Die neuen Fesseln der Wissensarbeiter

Arbeit ohne festen Arbeitsplatz

Im Wettbewerb von morgen zählen gute Ideen und kreative Köpfe. Beide können sich in hierarchisch organisierten Firmen wenig entfalten, sagt der Informatiker und Arbeitswissenschaftler Ulrich Klotz. Lernen könnten Unternehmen dagegen von Open-Source-Communities.

Wie wird das Internet unsere Arbeitswelt weiter verändern?

KLOTZ: Ohne die Bindung an Ort und Zeit werden viele Arbeiten zu einer Ware, die weltweit gehandelt werden kann. Was wir heute als Outsourcing, Offshoring oder allgemeiner als „Globalisierung“ kennen, sind erst die Anfänge neuer Formen grenzenloser Arbeitsteilung, denn das Netz ermöglicht auch vollkommen neuartige Unternehmensmodelle.

Was meinen Sie mit grenzenloser Arbeitsteilung?

KlOTZ: Ein Beispiel: Ein globaler IT-Konzern plant eine „Verflüssigung“ seiner Arbeitsstrukturen durch weitgehenden Verzicht auf fest angestellte Mitarbeiter. Künftig sollen Projekte in kleine Arbeitspakete zerlegt und diese via Internet weltweit ausgeschrieben werden. Um diese Minijobs kann sich jeder bewerben, auch die ehemaligen Angestellten. Die weltweit verstreuten Auftragnehmer kooperieren dann über das Internet in „Talent Clouds“.

Der Informatiker und Arbeitswissenschaftler Ulrich Klotz befasst sich seit Jahrzehnten mit der Zukunft der Arbeit.
Der Informatiker und Arbeitswissenschaftler Ulrich Klotz befasst sich seit Jahrzehnten mit der Zukunft der Arbeit.
Foto: privat

Bei dieser Art von Crowdsourcing verschwindet nicht die Arbeit, aber der feste Arbeitsplatz. Sozialpartnerschaftliche Modelle und nationalstaatliche Einwirkungsmöglichkeiten, etwa beim Arbeitsrecht, werden durch die Spielregeln privater Konzerne ersetzt. Ob das so funktionieren wird, sei dahingestellt. Auf jeden Fall sollten wir solche Entwicklungen aufmerksam beobachten. Es ist klüger, sich beizeiten mit der Konstruktion von Brunnen zu befassen, als hinterher über die hineingefallenen Kinder zu jammern.

Arbeit ohne Arbeitsplatz – ist das die Zukunft?

KLOTZ: Wir befinden uns in einer Übergangsphase, in der verschiedene Arbeitsformen und unterschiedliche Kulturen von Arbeit nebeneinander existieren. Die Situation ist ähnlich wie zu Beginn der Industrialisierung: Damals ließen neue Techniken wie Dampfmaschine, Eisenbahn oder später das Fließband allmählich das entstehen, was wir heute als Arbeit kennen – mit allem, was dazugehört: Arbeitsplatz, Arbeitszeit, Arbeitsort, Ausbildungs- und Entlohnungsformen.

Nun ist alles wieder auf Anfang?

Seit dem Aufkommen der Computer in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts wird Arbeit wieder neu definiert: Immer mehr Menschen können überall und jederzeit arbeiten, dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit, zwischen Arbeits- und Wohnort, zwischen Arbeit und Lernen, zwischen Abhängigkeit und Selbständigkeit, zwischen Produzenten und Konsumenten. Arbeit bezeichnet wieder das, was man tut, und nicht das, wohin man geht. Die Arbeitswelt wird vielfältiger, die Ausnahmen werden zur Regel, das Normalarbeitsverhältnis und die Normalbiografie sind auf dem Rückzug.

Wie bewerten Sie das Verschwinden klassischer Arbeitsverhältnisse?

KLOTZ: Das alles ist zwiespältig. Die aus bürokratischen Unternehmenszwängen gegen ihren Willen Entlassenen werden oft zu Wander-Wissensarbeitern, denen Fesseln neuer Freiheiten umgelegt werden: ein Höchstmaß an Eigenverantwortung und Selbstorganisation kombiniert mit minimalen Absicherungen und Planbarkeiten.

Inwieweit werden Computer menschliche Arbeit übernehmen?

KLOTZ: Früher war vor allem in Gewerkschaftskreisen die Meinung verbreitet, dass diese Maschine – man sprach ja vom „Elektronengehirn“ – uns das Denken abnimmt. Das Gegenteil ist der Fall. Der Computer übernimmt Routinetätigkeiten, das Vorhersehbare: alles, was planbar, regelhaft und programmierbar ist. Menschen werden noch für die Bewältigung von Ausnahmesituationen gebraucht. Hierzu zählen viele Arbeiten, die gar nicht so einfach sind, wie es auf den ersten Blick scheint – zum Beispiel im Haushalt, im Gesundheitssektor oder in der Pflege. Hingegen werden wir sehen, dass aufgrund der rapiden Fortschritte beim automatischen Verstehen menschlicher Sprache zahllose routinehafte Tätigkeiten, etwa in Call-Centern, Banken, Versicherungen oder Anwaltskanzleien, unter die Räder kommen.

Welche Arbeit bleibt den Menschen?

KLOTZ: Was immer hier oder dort an menschlicher Arbeit übrig bleibt, wird intellektuell anspruchsvoller, erfordert eine immer bessere Ausbildung und permanente Weiterbildung. Dies auch, weil infolge der Informatisierung die Informationsmenge exponentiell anwächst. Diese gigantische Lawine an Informationen und neuem Wissen kann man nur durch stärkere Spezialisierung bewältigen.
Für diese Spezialisten hat der Management-Papst Peter Drucker vor gut 50 Jahren den Begriff Wissensarbeiter geprägt. Ein Wissensarbeiter ist jemand, der mehr über seine Arbeit weiß als jeder andere im Unternehmen. Bei uns sind inzwischen die Mehrzahl der Menschen Wissensarbeiter, wir finden sie heute überall, egal ob im Blau- oder Weißkittel.