehen aus Ihrer Sicht die Chancen dafür, daß der Sprachverkehr über IP-Netze (und damit die Kopplung von TK-Anlagen über IP-Netze) in Konkurrenz tritt zu Corporate Networks oder dem öffentlichen Telefonnetz?

Tolkiehn: Das Store-and-Forward-Verfahren von IP-Systemen ist für Sprachübertragung grundsätzlich ein Nachteil und in Corporate Networks weniger interessant. Inhouse bringt es eigentlich auch nicht, denn dafür gibt es andere Telefonietechniken. IP-Telefonie lohnt sich besonders, wenn ein Unternehmen entfernte Niederlassungen oder Geschäftspartner hat, am besten im Ausland. Wenn man sich hier für IP-Telefonie entscheidet, sollte man einen Provider wählen, der bestimmte Bandbreiten garantiert. Damit kann man erheblich Gebühren sparen, muß aber Einbußen in der Qualität und Verfügbarkeit in Kauf nehmen. Im Weitverkehrsbereich steht Internet-Telefonie also durchaus schon in Konkurrenz zur herkömmlichen Telefonie, aber im lokalen Bereich ist es bislang wirtschaftlich noch nicht so interessant.

Eine andere Möglichkeit ist, daß ein Unternehmen gänzlich auf computerintegrierte Telefonie umsteigen will, also ganz weg geht von TK-Anlagen. Die ersten Systeme kann man seit diesem Jahr in den USA kaufen, zum Beispiel von der Firma Netphone, die damit wohl viel Erfolg hat.

Gateway: In Ihrem Artikel über offene Systeme für Computer-Telefonie in Gateway 10/1996 schrieben Sie, daß Telefonie über LAN zur Zeit einiges Aufsehen errege. Wie ist hier der Stand der Dinge?

Tolkiehn: Es gibt momentan drei positive Faktoren zu diesem Thema. Das eine ist die massenhafte Verbreitung des Internet. Zweitens sind die entsprechende Sound-Technik und die Software für Internet-Telefonie überall erhältlich. Drittens sind die Ansprüche der Benutzer an die Qualität und Verfügbarkeit eines solchen Dienstes gesunken, übrigens wesentlich bedingt durch den Mobilfunk, bei dem die Qualität des Telefonierens auch nicht immer gleich ist. Jedes Unternehmen, das TCP/IP im Netz hat, kann intern oder extern Internet-Telefonie nutzen. Der Pferdefuß dabei ist, daß sie das Netzwerk verstopft, obwohl die Sprache komprimiert wird. Die Netzwerkverantwortlichen müssen sich also gut überlegen, was passiert, wenn die Mitarbeiter anfangen, über das IP-Netz zu telefonieren. Für eine massive Telefonnutzung sind die heutigen IP-Netze nicht ausgelegt.

Gateway: Zum Thema ATM als integriertes Sprach-Datennetz schrieben Sie damals, daß die Anwender darauf mangels standardisierter ATM-Features noch warten müssen. Wie lange noch?

Tolkiehn: Was leider überhaupt noch nicht funktioniert, ist der Selbstwählferndienst für ATM. Das heißt: Man kann keinen normalen Verbindungsaufbau von A nach B über ein öffentliches Netz machen. An den hierfür erforderlichen Standards wird innerhalb des ATM-Forums und in den Pilotprojekten noch gearbeitet. Aber auch die Interoperabilität der Systeme verschiedener Hersteller für Datenanwendungen läßt noch erheblich zu wünschen übrig. Meine Schätzung geht dahin, daß es noch ein paar Jahre dauert.