Alles in Kupfer

Eines ist sicher: Die DSL-Techniken sind im Kommen. Nur welche, das ist die Frage. Denn mit HDSL, ADSL, SDSL und VDSL mit ihren jeweiligen Feinheiten tummeln sich eine Menge Varianten auf dem Markt. Die beteiligten Unternehmen sind immerhin schon so weit, daß sie mit Kooperationen beginnen.

Von: Nadine Berezak-Lazarus

Nachdem Pionierunternehmen wie zum Beispiel Globespan und Amati ihre Produkte den Netzbetreibern vorgestellt haben, treten weitere Teilnehmer in die Fußstapfen der Vordenker. Beide Unternehmen stehen für verschiedene Modulationstechniken: Globespan für CAP (Carrier-less Amplitude/Phase Modulation) und Amati für DMT (Discrete Multi-Tone). Die Zahl der Hersteller wächst ständig; mit ihnen entwickeln sich die xDSL-Lösungen zur Marktreife, so daß bereits heute erste kommerzielle xDSL-Dienste in Kanada oder Singapur angeboten werden.

Zuerst waren es nur die US-amerikanischen Hersteller, die xDSL-Produkte in Labortests und in zumeist kleineren Projekten einzelner Netzbetreiber einsetzten. Grund für das Engagement der US-Carrier ist die Liberalisierung des nordamerikanischen Telekommunikationsmarktes, die eine Fokussierung auf Geschäfts- und Privatkunden verstärkt hat.

Die Erkenntnis, daß die xDSL-Technik auch für die europäischen Netzbetreiber nach der Liberalisierung des europäischen Marktes ein Erfolgsfaktor sein wird, veranlaßte die Netzbetreiber und weitere Produzenten, in den Markt einzutreten. Auch die Nachfrage nach breitbandigen Diensten, insbesondere die Entwicklung des Internets, trieb die Entwicklung von DSL-Produkten voran.

Mittlerweile sind Dutzende von Unternehmen auf den xDSL-Zug aufgesprungen und bieten Lösungen für HDSL, SDSL, ADSL und VDSL an, die jede für sich bestimmte Marktsegmente ansprechen.

HDSL im Backbone-Bereich

"High Data Rate Digital Subscriber Line" ist die älteste xDSL-Technik, die bereits von vielen Netzbetreibern eingesetzt wird. Die Anwendungsmöglichkeiten der HDSL-Technik beschränken sich jedoch auf Datendienste und den Bereich Campus-LAN. Eine Integration der analogen Telefonie (POTS) ist nicht vorgesehen, so daß Datenübertragung und Telefonie über denselben Anschluß nicht funktioniert.

Da jedoch HDSL um ein vielfaches effizienter ist als das alte auf dem AMI-Code-basierende (Alternate Mark Inversion) System für T1/E1-Dienste (1,5 beziehungsweise 2 MBit/s), wird die Technik in erster Linie für den Anschluß von Geschäftskunden genutzt. Hersteller wie Pairgain Technologies aus den USA bieten marktreife Produkte für die Netzbetreiber an. Auch in Deutschland sind verschiedene Hersteller auf dem Markt präsent. So setzt ke-Kommunikations Elektronik aus Hannover auf HDSL als Alternative zu Glasfasernetzen. Als weitere deutsche Unternehmen sind Quante und Siemens aktiv. Auch die Deutsche Telekom hat den Einsatz von HDSL-Systemen bereits ins Auge gefaßt.

Wettbewerb für ISDN

"Single Line DSL" als abgespeckte HDSL-Version wird seit vorigem Jahr vor allem in den USA vom Marktführer Pairgain im Wettbewerb zu ISDN vermarktet. SDSL hat gegenüber HDSL den Vorteil, daß auch Privatkunden angeschlossen werden können und Telefonie integrierbar ist. Allerdings ist SDSL noch nicht standardisiert und von der Datenübertragungsrate zunächst begrenzt. Vor allem Ericsson treibt die Entwicklung von SDSL-Systemen in Europa voran und stellt entsprechende Netzwerklösungen bereit. Ericsson hat ein Rate-Adaptive-SDSL-System angekündigt ("Cobra Web"), das eine Übertragungsrate von 768 kBit/s in beide Richtungen (Upstream und Downstream) ermöglicht und gleichzeitig einen Kanal für POTS/ISDN offenhält. Rate Adaptivity ist die Anpassung der Datenraten an die Anwendung und an die Leitungsqualitäten.

SDSL kann einerseits als Ersatz für ISDN in Ländern mit geringer ISDN-Verbreitung genutzt werden, andererseits dient es als Zwischenlösung, bis ADSL im Markt zur Verfügung steht. Aufgrund des Entwicklungsstadiums von ISDN, welches in Europa im Gegensatz zu USA weiter fortgeschritten ist, sinken die Marktchancen dementsprechend für SDSL in Europa.

Optimiert fürs Internet: ADSL

Vor allem die ADSL-Technik, die asymmetrische Dienste anbietet (Hinkanal größer als Rückkanal), bietet sich für den Massenmarkt an, der sowohl Geschäftskunden wie KMU (kleine und mittelständische Unternehmen) oder SOHOs (Small Office Home Office) als auch den Privatkunden umfaßt. In Verbindung mit der explosionsartigen Entwicklung des Internet als dem asymmetrischen Dienst schlechthin sind hier Unternehmen und Privatkunden mit hohem Informationsbedarf potentielle Kunden.

Auf dem ADSL-Markt sind mittlerweile alle großen Telekommunikationshersteller, wie Siemens, Ericsson und Alcatel, vertreten. Hinzu kommt eine große Zahl kleinerer Unternehmen. So spielen Amati, Orckit, Aware und viele andere eine bedeutende Rolle bei der Weiterentwicklung von ADSL. Siemens ist einer der wenigen europäischen Hersteller, der sich offen zu ADSL bekennt. Auch kleine und mittelständische Firmen wie Presence Technology werden im nächsten Jahr in den ADSL-Markt eintreten.

Die US-amerikanischen Netzbetreiber als Vorreiter bei xDSL haben die Hersteller stark beeinflußt und finden ihre Anforderungen von den Herstellern größtenteils erfüllt. In den USA ist vor allem die Integration der analogen Telefonie (POTS) und seit kurzem auch die Entwicklung hin zu ATM-Netzen von Bedeutung. In den USA wird es in den nächsten 18 Monaten eine ganze Reihe von Netzbetreibern geben, die ADSL als schnell realisierbare und kostengünstige Alternative zu herkömmlichen Breitbandtechniken implementieren werden. Bell Atlantic, Bell South, Ameritech und GTE greifen dabei auf Erfahrungen zurück, die sie während der letzten Monate in ihren Pilotversuchen und Projekten gesammelt haben.

Aus technischer Sicht läßt sich die Entwicklung des Marktes mit der Diskussion um das genutzte Modulationsverfahren charakterisieren. Während das in Stanford entwickelte DMT-Modulationsverfahren bereits von ANSI und ETSI als Standard für ADSL festgelegt wurde, ist die Alternative CAP - vom AT&T-Ableger Paradyne entwickelt - noch nicht standardisiert. Die Industrie teilt sich entsprechend in zwei Lager, die die Vor- und Nachteile des jeweiligen Modulationscodes diskutieren. In den bisher weltweit durchgeführten Pilotversuchen haben beide gute Ergebnisse gezeigt. Der Trend geht jedoch hin zu DMT, da Hersteller wie Siemens auf diesem Standard aufsetzen. Andere Anbieter unterstützen beide Modulationsverfahren, wie zum Beispiel das amerikanische Unternehmen Westell, das lange Zeit nur CAP-basierte Produkte herstellte und in den letzten Monaten DMT integrierte.

Europas Netzbetreiber haben geschlafen

Die europäischen Netzbetreiber sind bis auf einige Ausnahmen relativ spät in die ADSL-Technik eingestiegen. Zudem sind in Europa weitere Mindestanforderungen gegeben, denn hier spielt im Gegensatz zu den USA neben der analogen Telefonie vor allem ISDN eine bedeutende Rolle. Ferner ist ATM bis zum Kunden in Zukunft ein wichtiger Faktor für die effiziente Nutzung der Telekommunikationsnetze.

ISDN war bei der Entwicklung von xDSL durch die Fokussierung auf Nordamerika völlig außer Acht gelassen worden. Erst im vergangenen Jahr wurde diese Problematik stärker diskutiert. xDSL wird sich in den USA zu einem Konkurrenten von ISDN entwickeln; in Europa gilt DSL dagegen als Weiterentwicklung von ISDN. Darüber hinaus streben die Europäer die Integration von ISDN an, was einen logischen Schritt in der Weiterentwicklung der Telekommunikations-Netze darstellt. Die Hersteller sind mittlerweile auf diesen Kurs eingeschwenkt und entwickeln Systeme, die solchen Anforderungen entsprechen.

Strategische Partnerschaften ordnen den Markt

Die Integration von ISDN ist besonders für den deutschen Markt von Bedeutung. Dieser weist jedoch einige technische Besonderheiten auf. Während international ISDN mit dem 2B1Q-Modulationsverfahren (auch Leitungskodierverfahren genannt: zwei Bitworte, ein quarternäres Symbol) realisiert wird, ist in Deutschland das 4B3T-Verfahren (Verfahren zur blockweisen Ternärcodierung von Binärsignalen, bei dem jeweils vier Binärelemente durch drei Ternärelemente dargestellt werden) eingeführt worden, das einen höheren Frequenzbereich belegt. Auf die internationalen Normen abgestimmte ADSL-ISDN-Lösungen eignen sich daher noch nicht für den deutschen Markt.

Siemens hat für Anfang 1998 ein DSL-System angekündigt, das den deutschen Anforderungen entspricht und ebnet hiermit den Weg zur Integration dieser Technik in die öffentlichen Netze. Im ADSL-Markt zeigt sich ein Trend zu strategischen Allianzen einzelner Hersteller mit dem Ziel, gemeinsame Plattformen für die Weiterentwicklung der xDSL-Technik zu schaffen und neue Standards zu definieren (Westell/Nortel, Fujitsu/Orckit, Aware/DSC). Darüber hinaus werden xDSL-Produktkomponenten, wie Transceiver, Chipsets, Router und Switches verschiedener Hersteller miteinander kombiniert, um Komplettlösungen anzubieten. Diese Strategie verfolgten auch die Netzbetreiber während der Pilotprojekte. So ging auch Siemens mit Amati eine strategische Kooperation ein, um die Weiterentwicklung von ADSL voranzutreiben. Ziel ist es, eine Übertragungsgeschwindigkeit von 8 MBit/s mit ATM-Kompatibilität zu kombinieren.

Integration von ATM in ADSL-Technik

ATM (Asynchronous Transfer Mode) ist tatsächlich ein weiterer wichtiger Faktor, den es bei ADSL-Produkten zu berücksichtigen gilt. ATM gilt als zukunftssichere Übertragungstechnik, die nicht nur in den Backbones eingesetzt wird, sondern auch als Basis für ein durchgängiges Netz bis zu den Teilnehmern dienen soll. Die Industrie hat sich darauf eingestellt, ATM in die ADSL-Technologien zu integrieren. Derzeit werden mehrere ADSL-ATM-Modems auf dem Markt angeboten, jedoch bleibt das 4B3T-ISDN-Modulationsverfahren weiterhin unberücksichtigt. Alcatel hat als erstes europäisches Unternehmen ein ATM-fähiges ADSL-Modem produziert, wobei dieses (laut Netzbetreibern) noch nicht standardkonform ist. Die Siemens AG präsentierte ihrerseits ihr ATM-integriertes "Xpresslink D". Mit dem verstärkten Ausbau der ATM-Netze der traditionellen europäischen Netzbetreiber und der Entwicklung hin zu multimedialen Anwendungen und Inhalten für Privat- und Geschäftskunden, kann die Siemens-Lösung (Integration von ISDN und ATM in ADSL) als erste erfolgversprechende Einbindung der DSL-Techniken in bestehende europäische Netze verstanden werden.

VDSL als Hoffnungsträger

In Zukunft wird auch VDSL (Very High Data Rate DSL) eine zunehmend wichtigere Rolle spielen. Doch sind bislang nur einige Unternehmen wie Orckit aus Israel, Broadband Technologies aus den USA und Siemens mit ersten Prototypen auf dem Markt.

Die wachsende Bedeutung von xDSL spiegelt sich in der Ausweitung der Pilotprojekte europäischer Netzbetreiber wider. Während erste Projekte sich nur auf bestimmte Inhalte erstreckten, verfolgen sie heute das Ziel, den gesamten Bandbreitenbedarf inhaltlich abzudecken. Die Resultate der Feldversuche zeigen, daß sich die xDSL-Technik für den Massenmarkt eignet. Die Umsetzung der Ergebnisse wird erstmals in Deutschland im Rahmen eines ADSL-Anwendungsprojektes in Nordrhein-Westfalen erfolgen. Erste Prognosen besagen, daß die Kosten für eine xDSL-Anbindung nach dem Jahrtausendwechsel drastisch sinken werden. Grund für diesen Preisrückgang ist der bereits jetzt stark zunehmende Angebotsdruck der Hersteller auf dem US-amerikanischen Markt.

Erst die jüngsten Ergebnisse der Pilotprojekte und die Erkenntnis, daß xDSL ein zukunftsträchtiger Markt ist, veranlaßt die deutsche Industrie, Lösungen zu konzipieren, die den Anforderungen der Telekom gerecht werden. In diesem Zusammenhang spielt Siemens eine wichtige Vorreiterrolle, die bereits eine ADSL-Komplettlösung für dieses Jahr angekündigt hat.

Parallel zum Engagement der deutschen Industrie und der Entwicklung der DSL-Technik zeichnet sich eine Preissenkung der xDSL-Produkte ab - ein Trend, der die schnelle Erschließung des deutschen Massenmarktes zusätzlich begünstigen wird.

(hjs)