Besser streiten ohne Richter

Application-Serviceprovider (ASP) schnüren meist ein Servicepaket aus einer Vielzahl von Dienstleistungen. Sie müssen deshalb nicht nur den Kunden zufrieden stellen, sondern auch viele Zulieferer aufeinander abstimmen. Dies kann im Schadensfall erhebliche Probleme bereiten. Nach Ansicht der Rechtsanwälte Dr. Michael Scheffelt und Dr. Torsten Bettinger sind deshalb genaue vertragliche Regelungen und ein konsensorientiertes Schiedsverfahren unabdingbar.

Von: Dr. Thomas Hafen

NetworkWorld: Sie sind Spezialisten für IT-Recht. Was verstehen Sie unter Application-Serviceproviding (ASP)?

Dr. Michael Scheffelt: Der Begriff bezeichnet ein neues Outsourcing-Modell, dessen Kern die Fernnutzung von Software über TK-Netze ist. Im Regelfall stellt der Application-Serviceprovider die Softwarefunktionen auf der Basis einer Client-Server-Lösung über ein IP-Netz für die gemeinsame Nutzung durch mehrere Anwender bereit. Dies ist das so genannte "One-to-Many"-Prinzip".

Dr. Torsten Bettinger: Unabhängig davon, ob der Provider die Einzelleistungen selbst erbringt oder Subunternehmer beauftragt, ein solches Angebot enthält immer ein ganzes "Leistungsbündel". Die vertragliche Primärleistung ist zweifellos die Online-Nutzung von Software. Zusätzlich muss der Dienstleister die erforderliche Netzinfrastruktur sowie die entsprechenden Serverkapazitäten bereitstellen. Zu typischen Nebenleistungen gehören Updates, Systemintegration und Customizing sowie Hotline-/ Help-Desk-Services.

NetworkWorld: Das Modell unterscheidet sich also erheblich von typischen Dienstleistungen im Bereich IT-Services?

Scheffelt: Ja, wegen der unterschiedlichen Leistungsversprechen scheidet eine pauschale Zuordnung zu einem bestimmten Vertragstyp aus. Wie häufig bei der Kombination mehrerer Teilleistungen im Softwarebereich kommen verschiedene Vertragstypen vor, zum Beispiel Miet-, Dienst- oder Werkverträge.

NetworkWorld: Ist diese Komplexität mit ein Grund dafür, dass vor allem der deutsche Mittelstand das Modell nur sehr zögernd annimmt?

Scheffelt: Das mag eine Rolle spielen. Die Vertragsstrukturen sind vielfältig. Sie erfordern ein differenziertes System der Risikoverteilung, insbesondere dann, wenn ein Dienstleister gegenüber dem Endkunden als Generalunternehmer auftritt.

NetworkWorld: Sie unterscheiden in Ihrem Beitrag in der Zeitschrift "Computerrecht" zwischen drei Formen des ASP: "lightweight", "middleweight" und "heavyweight". Mit zunehmendem Gewicht wird dabei der Integrationsaufwand immer größer und die Zahl der Kunden pro Angebot immer kleiner. Wo sehen Sie die Grenze zwischen der höchsten Stufe und dem klassischen Outsourcing?

Bettinger: Wenn man den Begriff eng fasst, gehören so genannte "Heavyweight Applications", zum Beispiel ERP-Anwendungen (Enterprise Resource Planning), nicht mehr zum klassischen ASP-Modell. Sie erfordern einen erheblichen Anpassungs- und Integrationsaufwand und sind deshalb für ein "One-to-Many"-Modell nur beschränkt geeignet. Das wäre begrifflich dann eher als klassisches Outsourcing einzuordnen.

NetworkWorld: Welche Rechte hat ein Kunde in einem ASP-Vertrag und wie kann er sich am besten gegen Risiken absichern?

Scheffelt: Der Vertragsgegenstand muss so klar wie möglich definiert sein. Es ist besser, konkrete Ergebnisse festzulegen statt technische Einzelheiten wie Laufzeiten oder Bandbreiten. Die zu erbringende Leistung lässt sich beispielsweise in der Zahl berechneter Formulare oder ausgedruckter Seiten pro Tag, Woche oder Monat messen.

Ganz entscheidend für die Vergütung sind die Service Level Agreements (SLA), also Vereinbarungen über die Schnelligkeit, die Aktualität der Software, den Service, Wartungsfenster und Downzeiten.

NetworkWorld: Was geschieht, wenn der Anbieter die Service Levels nicht einhalten kann?

Bettinger: Dann hat der Kunde gegebenenfalls Anspruch auf Minderung, unter Umständen sogar auf Schadenersatz. Da der Schaden allerdings häufig schwierig zu beziffern ist, empfiehlt es sich, für diese Fälle Vertragsstrafen zu vereinbaren.

NetworkWorld: Wo liegen die größten Risiken für den Anbieter?

Bettinger: Im ASP-Geschäftsmodell bietet ein Provider häufig Leistungsbündel an, die er nur gemeinsam mit mehreren Zulieferern erbringen kann. Dafür muss es nicht notwendigerweise Kooperationsverträge zwischen General- und Subunternehmer geben. Neben einer Abstimmung der technischen Teilleistungen ist aber zumindest eine rechtliche Koordination der Vertragsbeziehungen in der Supply Chain erforderlich.

Scheffelt: Die Vertragsverhältnisse müssen auf jeden Fall aufeinander abgestimmt werden. Nur wenn der Provider die Teilleistungen einfordern kann, die er dem Endkunden vertraglich zusichert, ist garantiert, dass er seine Pflichten gegenüber dem Anwender erfüllen kann und dieser die vertraglich versprochene Leistung erhält.

NetworkWorld: Was kann der Anbieter tun, damit er nicht allein auf den Risiken sitzen bleibt?

Scheffelt: Die Haftungsregeln der Verträge zwischen ASP und Subunternehmer und zwischen ASP und Endkunde müssen angeglichen werden. Außerdem muss sichergestellt sein, dass die Haftung des Generalunternehmers nicht weiter reicht als seine Rückgriffsmöglichkeiten gegenüber den Zulieferern.

NetworkWorld: Greift denn zu-gunsten des ASP nicht die Haftungsbegrenzung aus dem Telekommunikations-Gesetz (TKG)? Diese beträgt ja nur rund 12 500 Euro.

Scheffelt: Die Haftungsbegrenzung gilt grundsätzlich, denn ein Teil der Leistung ist ja Telekommunikation. Voraussetzung ist aber, dass der Fehler tatsächlich im TK-Bereich liegt. Wenn die Software mangelhaft ist, hilft die Haftungsbeschränkung des TKG nicht.

NetworkWorld: Was geschieht, wenn sich die Beteiligten nicht über die Schadensregulierung einigen können?

Bettinger: Ist keine außergerichtliche Konfliktbewältigung zwischen den Parteien vereinbart, kommt es üblicherweise zu einem Prozess. Bei Streitigkeiten im Technologiebereich sprechen aber gute Gründe für so genannte "Alternative Streitbeilegungsformen" und schiedsgerichtliche Verfahren.

NetworkWorld: Warum sollte man denn nicht seine Ansprüche vor Gericht durchsetzen?

Bettinger: Zum einen dauern staatliche Gerichtsverfahren häufig sehr lange. Zum anderen werden die Beziehungen zwischen den Streitparteien in einem solchen Verfahren oft derart strapaziert, dass sie nach Abschluss des Prozesses nicht fortsetzungsfähig sind. Gerade bei langfristigen, auf Kooperation angelegten Projekten ist eine gerichtliche Konfliktaustragung daher vielfach destruktiv. Im Übrigen fehlt im Bereich der Informations- und Computertechnologie den Gerichten oftmals die erforderliche Sachkenntnis. Schiedsverfahren haben außerdem den großen Vorteil, dass sie nicht öffentlich sind.

NetworkWorld: Was sind die bes-ten Alternativen zum Gerichtsverfahren?

Scheffelt: Das sind Eskalationspläne, die auf einen außergerichtlichen Konsens hinzielen. Im Konfliktfall versuchen sich die Parteien zunächst auf technischer Ebene zu einigen. Schlägt dies fehl, treffen sich die Vorstände der Partner. Können auch diese keine Einigung erzielen, wird ein Schlichtungsverfahren unter Vermittlung eines Dritten angestrengt. Erst wenn auch dieser Versuch misslingt, wird die Sache zur endgültigen Entscheidung an ein Schiedsgericht gegeben.