Wettlauf im Local Loop

Die Gangart in der Stadtnetzbetreiber-Szene wird zunehmend härter. Aufgewühlt durch den Preiskampf mit der Telekom und den Wettbewerb untereinander suchen die Citycarrier ihr Wohl in Allianzen.

Von: Konrad Buck

Rund 120 Citycarrier tummeln sich derzeit in der hiesigen Telekommunikationsszene. Mit eigener Infrastruktur versuchen sie, der Deutschen Telekom AG (DTAG) Kunden in den dichtbesiedelten Ballungszentren abzujagen. Denn geschätzte 80 Prozent des Umsatzes von 46 Milliarden Mark im Bereich Sprachtelefonie werden in den Städten erwirtschaftet.

Doch die Sache hat einen entscheidenden Haken: Der Teilnehmeranschluß, die Strecke zwischen den relativ einfach zu verlegenden Fernleitungen und den aufwendig zu realisierenden Kabeln in die Haushalte, ist nach wie vor Monopolgebiet der Telekom. Politisch gewollt, muß der Ex-Monopolist die hierzulande zirka 40 Millionen Endkundenanschlüsse und dabei vor allem die strukturschwachen Gebiete versorgen - oder andersherum: darf der Ex-Monopolist die Teilnehmeranschlußleitung (TAL) kontrollieren und die Preise bestimmen. Gegenwärtig liegen nach Erkenntnissen des TK-Experten Professor Torsten J. Gerpott immer noch gut 98 Prozent der Telefonanschlüsse in Deutschland in den Händen der DTAG.

Weil die Telekom mit ihren Pfunden wuchert, sind seitens der Citycarrier Konzepte dafür gefragt, wie der Weg zwischen Netzzugang und Preiskampf zu gehen ist. Neben diesen telekommunikativen Hürden müssen die städtischen Netzbetreiber mit weiteren Schwierigkeiten fertig werden: Zum einen den international tätigen und durch mächtige Fondsgesellschaften gestützten Carriern wie MCI Worldcom oder Colt Telecom, zum anderen den hiesigen bundesweiten Anbietern, die jetzt auch das Ortsnetz als Wachstumspfad beschreiten wollen. Jüngster Coup von Arcor-Geschäftsführer Harald Stöber: der Erwerb einer 64,9 Prozent-Beteiligung an der Düsseldorfer Isis Multimedia Net GmbH (siehe Beitrag S. 24).

Ende September will der rot-blaue Telefonanbieter in zehn Städten gegen die DTAG im Ortsnetz antreten. Dazu hat das Unternehmen 540 Hauptverteiler der Telekom mit eigener Technik ausgerüstet. Die Ortsnetzofferte soll im nächsten Jahr auf 30 weitere Städte ausgedehnt werden. Im Unterschied zu anderen Carriern verbindet das Unternehmen komplette Ortsnetze mit der eigenen Infrastruktur. Den Erfolg (oder Mißerfolg) des ADSL-Projektes der Telekom (Asynchronous Digital Subscriber Line), die auf dem herkömmlichen Kupferkabel deutlich höhere Bandbreiten ermöglicht, will die Mannesmann-Tochter erst einmal abwarten - macht aber dennoch in diesem Bereich erste Gehversuche.

Deutlicher bekennt sich der Münchner Stadtnetzbetreiber M-Net zur schnelleren Übertragungstechnik. In zwei Orstvermittlungsstellen (OVST) der Isarmetropole baut der Anbieter eigene ADSL-Technik zu Testzwekken auf und errichtet hierzu private Strecken in SDH-Technik. Außerdem installiert M-Net in den OVSTs der Telekom eigene Technik, um Kunden per Interconnect anschließen zu können. Der Start des Sprachdienstes im Ortsnetz ist nach Angaben von Pressesprecher Ralf Straßberger im November dieses Jahres geplant. Bis dato sind die ersten 30 von 56 OVSTs im Stadt- und 76 im Vorwahlgebiet erschlossen. Ab Herbst sollen dann ISDN-Anschlüsse, der Internet-Zugang und ADSL fertig sein.

Wie auch immer die Infrastrukturen der jeweiligen TK-Anbieter beschaffen sind: Alle knabbern an der letzten Meile. So läßt auch Hansenet-Chef Karl-Heinz Mäver alle alternativen Netzzugänge wie die Anbindung über Richtfunk, Kooperationen mit großen Service-Providern oder aber per Powerline prüfen. Mit dem Zugang über Stromkabel versprechen sich vor allem die Energieversorgungsunternehmen neue Wachstumsfelder, weil das Netz bis in alle Haushalte führt. Die entsprechende Technik ist jedoch gegenwärtig nur in Form teurer Labormuster verfügbar.

Sobald Powerline die Marktreife erlangt hat, wird auch Hansenet diese Alternative anbieten. Bis dahin müssen die herkömmlichen Verbindungen herhalten. Auf diesen machten die Hamburger im ersten Halbjahr dieses Jahres einen Umsatz von 14 Millionen Mark. Der Stadtnetzbetreiber hat derzeit rund 8000 Privatkunden im Preselection-Bereich und 1600 Geschäftskunden auf seinen 259 Kilometern Glasfaserkabeln. Wenig Chancen sehen Mäver und seine Regionet-Mitstreiter dagegen in dem Vorhaben, eine UMTS-Lizenz zu erhalten, um über diesen Weg einerseits die letzte Meile via Festnetz-/Mobilfunkkombination elegant zu umgehen oder um wenigstens dieses lukrative Marktsegment ebenfalls bedienen zu können.

Oberregulierer Klaus-Dieter Scheurle hatte den Citycarriern auf der letzten Handelsblatt-Konferenz "Telekommarkt Europa" (siehe Beitrag Seite 28) zwar in Aussicht gestellt, zu prüfen, ob neben den Big Playern die regionalen Anbieter besonders berücksichtigt werden könnten. Doch eine Entscheidung ist nach den Worten des Sprechers der Regulierungsbehörde (RegTP), Rudolf Boll, nach wie vor nicht gefallen. Außerdem sieht es gegenwärtig eher so aus, daß die kleineren Anbieter an der für Anfang nächsten Jahres geplanten Versteigerung und den enorm hohen Mindestgeboten nicht mitbieten werden können.

Um einen Sonderstatus bei dem Vergabeprozedere zu erhalten, argumentieren die Citycarrier auf der Europa-Schiene. Der EU-Markt entwickle sich von einer nationalstaatlichen Struktur zu einem Europa der Regionen. Daher sei die Beschränkung auf Staatsgrenzen bei der Vergabe von UMTS-Lizenzen überholt, meint ISIS-Geschäftsführer Horst Schäfers und gibt in Richtung Regulierer zu bedenken: "Ein UMTS-Lizenznehmer beispielsweise für die Region Nordrhein-Westfalen würde bei einer Einwohnerzahl von etwa 18 Millionen mehr Kunden versorgen können als ein landesweit aktiver niederländischer Betreiber.

Die in der AG Regionet zusammengeschlossenen Unternehmen Isis, Netcologne, EWE Tel, Hansenet, Tesion und VEW Telnet plädieren daher bei der Regulierungsbehörde für eine Ausschreibung und gegen eine Versteigerung beim UMTS-Lizenzvergabeverfahren. Naturgemäß kämen bei einer Versteigerung die Mobilfunkbetreiber eher zum Zuge als die innovativen Newcomer.

Um ihrer Stimme mehr Gewicht zu verleihen und um Synergien im technischen, wirtschaftlichen und politischen Bereich zu erreichen, haben die sechs Regionet-Gesellschaften zum ersten September ihre Netze zusammengeschaltet. Mit dieser Kooperation ist in Deutschland das größte zusammenhängende Netz von Teilnehmeranschlüssen neben dem der DTAG entstanden. Regionet betreibt eigenen Angaben zufolge rund 90 Prozent aller Teilnehmeranschlüsse der neuen Carrier.

Das Kabelnetz ruft

Parallel zum Mobilfunkweg wollen sich die Stadtnetzbetreiber auch auf anderen Gebieten Alleinstellungsmerkmale und damit Kunden verschaffen. Gemeinsam mit der Deutsche-Bank-Tochter DB Investor und der West LB haben sich Isis, Netcologne und VEW Telnet um eine der neun regionalen Betreibergesellschaften für das Telekom-Breitbandkabel beworben: das einwohnerstarke NRW-Stück. Damit hoffen sie, dem magentafarbenen Riesen im Ortsnetz Paroli bieten zu können. Zwar muß das Kabel erst noch aufwendig rückkanalfähig gemacht werden. Dann aber ist es eine Art eierlegende Wollmilchsau: in jedem Haushalt vorhanden und gleichzeitig mit hoher Bandbreite beschaltbar.

Angestammtes Terrain

Der Wettbewerb spitzt sich darüber hinaus noch in einem anderen, bisher wenig beachteten Bereich zu: dem Ortszugang per Richtfunk. An dem Ausschreibungsverfahren für die Anbindung von Teilnehmeranschlüssen mittels Punkt-zu-Mehrpunkt-Richtfunk haben 32 Interessenten teilgenommen. Insgesamt hatte die RegTP bundesweit in 262 Versorgungsbereichen 662 Frequenznutzungen im Bereich 3410 bis 3580 MHz und im 26 GHz-Bereich ausgeschrieben. Zwölf Aspiranten waren erfolgreich: Star One steht mit 274 Lizenzen an der Spitze, gefolgt von Viag Interkom mit 193 und Mannesmann Arcor mit 162.

Der Suche nach dem richtigen Technikmix stehen die internationalen Citycarrier gelassen gegenüber. Ihre Rechnung, die sie nur mit den Geschäftskunden machen, geht allemal auf. Colt Telecom aus Frankfurt/Main, in Deutschland seit Herbst 1995 aktiv, erzielte im ersten Halbjahr 1999 einen Umsatz von 159,3 Millionen Mark. Das Unternehmen sieht sich aufgrund seines bundesweiten Telefonangebots und der europäischen Ausrichtung nicht mehr als reiner Citycarrier, sondern wird allgemein als europäischer Anbieter eingestuft.

Derzeit betreibt Colt Citynetze in Berlin, Frankfurt/Main, Hamburg, München, Stuttgart, Köln und Düsseldorf sowie in elf weiteren Städten in Europa. Bis Ende 2000 ist die Präsenz in 26 europäischen Metropolen geplant. Alle europäischen Stadtnetze werden derzeit über ein eigenes Glasfasernetz miteinander verbunden. Bundesweit sind heute 3000 Geschäftskunden, davon 1051 direkt, angeschlossen. Die Leitungsnetzlänge beträgt in Deutschland 640, in Europa rund 1600 Kilometer. An einem Bieterkonsortium in Sachen UMTS ist der Carrier derzeit nicht beteiligt. Horst Enzelmüller, Vorsitzender der Geschäftsführung, erwartet weiterhin deutliche Wachstumsraten bei der Daten- und Internet-Kommunikation: "Der Bedarf nach Bandbreite steigt extrem."

Der Ableger des US-Mega-Carriers MCI Worldcom, die Worldcom Telecommunication Services GmbH, ist in Deutschland seit 1991 tätig und betreibt Citynetze in Frankfurt (seit 1995), Hamburg und Düsseldorf (seit Februar 1999). Zudem hält das Unternehmen Lizenzen für den Aufbau und Betrieb von Citynetzen in München, Berlin, Stuttgart und Köln. Heute betreibt der Carrier Points of Interconnect in 23 Städten und betreut etwa 5000 Geschäftskunden. Das Glasfaserleitungsnetz "Ulysses Deutschland" umfaßt derzeit etwa 2600, die angemietete Strecke rund 7000 Kilometer. Ins Netz integriert sind die 63 Internet-Pops der Tochtergesellschaft UUNet.

In Sachen Preisgestaltung kann sich Worldcom entspannt in die Reihe der Anbieter hochqualitativer und damit hochpreisiger Anbieter einreihen. Und weil Privatkunden sowieso nicht bedient werden, spielt die Preisspirale nach unten für Andreas Heck, General Manager Corporate Accounts, gar keine Rolle: "Die Geschäftskunden erwarten heute nicht mehr sinkende Preise, sondern höherwertige Mehrwertdienste und Datenprodukte wie ATM- und Frame-Relay-Services."

Paradiesvögel

Während die auf Geschäftskunden spezialisierten und anfangs als "Rosinenpicker" verschrienen Anbieter ihre Netze weiter stricken und die Citycarrier-Allianzen ihre Vorstöße in Richtung neuer Zugangstechniken unternehmen, gehen ungeachtet der sinkenden Preise immer wieder neue Stadtnetzbetreiber in den Ring. Jüngste Beispiele sind die im Februar dieses Jahres gestartete Wilhelm.Tel GmbH in Norderstedt oder der jüngste Neuzugang der gegenwärtig rund zehn in der Region Frankfurt operierenden Citycarrier Namens Mainova. Beide haben eines gemeinsam: Teilhaber beziehungsweise Netzpartner sind jeweils überregional agierende Betreiber. Im Fall Wilhelm.Tel fungiert Colt, bei Mainova Star Telecom als "graue Eminenz" mit den nötigen Verbindungen.

So werden die Blüten des Marktes immer skurriler und die Verästelungen immer verzweigter. Mittlerweile werden neue Citycarrier schon nicht mehr nur aus eigenem Antrieb gegründet, sondern aufgrund des Anschubs findiger Beratungsunternehmen. Prägnantestes Beispiel ist die Schweizer Time City Carrier AG, Bern, mit dem hiesigen Tochterunternehmen Time Startup Management GmbH in Frankfurt am Main (http://www.time.de). Die Firma schickte bis dato neun neue Stadtnetzbetreiber ins Rennen - mit steigender Tendenz. (cep)